laut.de-Kritik
Zwei Teufel sitzen auf Fran Healys schmalen Schultern.
Review von Rinko Heidrich"L.A. Times ist unser persönlichstes Album seit 'The Man Who'." sagt Travis-Sänger Fran Healy über das zehnte Album der Schotten. Es ist nie ein gutes Zeichen, wenn alteingesessene Bands mit Superlativen und Vergleichen zu vergangenen Glanztaten ködern. Im Grunde genommen geht damit ein Eingeständnis einher, dass die glorreichen Zeiten vorbei sind. Eine komplette künstlerische Bankrotterklärung gab es bei Travis bisher noch nicht, ein Meilenstein wie "The Man Who" gelang danach leider auch nicht mehr.
Fran zog damals aus Großbritannien weg und ließ sich in Berlin nieder, seit ein paar Jahren lebt er in Los Angeles. Was für ein Kontrast! Auf dem Album-Cover kopieren Travis noch einmal "The Invisible Band". Wie damals verschwindet die Band fast vor dem beeindruckenden Hintergrund-Motiv. Die stets ruhigen Schotte wirken wie Fremdkörper in dieser berühmt-berüchtigten Metropole im Süden Kaliforniens.
Ein Moloch, der oft besungen wurde, stets mit einem kritischen Unterton. Mal wollten Public Enemy Hollywood brennen sehen, dann galten Compton und South Central als das amerikanische Gomorrha. Für die Eagles war L.A. entweder Himmel oder Hölle. Ein absoluter merkwürdiger Ort, gerade für einen bleichen Briten. Selbst einem Axl Rose verschlug es bei seiner ersten Ankunft die Sprache, er verarbeitete den Kulturschock in "Welcome To The Jungle".
Sehr viel scheint sich in den letzten 40 Jahren in der zweitgrößten Stadt der USA nicht verändert zu haben. Eines Tages, so sagt Fran, sah er Obdachlose an der Straße, während nur ein paar Meter weiter ein Lamborghini hielt. Hier ein sehr wahrscheinlich reicher Besitzer einer Luxuskarosse und direkt daneben die Verlierer des amerikanischen Kapitalismus-Traums. In Los Angeles entstehen große Showbiz-Karrieren, in den meisten Fällen enden diese vorher.
Im Falle von Ringan Ledge, einem befreundeten Regisseur, lag es nicht an der Stadt: Der Krebs entriss ihn aus dem Leben, seinen Tod versucht Fran ihn "Alive" zu verarbeiten. Eine seltsam fröhliche Melodie mit einem traurigen Text über Vergänglichkeit. Ringan war nur wenig älter als der mittlerweile 50-jährige Sänger. Ein Alter, in dem der Tod plötzlich bedrohlich nah kommt, anders als in den sorglosen Teenager-Jahren. Ein bekümmertes "Hey, hey, Bye, Bye" als eine Art Replik auf Neil Youngs "Hey Hey My My". Der kanadische Songwriter schrieb es Ende der Siebzgiger in einer Situation, als eher sich von einer jüngeren Generation überholt sah.
Doch "Alive" trägt nicht diese verängstigte Bitterkeit in sich. "We are alive / And as long as we are breathing, we can keep this dream alive". Nicht unbedingt auf einer Stufe mit den berühmtesten Poeten Schottlands, aber mit dem tragischen Hintergrund des Songs eine sehr verständliche Erbauungs-Prosa. Nur hatte Fran mal die Gabe, den Hörer komplett mit hineinzunehmen, seine Musik bot die Teilhabe an der Gefühlswelt. "Alive" schafft das leider nicht. Das Leben und Sterben in L.A. klang schon dringlicher, wenn man nur an Elliott Smith' "L.A." oder "Scott Street" von Phoebe Bridgers denkt.
Etwas besser macht es "Live It All Again", mit klagendem Falsett-Gesang und reduzierter-Akustik tatsächlich ein Kandidat für "The Man Who". Geschrieben aus dem tiefsten Trennungsschmerz holt der Song wirklich noch mal die alten Stärken hervor, für die man Travis einst feierte: Eine wirklich greifbare Bitternis und eine große Verletzlichkeit. Es geht um das Ende einer zwanzig Jahre langen Beziehung, doch mit der Geburt von Sohn Clay existiert auch ein Beweis, wie sehr diese Menschen irgendwann mal einander liebten. Bedauerlicherweise nicht der Blueprint für das gesamte Album, auf dem viel zu oft generischer Blues-Pop mit Schunkel-Garantie im Vordergrund steht. Die Band hatte mal ein Alleinstellungsmerkmal, nun verschwinden sie wirklich im amerikanischen Mainstream-Sound.
