laut.de-Kritik

Er sampelt Japanese City Pop. Dafür muss man ihn lieben!

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Das kam dann doch recht überraschend. The Weeknd hat uns letztes Jahr, neben dem "Super Bowl"-Auftritt, mit einem Überhit und diversen Features mit u.a. Kanye West, Rosalía, Post Malone, Doja Cat und Swedish House Mafia unterhalten. Immer wieder streute er Anspielungen ein, aus der Dunkelheit zu treten und seine Fans "at dawn", also zur Morgendämmerung zu treffen. Da ahnte man noch nichts von einem neuen Album, vor allem, weil "After Hours" erst 2020 erschien. Ohne viel Tamtam ließ er dann vor rund einer Woche die Bombe auf Social Media platzen: "Dawn FM" erscheint am 7. Januar!

Über die Tage hinweg verteilte Abel weitere Infos, zum Beispiel über die Features. Da rieben sich nicht gerade wenige die Augen, als sie Jim Carrey erblickten. The Weeknd traf Carrey zum ersten Mal an seinem 30. Geburtstag, beide verbindet die Liebe zu Teleskopen. Mir nichts, dir nichts fungiert sein Landsmann nun als Radiosprecher und Erzähler des Albums. Wie man am Titel unschwer erkennen kann, ist es wie ein Radiosender konzipiert. Hier und da ertönen Jingles dazu oder sogar eine satirisch fingierte Werbung ("Every Angel Is Terrifying"). Sogleich im ersten Track führt der Schauspieler in diese Welt ein und möchte, dass man sich in den folgenden Minuten zurücklehnt und sich darauf einlässt.

Der Hörer muss sich im Klaren sein, dass "Dawn FM" den mit Abstand weichsten und knuddeligsten The Weeknd bis dato präsentiert. Er suhlt sich im Synthwave, den er seit "After Hours" aufgebaut hat, drosselt ein wenig das Tempo und gibt uns eine flauschige Decke zur Hand. Abel möchte schlicht und ergreifend etwas Gutes für jedermann tun. Das liegt aber auch an der namhaften Produzentenriege, die ihm ein anschmiegsames Klangkostüm über die Schulter wirft.

Für den Großteil der Songs zeichnen sowohl der experimentelle Elektro-Künstler Oneohtrix Point Never als auch der allseits bekannte Max Martin verantwortlich. Dazu gesellen sich Calvin Harris und die schwedische Housemafia hinter dem Mischpult dazu. Poppiger wird der gute Abel wohl nicht mehr.

Nichtsdestotrotz - oder gerade deswegen - tappt "Dawn FM" nicht in die Falle der Belanglosigkeit. Vielmehr strahlt es eine wohltuende Wärme von nostalgischen Reminszenzen an die Achtziger aus, die wie eine musikalische Umarmung funktioniert. Homogene Songstrukturen, exzellent gesetzte Übergange sowie konvergierende Melodien sorgen für einen Hörgenuss erster Klasse. Abels Gesang bleibt weiterhin unantastbar. "Gasoline", "How Do I Make You Love Me?", "Don't Break My Heart" stehen exemplarisch für diesen geschmeidigen Sound, der sich durch das ganze Album zieht.

An zwei Stellen findet er dann doch ein wenig mehr Elan und zieht uns auf die Tanzfläche. Zum einen "Sacrifice", das ein stilsicheres, Filter-verzerrtes Elektrogitarren-Riff und eine Prise Michael Jackson beherbergt und zum anderen die alles überragende, funky Italo-Disco Hitsingle "Take My Breath", hier allerdings in der Extended Version, die dem Track etwas von seiner Knackigkeit raubt.

Darüber hinaus leisten zwei Features stimmliche Unterstützung und markieren leider Gottes die Schwachpunkte. Tyler, The Creator im süßlich verträumten "Here We Go … Again" so zu verschenken, mit einer viel zu kurzen und nichtssagenden Strophe, grenzt an Fahrlässigkeit. Indes lässt Lil Waynes derangierter und in übermäßig viel Autotune getränkter Vortrag in "I Heard You're Married" die linke Augenbraue hochziehen. Das hat er schon weitaus besser hinbekommen.

Die beiden Schlussakte bringen "Dawn FM" zu einem elegischen Ende. Das an Fleetwood Mac erinnernde "Less Than Zero" besticht mit einer melancholischen, wenngleich tröstenden Aura und integriert eine Akustikgitarre in den Beat. Kein Wunder, dass der Song zum heimlichen Liebling der Fans avanciert. Im gesprochenen Gedicht "Phantom Regret By Jim" spricht Carrey darüber, die Fehler der Vergangenheit nicht zu bedauern, sondern sich auf die Zukunft zu freuen und inneren Frieden zu finden: "In other words: You gotta be Heaven to see Heaven / May peace be with you". Ein starkes Ende, bei dem seine eigene Leidensgeschichte deutlich hindurch scheint.

Damit unterlegt The Weeknd ein zweites Mal in Folge, ein Album mit einem gewissen Konzept. War es bei "After Hours" eine durchgehende Story, erschafft "Dawn FM" eine glaubhafte, persönliche Radiostation, die einen gestärkten und reflektierten Abel portraitiert, der mit sich selbst Frieden geschlossen hat. Es bringt einfach Spaß, ihm dabei zuzuhören und den enormen Produktionsaufwand zu genießen. Zudem habe ich mir noch das Beste zum Schluss aufgehoben:

In "A Tale By Quincy" lässt uns die Produzentenlegende Quincy Jones an seiner problematischen Kindheit und die daraus resultierenden Unwägbarkeiten teilhaben. Die grundsätzliche Inspiration nahm sich Abel hierfür klar bei Daft Punks "Giorgio By Moroder". Im Hintergrund wabert subtil eine fluffige Melodie, die einem verdächtig bekannt vorkommt. Die Gewissheit folgt im wunderbar hineinfließenden "Out Of Time", denn The Weeknd hat tatsächlich einen 80s Japanese City Pop-Klassiker gesampelt und zwar nicht Mariya Takeuchis omnipräsentes "Plastic Love", sondern einen weitaus eleganteren: "Midnight Pretenders" von Tomoko Aran. Darüber schwingt er sich zur emotionalsten Darbietung des Albums hinauf. Dafür muss man ihn einfach lieben!

Trackliste

  1. 1. Dawn FM
  2. 2. Gasoline
  3. 3. How Do I Make You Love Me?
  4. 4. Take My Breath
  5. 5. Sacrifice
  6. 6. A Tale By Quincy
  7. 7. Out Of Time
  8. 8. Here We Go … Again (feat. Tyler, The Creator)
  9. 9. Best Friends
  10. 10. Is There Someone Else?
  11. 11. Starry Eyes
  12. 12. Every Angel Is Terrifying
  13. 13. Don't Break My Heart
  14. 14. I Heard You're Married (feat. Lil Wayne)
  15. 15. Less Than Zero
  16. 16. Phantom Regret By Jim

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