laut.de-Kritik

Das weiße Kaninchen ist tot.

Review von

"...Sings Modern Talking: Let's Talk About Love" ist das musikalische Äquivalent zu einem Selfie mit dem Ex-Partner: unter Tränen, mit Soft-Filter und dem Hashtag #neverforget. Die Idee, Modern Talking-Klassiker neu aufzunehmen, aber ohne Dieter Bohlen, ist leider auch im zweiten Anlauf kein Erfolg. Thomas Anders schiebt sich hier durch die Songs, die ihm einst Ruhm und Dauerwelle eingebracht haben, aber derartig bieder und mit einer kreativen Mutlosigkeit, dass ein Roland Kaiser daneben wie ein progressiver Grenzgänger wirkt.

Das Anders-Konzept, hier noch einmal für die Neueinsteiger, besteht darin, die Alben von Modern Talking neu einzusingen, einmal als "Thomas' Version", und einmal "In The Mix". Als dritte CD gibts die zwölf Tracks dann noch einmal als Instrumental, insgesamt also 36 Tracks.

Die ungeschriebene Regel des Coverns: Entweder du machst es besser als das Original. Oder aber du machst es so anders, dass der Song neuen Charakter gewinnt. Ersteres ist etwas schwierig, wenn man auf die kreative Idee kommt, die eigenen Songs zu 'covern'. Lebensverändernden Gesangsunterricht hatte Anders in den letzten vier Jahrzehnten nicht, und auch der Disco-Bass im Hintergrund macht es nicht besser. (Umso schöner, wenn er manchmal doch weggelassen wurde, "Wild Wild Water" als "Thomas' Version" lässt einen das Trauma der ersten beiden Songs kurz verarbeiten.) Zweiteres ist auch schwierig, wenn man die Songs einfach eins zu eins nachsingt.

Aber eine Freudenbotschaft hat das Ganze: Thomas Anders machts allein. Ohne Dieter Bohlen, und jeder Song ohne Dieter Bohlen ist nun mal besser als ein Song mit Dieter Bohlen. Außerdem ist ein englisch singender Thomas Anders besser als ein deutsch singender Thomas Anders mit Florian Silbereisen im Schlepptau. Ob das das ganze Werk aber besser macht? Eher nicht.

Modern Talking waren nie die größte Kunst. Aber sie waren ein Phänomen. Zwischen 1984 und 1987 (und dann wieder Ende der 90er, weil es niemand verhindern konnte), spuckte das Duo einen Hit nach dem anderen aus, stets nach der gleichen Formel: High-Pitch-Falsett, Eurodance-Beat und Dieter Bohlen, der klang, als würde er Dieter Bohlen parodieren. Trotzdem: Es war catchy. Es war Kult. Es war Kitsch mit Charisma.

Was Thomas Anders jetzt daraus macht, ist der musikalische Versuch, eine Disco-Kugel neu zu lackieren. Keine Spur von Ironie, kein Augenzwinkern, keine Überraschung. Stattdessen: sterile Schlager-Produktionen, gefühlt aus einem KI-Baukasten gezogen, und Vocals, die so lebendig klingen wie eine Smart-Home-Stimme beim Wetterbericht.

Die "Thomas' Version"-CD klingt, als hätte man den Großeltern ein Mischpult geschenkt, und als erstes Großprojekt versuchen sie sich an den 'guten alten Songs'. Dabei heraus kommt ein bass-boosted Modern Talking-Fiebertraum, der höchstens fünf Minuten lang beim Tanztee funktioniert. Nicht, weil er zu sehr das Tanzbein beansprucht, sondern weil er tatsächlich einfach ziemlich schlecht klingt.

