laut.de-Kritik
Seit 30 Jahren auf der Bühne. Sláinte!
Review von Giuliano BenassiAnfang des Jahrtausends hätte kaum jemand einen Drink darauf gesetzt, dass es Shane Mac Gowan noch lange machen würde. Nach einem Vierteljahrhundert an Alkohol- und Drogenexzessen in einem Ausmaß, dass selbst Keith Richards seine Probleme gehabt hätte, war der Londoner irischer Abstammung kaum mehr als ein zahnloses Wrack.
Doch dann klopften 2001 die Pogues an, die ihn zehn Jahre zuvor rausgeschmissen hatten, und sein Leben machte wieder Sinn. Seitdem sind die Folk-Punker immer wieder auf Tour. Nie länger als ein paar Wochen am Stück, aber lange genug, um auch in den USA oder Japan aufzutreten.
2012 begaben sie sich auf eine acht Städte umfassende Tour durch Europa, um ihr dreißigjähriges Bestehen zu feiern. Beim Anblick von MacGowans Gebiss kriegt jeder Zahnartzt nach wie vor funkelnde Augen und bestellt sich in Gedanken schon mal einen neuen Porsche. Es ist aber nicht zu übersehen, dass der Sänger auf der Bühne deutlich fitter ist als noch vor zehn Jahren. Die legendären Ausfälle aus den 80ern sind Geschichte. Zwar gönnt er sich seine Pausen, doch hält er mittlerweile ohne Probleme zwei Stunden durch.
So wie im Pariser Olympia, wo die Pogues am 11. und 12. September auftraten. Ein ehrwürdiger Rahmen, den sie nutzten, um ihr erstes genehmigtes Livealbum mit Shane MacGowan aufzunehmen (2001 war ein unautorisierter Mitschnitt von 1991 erschienen). Und den ersten bebilderten Auftritt mit dazu, unter der Führung des Regisseur-Duos Gautier & Leduc.
Backstage blicken die Mitglieder wortlos in die Kamera und sehen dabei aus wie alte, abgekämpfte Krieger. Auf der Bühne erwachen sie aber zu neuem Leben, angetrieben von einem begeisterten Publikum, das sie schon vor Erscheinen frenetisch feiert. Schöne Bilder mit gestochen scharfen Einstellungen sowie unkonventionellen Licht-Und-Schatten-Spielen machen die DVD zur lohnenden Investition.
Die Show ist natürlich eine Best Of-Veranstaltung, schließlich hat die Band seit 1996 kein Studioalbum mehr veröffentlicht. Mit "Streams Of Whiskey", "If I Should Fall From Grace With God" und "A Pair Of Brown Eyes" legen die Pogues gleich drei ihrer bekanntesten Stücke hin.
Flötenspieler Spider Stacy darf auch mal das Mikrophon übernehmen, ebenso wie Gitarrist Phil Chevron, der sein "Thousands Are Sailing" zum Besten gibt, und Schlagzeuger Andres Ranken in "Star Of The County Down". Die Mischung aus Hits aus den 80ern, Traditionals, Rebel Songs und Stücken aus der glücklosen Zeit ohne den charismatischen Sänger in den 90ern ist durchaus gelungen und abwechslungsreich.
Natürlich ist es MacGowan, der die Aufmerksamkeit auf sich zieht. In der zweiten Hälfte des Konzerts gibt es kein Halten mehr. Bei "Dirty Old Town" grölt das Publikum ohrenbetäubend mit, bei "Sally MacLennane" surfen mehr Leute über die Menge als bei so manchem Auftritt der Red Hot Chili Peppers.
Als Zugabe kommt sogar noch das Lied zum Zuge, mit dem sich MacGowan seine Rente gesichert hat, jenes "Fairytale Of New York", das es jeden Dezember in die hohen Etagen der Download-Charts schafft. Die sichtlich gerührte visuelle Künstlerin Ella Finer übernimmt bravourös die Rolle der verstorbenen Kirsty MacColl und tanzt zum Schluss noch eine Runde mit McGowan unter herab fallendem künstlichen Schnee. Weihnachtlicher (oder kitschiger) geht es kaum.
Das Pogo-Stück "Fiesta" beendet einen Auftritt, der mehr ist als nur ein Konzert – er ist ein wahres Ereignis. Dass MacGowan noch am Leben ist, gleicht einem Wunder. Dass er wieder stehen kann, ist ein wahres Geschenk. Da kann man nur seiner langjährigen Lebensgefährtin Victoria Mary Clarke zustimmen, die zu Schluss ihrer Ausführung im Booklet schreibt "Long may they continue to thrill." Sláinte!
3 Kommentare
erster bebilderter auftritt is nich ganz richtig, gab in den 80ern n tv-special live at the town and country. trotzdem brilliantes zeugnis.
Wenn ich das so lese, bereue ich um so mehr, dass ich im Sommer 2011 auf dem Stuttgarter Killesberg nicht dabei sein konnte.
Wer auch nur ein bißchen mit irischer Mucke was anfangen kann, braucht das, Punkt