laut.de-Kritik
Melancholie trifft auf schwungvolle Surf-Heiterkeit.
Review von Philipp KauseTré Burt wird das nächste "Astral Weeks" schreiben, wetten....? Nicht nur die Stimme des Singer/Songwriters Tré Burt, nicht nur sein eigentümlicher Stil, wie er Soul und Folk kreuzt, sondern auch seine Akkordverläufe sind außergewöhnlich. Wer fragt, was es denn für relevante neue Namen im Americana-Milieu gibt, kommt an dem 31-Jährigen schon seit dem Lockdown kaum vorbei.
Beim Durchhören von "Traffic Fiction" taumeln Assoziationen aus verschiedenen Musiksparten und Zeitphasen des Rock durcheinander, und alle Assoziationen mögen Zufall sein. Denn Tré wirkt so vollkommen in sich ruhend und wie ein Einsiedler, der abgeschottet über die Welt nachdenkt, dass alle Eigenheiten, Merkmale und Ähnlichkeiten mit anderen doch wieder abwegig erscheinen. Den Soundtrack seiner Kindheit, den er selbst nennt, Marvin Gaye, Stevie Wonder ("Play Stevie Wonder"), Temptations, Otis Redding, würde man beim Zuhören nie identifizieren.
In einem alten Cadillac, siehe Cover-Foto-Montage, habe er mit seinem Vater solchen klassischen Motown- und Stax-Sound unter der Sonne Kaliforniens gehört, wenn die beiden den weiten Weg zu einem Gewächshaus fuhren, wo der Papa arbeitete. Die zusammen gesponnenen Fantasien während jener Fahrten ergeben die hier vorliegende "Traffic Fiction" - also keine Fiktion im Drogenrausch/-handel. Der Titelsong mit verstimmter Hawaii-Gitarre und surreal versponnener Lyrik weckt Bilder unter leuchtendem Mondschein vor ansonsten schwarzem Nachthimmel in der Wüste mit sich nähernden roten Lichtern, "that's bringing me down."
Der Oldtimer gehörte zuvor dem kürzlich verstorbenen Opa, dessen die Platte gedenkt. "To Be A River" punktet als orgelgetränkte, mit vielen Ausdrucks-Modi von Krähen über Seufzen und Sinnieren bis Grummeln besungene Fahrt mit "my father's father Cadillac". Zu einem Date, zu dem der Anbetende allerdings weder den Weg weiß noch wie er die betreffende Person überzeugt, ohne dass sie eine Herzattacke bekommt. Dann fällt ihm die rettende Idee ein, welche Funktion er im Leben der anderen Person spielen könnte: ihr ein Fluss zu sein. Die Autofahrten dienen als roter Faden, mit kuriosen Momenten und Zeilen, zum Beispiel "waiting for a Jesus in a parking-lot" ("All Things Right").
Satt bounzt das Schlagzeug und twangt der Bass im tänzelnden "Win My Heart". "Your love is good to me / your love will set me free (...) you are the sunshine", so simpel der Liebestext, so vertrackt verwaschen wiehert die Lead Guitar, und so psychedelisch gluckert auch hier wieder die Orgel. Vergleicht man das Intro zu "Yo Face", wo der Gesang arg Dylan nacheifert, fällt es zudem schwer nicht an Van Morrisons "Queen Of The Slipstream" zu denken. Mit ihm verbinden sich sowohl versunkene Stimmungen als auch kurvenreiche Melodieverläufe auf dem ganzen Album.
Noch ein anderer Artist mit Wurzel in den 1960ern liegt nahe, der jüngst verstorbene Rodriguez, wenn's darum geht, Gänsehaut auszulösen. Abgesehen von ein paar Takten Afrofunk-Gitarre im Einstieg zu "Told Ya Then", dürfte Dylan dafür sowohl in Harmonieführung wie auch Phrasierung Pate gestanden haben, und auch sein kauzig keifender Ausdruck, der bei einzelnen Silben manchmal eruptiv laut wird, findet sich wieder. Nebst Mundharmonika-Spiel in "Wings For A Butterfly" und dem ein oder anderen Arrangement, das sich nahe an The Band (z.B. "Up On Cripple Creek") bewegt. Insgesamt also ganz viel aus dem 'Dylaniversum'.
Diese ganzen Querbezüge wären überhaupt nicht so bedeutsam, läge nicht dieses Gefühl in der Luft, dass Burt doch sehr vertraut klingt, obwohl er erst mal ein fremder Newcomer ist. Sich auf ihn zu konzentrieren, fällt schwer, ohne den Gedanken zu verfolgen: 'Woher kenn ich den?' - dabei kennt man andere von größerem Kaliber. Was ein bisschen die Qualität des handwerklich tollen Werks schmälert, ist seine Zusammensetzung aus nostalgischen Zitaten, ob sie nun absichtlich oder unbewusst erfolgen. In "Piece Of Me" gibt es etwa eine Bridge mit einem abrupten Schwung in eine höhere Tonlage und massivem Orgel-Sound, eine schöne, aber typische Modeerscheinung nahezu des Bluesrock der '80er.
"Kids In Tha Yard" hat mit dem direkten Einstieg "I do what I want / as I'm paying the rent" den Schwung eines nachgeschobenen New Radicals-Hits mit verschmitztem Loser-Humor der Sorte ich-hab-nichts-zu-melden-tue-aber-so-als-ob. Garniert mit psychedelischen Riffs, nimmt Tré das Leben der Working Poor in den USA auseinander. Solange die Kinder untergebracht sind, läuft es irgendwie, und während sie auf dem Pausenhof in den Himmel schauen und entdecken, wie groß der ist und was ihnen alles offen steht, weiß er: "I'll never be free / but I try to pretend."
Anfangs versetzt die Platte in Bann, schon wegen der intensiven Vocals, die nach etwas hungern und sich doch so klangsatt anhören. Gelegentlicher Bebop-a-lu-Rock'n'Roll-Twang im Gesang lässt an Shakin' Stevens denken, eine Spur an Iggy Pops Hit "The Passenger". Gegen Ende bräuchte es dann doch noch einen anderen Clou, um zu überraschen. Melancholie und Komplexität treffen auf schwungvolle Surf-Heiterkeit mit dezent düsterer Hintergrundfärbung im Stile Echo and the Bunnymens, durchsetzt von Jack White-artigen Riffs und Breaks, das ist die Rezeptur. Sie wirkt angenehm und interessant.
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