Auch nach dem ersten Schock geht es gar nicht mal so gut weiter, wer hätte es gedacht? Die Thomas-Versionen folgen einem Prinzip: dieselbe Melodie wie der Klassiker, nur mit Standard-Bass-Beat untergelegt. Die Instrumental-Versionen auf CD drei wirken wie ein Add-On, ein verzweifelter Versuch, den Preis für diese unkreative Schöpfung irgendwie zu rechtfertigen. Doch auch hier spinnt die Quantität kein Stroh zu Gold, aber das hat ja das erste Album der Reihe schon offenbart.

Retrospektiv war die erste CD dieses Sets dann tatsächlich noch eine Wohltat für die Ohren. Wer "Cheri Cheri Lady (In The Mix)" auf den Kopfhörern einmal etwas lauter gedreht hat als unbedingt notwendig, wird bei den nächsten Tracks nicht mehr froh. Gut, wird man auch so nicht mehr. Während die "Thomas' Version"-Songs noch erahnen lassen, auf welche Zielgruppe das alles abzielt, nämlich auf Ultras (sollte es die geben), bleibt bei "In The Mix" ein großes Rätsel, in welchem Kontext sich das jemand anhören sollte. Wer sich das in einem Rutsch antun kann: Respekt.

Auch die beiden "New Bonus Tracks" "Love Society" und "Don't Break My Soul" gliedern sich leider perfekt in die anderen Songs ein, als 'Bonus' sind sie wirklich nicht zu erkennen.

"Why Did You Do It Just Tonight (In The Mix)" setzt ein echtes Album-Highlight. Hier zeigt Thomas Anders endlich einmal Persönlichkeit und beweist: Ihm ist wirklich gar nichts peinlich. In Highspeed und die Stimme hochgepitcht, klingt der Song wirklich wie eine Parodie. Die würde in Reddit-Hinterzimmern bestimmt auch ihre Fans finden, nur gibts den Track hier eben auf einem kommerziellen Album serviert. Aber schön, dass Thomas Anders einmal aus der Komfortzone rauskommt. Dass er dafür allerdings Geld haben möchte, das ist wirklich besorgniserregend.

Dass Anders nach all den Jahren, in denen er sich stets bemüht hat, sich vom "Dieter-Schlepptau"-Image zu lösen, diese Songs nun als Soloalbum wieder ausgräbt, wirkt wie eine Mischung aus späten Rentenpunkten und mangelnden Ideen. Es ist, als würde ein Magier seinen alten Trick noch einmal vorführen, nur ist das weiße Kaninchen inzwischen tot und das Publikum längst gegangen. Das Schlimmste: die 'Thomas Anders singt Modern Talking'-Show ist leider noch nicht vorbei.

Trackliste

Thomas' Version

  1. 1. Cheri Cheri Lady
  2. 2. With A Little Love
  3. 3. Wild Wild Water
  4. 4. You're The Lady Of My Heart
  5. 5. Just Like An Angel
  6. 6. Heaven Will Know
  7. 7. Love Don't Live Here Anymore
  8. 8. Why Did You Do It Just Tonight
  9. 9. Don't Give Up
  10. 10. Let's Talk About Love
  11. 11. Love Society
  12. 12. Don't Break My Soul

In The Mix

  1. 1. Cheri Cheri Lady
  2. 2. With A Little Love
  3. 3. Wild Wild Water
  4. 4. You're The Lady Of My Heart
  5. 5. Just Like An Angel
  6. 6. Heaven Will Know
  7. 7. Love Don't Live Here Anymore
  8. 8. Why Did You Do It Just Tonight
  9. 9. Don't Give Up
  10. 10. Let's Talk About Love
  11. 11. Love Society
  12. 12. Don't Break My Soul

Instrumental

  1. 1. Cheri Cheri Lady
  2. 2. With A Little Love
  3. 3. Wild Wild Water
  4. 4. You're The Lady Of My Heart
  5. 5. Just Like An Angel
  6. 6. Heaven Will Know
  7. 7. Love Don't Live Here Anymore
  8. 8. Why Did You Do It Just Tonight
  9. 9. Don't Give Up
  10. 10. Let's Talk About Love
  11. 11. Love Society

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