laut.de-Kritik
Grantler am Fensterbrett oder eine Empfehlung für James Bond?
Review von Sven KabelitzHerzlichen Glückwunsch zum Jubiläum, liebe Rolling Stones. Zur Feier eures fünfzigsten Geburtstags gebt ihr eine Handvoll Konzerte, zu denen sich das gemeine Volk mit Karten ab 500 Euro einkaufen kann. Dafür werdet ihr noch als fitte Altrocker gefeiert, während sie, Herr Jagger, sich noch erdreisten, den Fans spöttisch die lange Nase zu zeigen: "Wie geht es euch auf den billigen Plätzen?". Ein Tamtam über das Udo Jürgens, neun Jahre älter und drei Jahre länger im Geschäft, nur müde lächelt.
Dabei könnten sich die Stones an Herrn Bockelmann ein Beispiel nehmen. Anstatt sich auf seinen alten Lorbeeren auszuruhen, spielt er weiter fleißig neue Alben ein. Mit seiner letzten Platte "Der Ganz Normale Wahnsinn" geht der Godfather Of deutscher Schlager auf 50-Städte-Tournee. Zudem noch zu bezahlbaren Preisen. Wie bei James Brown, dem Godfather Of Soul, stehen bei einem Auftritt nicht die Kohle, sondern die Fans im Mittelpunkt. Ihnen gilt es selbst mit 78, auf einem Ohr halb taub, auf einem Auge halb blind, noch alles zu geben.
Wie schon zur guten Gewohnheit geworden, folgt auf Studio- das Livealbum zur Tournee. Wer jetzt laut 'Ausverkauf!' schreit, outet sich als Unwissender im Universum des Moralisten im Bademantel. Seine Livemitschnitte gleichen immer einer kleinen Wundertüte. Ein Fest für Perlentaucher. Im Mittelpunkt steht das aktuelle Werk, komplett neu arrangiert. Lieder, die im Schatten stehen, verfeinern das Programm. Erst gegen Ende steigt die große Sause und Jürgens reiht einen Gassenhauer an den anderen.
Wie für den Sänger üblich, beginnt "Der Ganz Normale Wahnsinn – Live" still und ruhig. Mit einem Gegenentwurf zum Lärm des Konzertalltags zieht Udo Jürgens seine Zuhörer in Bann. Die Ruhe des Saals füllt er mit "Noch 3 Minuten" von 1978 aus. Intim, leise und voller Demut singt er vom Lampenfieber vor dem Auftritt. Selbst in seinem mittlerweile 1.000 Lieder umfassenden Repertoire dürfte sich nur schwer ein besserer Song zur Einleitung finden. "Noch drei Minuten, dann geht der Vorhang auf, gleich steh ich auf der Bühne, das Spiel nimmt seinen Lauf." Wenn sich dieser dann endlich öffnet, swingt sie der Entertainer, ganz im Stile eines Frank Sinatras, durch das von der großen Welt angehauchte "Schenk Mir einen Traum".
Aktuelle Nummern wie das angefunkte "Gegen Den Wind" klingen schnell wie alte Bekannte. Nahtlos reiht sich "Der Mann Mit Dem Fagott", mit Teilen der Filmmusik versetzt und zu einem zwölfminütigen Monument aufgepeppelt, in die Riege der Klassiker ein. In "Die Frau, Die Ich Nie Traf" stellt ein verletzter Jürgens den immer gleichen Durchhalteparolen 'Jeder Topf findet sein Deckelchen' und 'Alles wird gut' die spröde Realität entgegen. Manch ein Fan wird sich ertappt fühlen. Frei nach Westernhagen: "Denn Garantien gibt dir keiner / Kein lieber Gott, auch der nicht, leider".
"Glut Und Eis" von "Treibjagd" (1985) empfiehlt sich in einer energischen und bombastischen Liveversion im Nachhinein für einen James Bond-Soundtrack. Weg mit Adele, her mit Udo. Befreit vom lästigen Malle-Disco-Beat des Originals wird aus "Heute Beginnt Der Rest Deines Lebens" endlich der große Jürgens-Klassiker, der schon immer unter der Studioproduktion verborgen lag.
"Flieg Mit Mir" verbindet Jürgens meisterlich und unter mithilfe des vierstimmigen Jazzchors 'The Voices' mit dem Sinatra-Klassiker "Come Fly With Me". Im salbungsvollen Evergreen "Was Ich Dir Sagen Will" mischt er den deutschen Text mit englischen und französischen Strophen.
Leider scheitert Udo ausgerechnet in seiner ehemaligen Paradedisziplin. Wenn er aktuelle Themen aufgreift und anprangert wird aus dem Mann, der einst der Spießerschaft einen Spiegel vorhielt, ein mit Kissen am Fenster brummelnder alter Grantler.
Er persönlich könne mit dem Internet und sozialen Netzwerken nur wenig anfangen. "Ich stamme aus einer anderen Zeit als Lady Gaga", sagt er. Das merkt man "Du Bist Durchschaut" und "Alles Ist So Easy", seinen Abrechnungen mit der Internetwelt, Anglizismen und dem gläsernem Leben an. Er spricht über eine Welt, die er so gar nicht mehr versteht. Obacht, sonst verschafft er sich mit dieser zwar nicht ganz abzuweisenden, aber doch sehr voreingenommenen Meinung, doch noch Einlass in "Ein Ehrenwertes Haus". Und dort will doch wirklich niemand von uns das Klingelschild dieses Ausnahmekünstlers finden.
Zudem leidet "Der Ganz Normale Wahnsinn – Live" im Vergleich zu älteren Aufnahmen, wie "Gestern - Heute - Morgen - Live '97" unter der leblosen Abmischung. Vom Publikum ist kaum etwas zu hören. Das große Theater verkommt zu einem unschönen und undefinierten Soundbrei, dem Dynamik und Emotionen abgehen.
Eine letzte Parallele zwischen James Brown und Udo Jürgens zeigt sich zum Ende eines Konzerts. Was dem einen seine Cape Routine, ist dem anderen sein weißer Bademantel. Sein Finale am Schimmel-Flügel schmückt der Österreicher mit "Mercie Chérie", "Vielen Dank Für Die Blumen", "Griechischer Wein" und "Liebe Ohne Leiden". Spätestens in diesem Moment kann man den Worten, mit denen Jürgens das Booklet der CD beschließt, nur noch zustimmen: "Live ist Leben".
2 Kommentare
50 Städte Tournee, um 50 unehelichen Kinder zu besuchen?
@JaDeVin:
Höchstens die weiblichen, die mittlerweile die Geschlechtsreife erreicht haben.
@topic:
Schon ein Phänomen, der Mann. Immer noch mittendrin im Zirkus, und irgendwie wird er von Mal zu Mal unantastbarer. Die große Zeit hat er hinter sich, aber immerhin hält er seinen Qualitätsanspruch so hoch, daß sich die Totalausfälle in Sachen Material in Grenzen halten. Kann man nicht von vielen Leuten behaupten. Ich glaub', das Album leiste ich mir ...
Gruß
Skywise