laut.de-Kritik

Klaffende Zahnlücken, hibbelige Schifferklaviere und literweise Whiskey.

Review von

Nur ganz selten finden unverzerrte Dreiminüter den Weg auf Playlisten von engstirnigen Hobby-Punk-DJs und professionellen Alternative-Club-Plattenauflegern. Erst wenn alle Standards gespielt sind, das Bier zur Neige geht und in der Morgendämmerung die ersten Koma-Patienten gen Ausgang torkelnd das nahende Ende der Feierlichkeiten einläuten, holen die Pult-Verantwortlichen die letzten Trümpfe aus den Ärmeln. Und plötzlich liegen sich zu den Klängen von Eläkeläiset oder den Hayseed Dixies alle Todgeweihten des Abends abermals in den Armen.

Zu den vermeintlichen "Partyrettern" gehören seit spätestens 1985 auch die Pogues aus Irland. Wie oft grinst ein Hartholz-DJ mit hochnäsigem Blick über beide Backen, wenn sich die Massen zu Songs wie "Sally Mac Lennane" oder "The Sick Bed Of Cuchulainn" nochmals aufraffen, um die letzten Energiereserven über den Jordan zu jagen. Doch nur die Wenigsten wissen, dass in der whiskeygetränkten Blutbahn von Pogues-Aushängeschild Shane MacGowan weit mehr Punkrock-Plasma Achterbahn fährt als bei den meisten Up-to-date-Punk-Heroen von heute.

Die mit Abstand wildeste und archaischste Ganzkörperrundfahrt erlebte McGowans tiefroter Körpersaft im Frühjahr 1985, als sich der Sänger zusammen mit seinem fünfköpfigen Gefolge in den Elephant Studios in London verbarrikadierte, um unter der Regie von Elvis Costello den Debüt-Nachfolger "Rum, Sodomy & The Lash" aufzunehmen. Auf einem Dutzend Songs parkte das Folk-Punk-Sextett all die Energie und Leidenschaft, die heutzutage von Bands wie Flogging Molly oder den Dropkick Murphys nur noch unter Einsatz von viel Strom und Distortion freigesetzt werden kann.

Die Pogues hingegen nutzten seinerzeit die Studio-Steckdosen lediglich zum Einstöpseln von Cait O'Riordans Bass und MacGowans Gesangsmikrofon. Der Rest – all die umgarnenden Ziehharmonika-, Banjo-, Saxofon-, Piano- und Hurdy-Gurdy-Klänge fanden den direkten Weg in Costellos Mischpult.

Dass sich das Album auch heute noch als Speerspitze eines ganzen Subgenres feiern lassen darf, liegt vor allem am seinerzeit erreichten Songwriter-Zenit von Shane McGowan. Zwar wurde der Band erst drei Jahre später mit dem Nachfolger "If I Should Fall From Grace" kommerzieller Ruhm und Ehre zu teil, doch das eigentliche Gen der Band liegt im zweiten Album der Bandhistorie begraben.

Hatte der Frontmann auf dem Debütalbum noch Probleme damit, all die grandiosen Ideen in seinem Kopf in ein homogenes Gesamtpaket zu verwandeln, griff auf "Rum, Sodomy & The Lash" plötzlich ein Rädchen ins andere. Auf einmal verbanden sich des Urhebers melancholische Gossengeschichten mit eingängigen Mandolinen-, Akkordeon-, und Banjo-Sounds zu einem vollkommenen Goodbye-Soundtrack für Dubliner Pub-Piraten.

Egal ob Eigengewächse oder geadelte Traditionals: das irische Sextett, allen voran Mastermind McGowan, fand die perfekte Mischung zwischen urbaner Irish-Folk-Tradition und kantiger Punk-Attitüde. Vom fulminanten High-Speed-Kick-Off "The Sick Bed Of Cuchulainn" über das tränenreiche Pogo-Abschieds-Drama "Sally Mac Lennane" bis hin zum Industrieschlot-Schunkler "Dirty Old Town" und dem finalen Eric Bogle-Walzer "And The Band Played Waltzing Matilda" sprüht das Album nur so über vor salzigem Freibeuter-Charme und trinkfesten Alehouse-Vibes.

"Ich konnte damals nicht glauben, dass sich noch nie jemand mit derartiger Musik beschäftigt hatte. Ich meine, Alkohol, die raue See und dreckige Pubs: das gehört doch irgendwie zum Punk dazu, oder?", wunderte sich Shane MacGowan vor einigen Jahren während eines BBC-Interviews – und das völlig zu Recht. Denn sind wir doch mal ehrlich: klaffende Zahnlücken, hibbelige Schifferklaviere und literweise Whiskey - mehr Punk geht nun wirklich nicht.

In der Rubrik "Meilensteine" stellen wir Albumklassiker vor, die die Musikgeschichte oder zumindest unser Leben nachhaltig verändert haben. Unabhängig von Genre-Zuordnungen soll es sich um Platten handeln, die jeder Musikfan gehört haben muss.

Trackliste

  1. 1. The Sick Bed of Cúchulainn
  2. 2. The Old Main Drag
  3. 3. Wild Cats Of Kilkenny
  4. 4. I'm A Man You Don't Meet Every Day
  5. 5. A Pair Of Brown Eyes
  6. 6. Sally Mac Lennane
  7. 7. A Pistol For Paddy Garcia
  8. 8. Dirty Old Town
  9. 9. Jesse James
  10. 10. Navigator
  11. 11. Billy's Bones
  12. 12. The Gentleman Soldier
  13. 13. The Band Played Waltzing Matilda

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LAUT.DE-PORTRÄT The Pogues

"Ein Mann mit vielen Worten und wenig Zähnen", beschreibt eine Fanseite liebevoll Shane MacGowan. Obwohl der Ire nicht immer der Sänger der Pogues war, …

15 Kommentare

  • Vor 11 Jahren

    Sterbenslangweilig finde ich da gar nichts. Tolle bis großartige (A Pair Of Brown Eyes) Melodien, abwechslungsreich und immer passend arrangiert. Man sollte auch nicht vergessen, dass die Pogues eine der ersten Folk-Punk-Bands waren, also den klassische Irish-Folk schneller und rotziger spielten. Flogging Molly und Konsorten werden immer von den Pogues beeinflusst sein, auch wenn diese keine verzerrten Gitarren hatten (was nicht passen würde).
    Zudem ist Shane MacGowan einfach authentisch und auf diesem Album noch nicht vom Alkohol zerstört. Egal ob er über Liebe, Whisky oder den Krieg singt (Waltzing Matilda ist für mich mit der beste Song des Albums) - man nimmt ihm jedes Wort ab und fühlt die Emotionen mit. Zudem trifft er hier noch meistens den Ton und man versteht ihn (man denke hier als Gegenbeispiel nur an das (gesanglich) grausige "House of the Gods").
    Klarer Meilenstein!

  • Vor 11 Jahren

    Als nächster Meilenstein wären The Fat Of The Land von The Prodigy oder jedenfalls Maidens The Number Of The Beast angebracht!

  • Vor 11 Jahren

    alleine dafür, dass die deportierwürdigen "eläkaläi-dingsbums" und hayseed dixie in einem atemzug mit den Pogues genannt werden. Ich meine, heilige scheisse, die gottverdammten Pogues... möchte ich "kai butterweck" am liebsten mit dem kopf vorran in ein fass rum tauchen, ihn dabei sodomizen und mit der lash traktieren... ernsthaft...