laut.de-Kritik
Es kann schon sein, dass ein Mann auch einmal weint.
Review von Stefan Johannesberg"Ein filmisches Desaster mit grandioser Musik", schrieb Arno Frank auf spiegel.de zum Zweiteiler "Der Mann Mit Dem Fagott". Und tatsächlich versprühte die ARD-Verfilmung der Bockelmannschen Geschichte trotz unglaublich guter Schauspieler mitunter einen süß-pilchrigen ZDF-Charme – nur aufgebrochen, wenn sich Udo Jürgens, egal ob als Junge oder junger Mann, ans Klavier setzte. Dann ging tatsächlich immer, immer, immer wieder die Sonne auf.
Jürgens komponiert sich in den extra für den Film geschriebenen Songs wie den soulig-swingenden "There Will Never Be Another You" und "Love Is Here To Stay" oder dem jazzigen "That Lucky Old Sun" in seine Jugend zurück. Wie würde Rap-Superstar Jay-Z bzw. Austin Powers sagen, "I've got my mojo back". Schlagartig wird einem bewusst, dass und vor allem wie Udo früher auch Hits für Sammy Davis Jr. schreiben konnte.
Der Soundtrack zeigt jedoch auch die pathetische Seite des Komponisten Jürgens – im glanzvollen Café Größenwahn: Streicherparts, klassische Harmoniebögen mit Leitmotiv treffen auf russische Volkslieder. In arg kitschigen Momenten wird einem wiederum klar, dass Udo auch die "Traumschiff"-Serienmelodie schrieb. In guten Momenten erinnert "Der Mann Mit Dem Fagott" an sein orchestrales Monsteralbum "Wort" von 1980 oder an monumentale Frühwerke wie "Der Große Abschied". Der Soundtrack funktioniert daher auch gut ohne Opa Berkel im Blick.
Spannend wird es vor allem für Udo-Neulinge und Sonntagshörer bei der Bonus-CD "Reise Durch Mein Leben". Okay, wer noch nie am Kieselsteinweg stand und gerührt dem Sohn KEINEN "gekauften Drachen" wünschte, lässt von Udo am besten auch weiterhin die Finger. Alle anderen schwelgen zur melancholischen Piano/Streicher-Hymne "Nach All Den Jahren", in der er mit biographisch passenden Zeilen "Ich denk an dich … nicht erfasst von meinem Rückenwind" die Schranken des Schlagers komplett verlässt und wie auch im poetisch-zärtlichen "Mein Bruder Ist Ein Maler" oder dem gemütlich-atmosphärischen "Wien" großen Bombast-Pop abliefert.
Bei der intensiven Solo-Live-Interpretation von "Gäbe Es Nur Noch Dieses Lied Für Mich" wirft er vor dem "Spiegel Der Melancholie" sitzend einen Blick zurück und verrät das Geheimnis seines Erfolges: Die Sehnsucht nach der Magie der Musik. Und die swingt in "Wenn Ein Lied So Wäre Wie Du", wühlt tief im naiven 80er Schlager mit "Mein Baum" und "Liebe Ohne Leiden" und entdeckt in "Geradeaus" den Gutmenschen-Deutschrock. Mit Zeilen wie "Gegen Mittelmaß und Schweigen, jede Maske wär' Betrug" entdeckten schon in den Neunzigern aufmüpfige Jugendliche Udo Jürgens.
"Wer sich auf "Der Mann mit dem Fagott" einlässt, der sollte das also auf die einzig interessante Weise tun - mit geschlossenen Augen", darf noch einmal Arno Frank die Schlussakkorde spielen. Wenn man sich auf Udo "That Lucky Old Sun" Jürgens einlässt, dann kann es wirklich sein, dass ein Mann auch einmal weint. "Ich würd es wieder tun".
6 Kommentare
Fagott...höhöhö
@Zweimalposter (« Fagott...höhöhö »):
Genau das wollte ich auch schreiben, gut, das ich nicht der einzigste postpubertäre 12-Jährige hier bin.
"Wien" endlich auf CD! Nach dem Song hab' ich schon lang gesucht, endlich fündig!
"Wien! Und der Tag ist ohne Mitleid,
erste Straßenbahnen ziehen
Richtung Prater zu den Resten unserer Nacht
Wien! Doch wo Lärm war, ist jetzt Stille,
denn die bunten Ringelspiele und die Buden sind längst zugemacht
Nur ein alter Mann kehrt stumm mit seinem Besen
unser letztes Lachen müd durch die Allee..."
Haach.
Nur "Kairo Bei Nacht" kommt da noch ran.
aber sehr, sehr geile rezi.
die gefühlten 100 versteckten udo-ismen rocken den text schön durch.
der film war wirklich das grauen, bah.
@mobeat Bist du jetzt ein 12-Jähriger, der zwar schon die Pubertät hinter sich hat, aber dennoch verstaubten Orthografie-Auswüchsen frönt?
Ihr wisst aber schon dass "There Will Never Be Another You", "Love Is Here To Stay" und "That Lucky Old Sun" jazz-standards sind oder?