laut.de-Kritik
Klampfe und Reibeisen-Stimme - mehr braucht es nicht.
Review von Simon LangemannTilman Benning schreibt Songs, die förmlich danach schreien, von einer Band performt zu werden. Und würde er das zulassen, so ließe sich das Ergebnis wahrscheinlich irgendwo zwischen Captain Planet, Matula und Herrenmagazin einordnen. Doch der "Barmann unserer Herzen" (Matula) schlug bewusst einen anderen Weg ein, machte für sein Soloprojekt Tigeryouth die Einsamkeit zur Tugend - und genau das macht sein Debütalbum "Leere Gläser" so besonders.
Der beim Hamburger Label Zeitstrafe gesignte Künstler reduziert sich auf die zwei naheliegendsten Werkzeuge: Hier die akustische Klampfe - und da seine Stimme, ein derartiges verrauchtes Reibeisen, dass man etwaige Übersteuerungen meist erst im zweiten Moment als solche wahrnimmt. Mehr braucht Tigeryouth nicht. Auch dank seines harmonischen Einfallsreichtums, von dem sich manch eine Schrammelcombo eine Scheibe abschneiden könnte.
Dennoch bewegt sich sein Duktus ungleich näher an der unumstößlichen Punk-Attitüde, als am gediegenen Liedermacher-Abend. Viel mehr Energie als etwa in "Disko" oder im Opener "Streichholz" lässt sich mit derart sparsamen Mitteln kaum umsetzen. "Manchmal holt das Fernweh mich ein", singt er am gefühlten Albumhöhepunkt "Rio". Wollen wir mal hoffen, dass das noch eine Weile so bleibt.
Dem gegenüber stehen entschleunigte Selbstreflexionen wie "Pflaster" oder "Fernweh I", in dem Tigeryouth seinen Hang zum Vagabundentum besingt: "Fühl mich geborgener auf Matratzen fremder Menschen / als in meinem eigenen Bett / Gib mir fünf Minuten, um zu packen / und ich bin weg."
Dass (noch) nicht jedes Stück derart unter die Haut geht und die puristische Ausgestaltung gelegentlich auch an den Nerven zerrt: Man verzeiht es ihm mit Leichtigkeit. Denn andererseits bringt Bennings raue Ehrlichkeit so viele schöne Momente mit sich, dass man am Ende nicht umhin kommt, sein eigenwilliges Debüt ins Herz zu schließen.
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