laut.de-Kritik

Skandinavische Coolness und hippe karibische Vibes.

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Dieser Tage ist es leicht, zur Popmusik zu stehen. Man darf sie wieder mögen, ihr tristes Dasein als Guilty Pleasure auf der Sportplaylist oder gar als minderwertiges Objekt aus der Welt der indifferenten Dudelfunk-Egalos ist vorbei. Sie hat ihre Schmutzigkeit verloren. Das ist großartig.

Grund dafür sind vielleicht authentischere Protagonisten - es gab davon ein paar in den letzten Jahren. Eine Lady Gaga, die ein Jazz-Album aufnimmt, eine Taylor Swift, die sogar in der Indie-Disko gespielt wird, eine Katy Perry, die beim Superbowl einen verpeilten Left Shark Tanzschritt um Tanzschritt versemmeln lässt; all das hat der Popmusik ebenso gut getan wie das Internet, das coole Szeneacts in den Mainstream pumpte und die Standards für die Millionenmaschinen veränderte. Aus der schleimigen Raupe Pop, bei der man laut "Igitt!" rief, ist ein hübscher, bunter Schmetterling geworden, den man sich gerne anschaut.

Und man hätte etwas übersehen, wenn man Tove Styrke als kriechende Casting-Ausgeburt beiseitegeschoben hätte. Dass ein Song wie "Even If I'm Loud It Doesn't Mean I'm Talking To You" nicht längst wie ein "Shake It Off" durch die Charts geistert, ist musikalisch schwer nachvollziehbar. Die atemlose Feel Good-Nummer ist kraftvoll, rhythmisch und inszeniert Tove als quirlige, emanzipierte Powerfrau. Ihrem Image als nächste Robyn kehrt sie damit den Rücken. Zwar sind Synthies nach wie vor ein zentrales Element - mal knarzend und treibend ("Samurai Boy"), mal hibbelig und melodieführend ("Snaren") und am besten strahlend und dominant wie in "Walking The Line". Für eine nächste Robyn nimmt die Elektronik aber nicht mehr genug Raum ein.

Den besetzt jetzt Toves Stimme. Sie probiert sich munter durch bunte Soundlandschaften und kleidet ihr jazz-erprobtes Organ in verschiedenste Gewänder - von den obligatorischen Einsätzen wie in der Ballade "Who's Got News", lasziveren Momenten wie in "Ain't Got No ..." bis hin zum süßlich-aufgekratzten "Decay". Sie erinnert an Jessie J, ist aber minimalistischer und verzichtet auf die großen, überlauten Gesten der Britin. Sie behält ihre skandinavische Coolness.

Hin und wieder blitzen hippe karibische Vibes auf, die zuletzt auch dem norwegischen DJ Kygo an die Chartspitze geholfen haben. Das bereits letztes Jahr auf der gleichnamigen EP erschienene "Borderline" spielt mit diesen Elementen und tut auch dem Album noch einmal gut. Es erhält gar einen ganzen Reggae-Anstrich und ist entspannt und catchy. Diese unterkühlten, lässigen Momente stehen ihr am besten.

"Kiddo" ist ein extrem zeitgenössisches Album. Tove erwähnt Britney Spears, zitiert Beyoncé und erschafft die Pop-Platte einer jungen Frau, die mit dem R'n'B-Pop der frühen 2000er und den elektronischen Trends der letzten Jahre (sei es nun Dubstep oder die aktuelle House-Welle) aufwächst. So ist sie ab und an auch auf einer Linie mit Acts wie Lorde. Wem sich ihre Daseinsberechtigung noch nicht erschlossen hat, dem sei gesagt, dass sie Modeleinsätze für diverse Magazine und die Modekette Topshop absolvierte – was dem Erfolg immerhin nicht schaden dürfte. Tatsächlich ist sie schon recht nah dran an einer ausgereiften Persönlichkeit, die am Ende als Gesamtpaket auf den großen Markt gelassen wird.

Verdient hätte sie es, denn Tove Styrke passt gut in die neue Pop-Ästhethik. Sie ist hip, urban und catchy, textet selbst, und hatte in vieler Hinsicht die Finger über Prozess und Klang der Platte im Spiel. Auch das passt zur neuen authentischen Popkultur. Zwar ist "Kiddo" ihr zweites Album in Deutschland und Schweden, jedoch ihr Debüt in den USA und in Kooperation mit Sony Music UK. Sollte ihr "Kiddo" nicht den Durchbruch bescheren, kann man sich als Entdecker wenigstens über eine der besten Pop-Platten der letzten Jahre freuen.

Trackliste

  1. 1. Ain't Got No ...
  2. 2. Snaren
  3. 3. Ego
  4. 4. Samurai Boy
  5. 5. Borderline
  6. 6. Who's Got News
  7. 7. Number One
  8. 8. Even If I'm Loud It Doesn't Mean I'm Talking To You
  9. 9. Burn
  10. 10. Decay
  11. 11. Walking A Line
  12. 12. Brag

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