laut.de-Kritik
Mehr als die Summe seiner Teile. Und die sind schon groß.
Review von Giuliano BenassiLängst hat sich die Band um Frontmann Stuart A. Staples von einer reinen Musikcombo in ein Kollektiv verwandelt, das in verschiedenen künstlerischen Bereichen tätig ist. 2013 veröffentlichte Staples im Buch "Singing Skies" zum ersten Mal niedergeschriebene Texte (seine Lyrics komponiert und speichert er im Kopf), begleitet von Zeichnungen seiner Frau, der Malerin Malerin Suzanne Osborne. Seit 2014 ist eine Klanginstallation der Tindersticks im Museum über den Ersten Weltkrieg im belgischen Ypres zu erleben. Zudem komponieren sie schon seit den 1990er Jahren eifrig Soundtracks.
So ist auch "The Waiting Room" mehr als 'nur' ein Album. Denn zu jedem der elf Stücke entstand ein Kurzfilm in Zusammenarbeit mit dem Clermont-Ferrand International Short Film Festival. Die Clips sind auf einer DVD zusammengefasst, die der Limited Edition des Albums (CD oder LP) beiliegt. 2016 wird es zudem in verschiedenen europäischen Städten Aufführungen mit Livebegleitung der Band geben, teilweise auch nur mit Staples.
Die Präsenz des Sängers ist so stark, dass das erste Stück sogar ohne ihn auskommt. Eine Mundharmonika spielt eine einfache melancholische Melodie, dann setzen dezente Perkussionen, Streicher und eine Orgel mit Echo ein. Verträumt und leicht bedrohlich, wie so oft bei Tindersticks. Dabei handelt es sich um ihre Interpretation des Titelthemas aus "Meuterei Auf Der Bounty" (1962).
In einer gewissen Hinsicht ist das Album minimalistischer als seine Vorgänger und lebt bewusst von den nicht vorhandenen Noten zwischen den tatsächlich gespielten. Gut herauszuhören in "Second Chance Man", das zu Beginn mit einzelnen Orgelklängen und Staples' leicht verfremdeter Stimme auskommt, bevor ein Bass einsetzt und dem Stück neues Leben einhaucht.
Das Lied, mit dem das Album seinen Anfang nahm, sei "Help Yourself" gewesen, schreibt Staples in den Liner Notes. Ein rhythmisch betontes Stück, das von den Bläsereinsätzen des britischen Saxophonisten und Arrangeurs Julian Siegel lebt. Einzeln genommen scheinen die unterschiedlichen Instrumentalspuren nicht zusammen zu passen, als Summe ergeben sie ein dissonantes, dennoch schlüssiges Ergebnis.
Der Rest des Albums habe sich nach und nach ergeben. Den ergreifensten Moment bietet "Hey Lucinda", das Staples vor vielen Jahren um sechs Uhr morgens bei einem Spaziergang durch Köln in den Sinn kam, wie er auf der Webseite der Band schreibt. Mit Lhasa de Sela nahm er in Montreal eine Version auf, die nach dem frühen Tod der Sängerin 2010 in den Archiven verschwand.
"Nur vor kurzem war ich wieder in der Lage, ihrer Stimme zu lauschen. Da habe ich verstanden, wie ich den Song umsetzen konnte. Als Band haben wir versucht, diesem Augenblick, in dem wir zusammen gesungen haben, gerecht zu werden".
Es handelt sich um eines jener klassischen Duette, in denen der Mann versucht, die Frau rumzukriegen. In diesem Fall (natürlich) erfolglos. Zunächst zurückhaltend mit einer Ziehharmonika und Triangel kommen im weiteren Verlauf punktuell Streicher und Bläser hinzu, ohne das zarte Stück zu überfrachten. Ein weiteres gelungenes Duett bietet "We Are Dreamers!", diesmal mit Jehnny Beth von Savages, das aber, im Gegensatz zum Titel, viel dunkler und bedrohlicher ausfällt.
Doch bietet auch jedes weitere Stück Abwechslung und die eine oder andere Überraschung. Der Basslauf von "Were We Once Lovers?" erinnert an den der Studioversion von Leonard Cohens "First We Take Manhattan". "This Fear Of Emptiness" und "Planting Holes", zwei weitere Instrumentals, klingen eher besänftigend, ähnlich wie auch "How He Entered".
Der Titeltrack mutet mit einer Kirchenorgel und klagendem Gesang eher andächtig an, das abschließende "Like Only Lovers Can" beendet nach dem düsteren "We Are Dreamers!" das Album mit einer entspannteren, fast schon versöhnlichen Note.
"The Waiting Room" ist mehr als die Summe seiner, auch einzeln betrachtet, beachtlichen Teile. Schön, dass die Tindersticks ein Vierteljahrhundert nach der Gründung ihren Sound weiter erforschen, ohne ihre Identität preiszugeben.
4 Kommentare
Fünf Punkte gibt es von mir nicht, dafür fallen mir die Passagen rund um die beiden genannten zentralen Duette etwas zu weit in liebliche Beliebigkeit ab. Der Interpretation von "Hey Lucinda" stimme ich auch nicht zu - die Vermeidung eben dieses Klischees ist mMn seine große Stärke, denn die Ausgangssituation/Beziehung bleibt weitgehend im Dunkeln.
Alles in allem eine trübe aber starke Platte der etwas Puste über die Spielzeit fehlt: 4/5.
ja, ganz tolle platte.
Gute Platte, für mich aber auch eher ne 4/5. Ich bin mir nicht sicher wie die Langzeitwirkung ist,...
Nach dem grandiosen Something Rain 5/5 schaffen sie es nicht ganz. Die Songs haben durchgängig nicht dessen Klasse. Wiederum ist die Stimmung eine andere auf diesem Album.
Mein derzeitiger Stand 3,5/5.