In "Raze The Bar" sitzen zu allem Unglück auch noch zwei Teufel auf den schmalen Schultern von Fran. Chris Martin, der Travis einst als massiven Einfluss auf die frühen Glanztaten wie "Parachutes" oder "A Rush Of Blood To The Head" pries, und Killers-Boss Brandon Flowers. Wer es nicht weiß, wird die Stimmen im Background nicht wahrnehmen. Es bleibt nur die ungute Vorstellung, wie der sonnengebräunte Coldplay-Sänger die armen Travis dazu drängte, ihren Indie-Ruf schnell zu vergessen und mit weit aufgerissenen Augen von riesigen Giga-Stadion-Touren schwärmte. War es womöglich seine Idee, einen Gospel-Chor einzubauen und damit den Mitklatsch-Faktor auf dieses Niveau zu senken? Steht schon ein gemeinsames Abendessen mit Max Martin an? Travis als Mini-Kopie von Coldplay? Mach diese Gedanken weg.
"Home" treibt das Call-to-Action-Prinzip weiter auf die Spitze, so sehr, dass man Travis schon nervös grinsend im ZDF-Fernsehgarten sieht, begleitet vom taktgenauen Klatschen der Rentner. Ein penetranter Feelgood-Song über die Freuden des Vaterseins. Diese "Hey, das Leben ist schön!"-Affirmation ist als Therapie-Ansatz wichtig, vertont bleibt nicht viel mehr als sagenhaft einfallsloser Düdel-Gesang. Warnung an jüngere Generationen: Wer aufgrund diverser mieser Erfahrungen nicht mehr weiß, wohin eigentlich, bleibt lieber im Middle Of The Road-Status hängen.
Es sind einfach zu viele von diesen austauschbaren Luftnummern auf dem Album und zu wenig Highlights wie "L.A.Times", der Abschluss von diesem durchwachsenen Album. Die dramatische Nachtmusik mit Ausflügen in den Prog-Bereich löst etwas aus. Es zeigt vor allem, wie Fran Healy derzeit ein Kompass fehlt. Eine kohärente Nachtstimmung, eine fast Pulp-eskes Drama wie der überraschend mutige Album-Titeltrack, und Fans könnten die Rückkehr zur Weltklasse früherer Tage feiern. Leider wird diese nur streckenweise angeteasert. Die Stripped Down-Versionen - leider nur auf den Streaming-Plattformen integriert, ansonsten nur in den physischen Deluxe-Versionen als Bonus erhältlich - lassen erahnen, dass Travis wohl selber an ihrem Weg zweifelten. "L.A. Times" hinterlässt den Eindruck einer verschenkten Comeback-Chance, und so viele davon bleiben Travis, die inzwischen schon länger nicht mehr auf Weltklasse-Niveau agieren, nicht mehr. So sorry that you turned to driftwood, aber wir haben sie natürlich trotzdem lieb.
4 Kommentare
Super Rezension, dem ist nichts hinzuzufügen!
Finde es auch schade, das es so wenig Highlights gibt. Hatte mich auf das Album gefreut, auch die Singles machten einen soliden Eindruck.
Aber auch ich finde es irgendwie zu durchwachsen.
Hoffentlich finden sie sich wieder, die Single mit Flowers sowie Martin ist leider gar nix. Wenn ich denke was die beiden Herren am Anfang ihre Karriere für klasse Alben gemacht haben, allerdings beide dann falsch abgebogen…
Letzte Platte war weeeeeeesentlich stärker, obwohl sie fast nur langsame Balladen hatte. Das hier ist viel zu glatt, und das Songwriting ungewöhnlich schwach.
Dieser Kommentar wurde vor 3 Monaten durch den Autor entfernt.
"L.A. Times ist unser persönlichstes Album seit 'The Man Who'." sagt Travis-Sänger Fran Healy über das zehnte Album der Schotten. Es ist nie ein gutes Zeichen, wenn alteingesessene Bands mit Superlativen und Vergleichen zu vergangenen Glanztaten ködern. Im Grunde genommen geht damit ein Eingeständnis einher, dass die glorreichen Zeiten vorbei sind."
Ich bin ja bei Gott kein Travis-Aficionado, aber der Einstieg macht mich schon fertig. Wenn ein Album laut Sänger ihr "persönlichstes" sei, ist das warum genau kein gutes Zeichen? "Das ist unser traurigstes Album bis dato". Wahnsinn, extrem schlechtes Zeichen! "Das ist unser zynischtes Album ever!". Oh Gott, bitte nicht!