laut.de-Kritik

Besser als die letzten zehn Scorpions-Platten zusammen

Review von

Gitarren-Ikone Uli Jon Roth verhält sich zu den Scorpions in etwa wie Steve Hackett zu Genesis. Als aktives Mitglied war er Rückgrat der Band. Und wie Hacketts Abgang löste auch Roths Ausstieg schleichende musikalische Auflösungserscheinungen aus. Mit dem herausragenden "Scorpions Revisited" widmet Roth sich nun noch einmal der eigenen Vergangenheit mit knapp 20 neu eingespielten Tracks, die 100 mal mehr Verve transportieren als die letzten zehn Scorpionsplatten zusammen.

Die Songs stammen allesamt aus der Zeit zwischen "Fly To The Rainbow" (1974) und "Taken By Force" (1977). Ein Glückfall für den Hörer! Denn Roth gelingt mit seiner recht jungen Mannschaft im Alleingang die absolute Rehabilitation der Scorps als musikhistorisch wichtige Band. Wurde Zeit!

Roth selbst erklärt die spannenden Sessions folgendermaßen: "Das Material für diese Doppel-CD entstand in Hannover, in exakt derselben Theaterhalle, die wir von 1973-1978 für die Scorpions-Proben nutzten. Zusammen mit ein paar großartigen, jungen und talentierten Musikern interpretiere ich meine persönlichen Favoriten der frühen Scorpions-Zeit. Einige davon sind damals in genau diesem gut klingenden, sehr inspirierenden Raum entstanden. Die Idee dahinter ist, den originalen Songs treu zu bleiben, sie aber trotzdem aus einem anderen Blickwinkel zu interpretieren, soweit erforderlich."

Gut gesagt und noch besser musiziert! Die Mannschaft klingt in der Tat sehr frisch und herrlich unbekümmert beim Herantasten an die Klassiker. UJR hatte schon immer ein Händchen für ebenso kompetente wie passende Partner in Crime. Besonderes Augenmerk sollte man Sänger Nathan James widmen. Er zündet ein wahres Rockfeuerwerk und liefert eine Vorstellung ab, die in vielen Momenten sogar deutlich besser klingt als der Gesang im jeweiligen 70er Original.

Das Gute an Roth: Er ist ein absolut ambitionierter Musikverrückter. So schnappt er sich seine selbst konstruierte Sky-Guitar und veredelt sämtliche Songs mit Blues, Heavy-Hendrix-Stuff oder angedeuteten klassischen Elementen. Das schmucke Ergebnis ist Reinkarnation, Variation und Interpretation zugleich. Experiment geglückt!

Besonders zugute kommt den - im wesentlichen auch von Roth komponierten - Liedern, dass der gebürtige Düsseldorfer nunmehr wirklich alles an musikalischen Facetten hineinlegen kann, was den jungen Scorpions seinerzeit spielerisch verwehrt blieb. Ohne jede stilistische oder spielerische Limitierung bekommt sogar der erfahrene Kenner hier erstmalig folgenden Eindruck: Verdammt, genau so hätte es alles immer schon klingen sollen!

Anspieltipps gibt es in Hülle und Fülle. Der Opener "The Sails of Charon" ("Taken By Force") kommt wesentlich progressiver und komplexer aus den Boxen, ohne den straighten Hardrock-Touch zu verlieren. Der alte Klopper "In Trance" ("In Trance" 1975) erscheint hier so knackig wie noch nie. Was Nathan James hier an stimmlicher Power und Variabilität bringt, sollte jedem Genrefan Tränen in die Augen treiben (so auch "Dark Lady"; ebenfalls von "In Trance"). Mehr Leidenschaft geht kaum!

Als absolute Killer unter Killern erweisen sich gleichwohl die atmosphärischen Augenblicke. "We'll Burn The Sky" ("Taken By Force") etwa erstrahlt in ganz und gar neuartiger Dramaturgie. Hier hört man besonders deutlich den Einfluss, den Roth auf Gitarristen wie Malmsteen hat.

Ultimative Edelkirsche auf der Torte ist die ewige UJR-Visitenkarte "Fly To The Rainbow" vom gleichnamigen Album. Nach aller gebotenen Superlative stellt Roth hier sogar die legendäre "Tokyo Tapes"-Version in den Schatten. Zwölf Minuten dauert dieser letzte Song, der schon Metallicas Kirk Hammett als Teenager inspirierte. Darin findet sich alles komprimiert, was dieses Album ausmacht. So gelingt Uli Jon Roth mit "Scorpions Revisited" die ultimative Platte für Scorpions-Lover & -Hater gleichermaßen.

Trackliste

  1. 1. The Sails Of Charon
  2. 2. Longing For Fire
  3. 3. Crying Days
  4. 4. Virgin Killer
  5. 5. In Trance
  6. 6. Sun In My Hand
  7. 7. Yellow Raven
  8. 8. Polar Nights
  9. 9. Dark Lady
  10. 10. Catch Your Train
  11. 11. Evening Wind
  12. 12. All Night Long
  13. 13. We'll Burn The Sky
  14. 14. Pictured Life
  15. 15. Hell-Cat
  16. 16. Life's Like A River
  17. 17. Drifting Sun
  18. 18. Rainbow Dream Prelude
  19. 19. Fly To The Rainbow

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2 Kommentare mit einer Antwort

  • Vor 9 Jahren

    Die Auferstehung der Seele der Scorpions? Das wäre zu schön. Sie waren mein erstes großes Konzerterlebnis (1979), ich habe jahrelang den Skorpion auf meiner Jeansjacke getragen und glücklicherweise weit vor "Winds" den Absprung geschafft. Jahrzehnte später missmutig die beiden Shows in Wacken gesehen, mich zwar über die Songs mit UJR und MS(G) (2006) gefreut, mich aber über die knödelkrächzende Maus Kleine (2006/2012) geärgert. Der letzte Funke war erloschen, aus die Maus. Jetzt bin ich umso neugieriger auf die neuen alten Zeiten. Wenn die Seele weiterlebt, ist das Andenken gerettet. Wenn es denn mal kein Horcrux ist. Danke an Herrn Kubanke (für den Text der neugierig macht).
    ZB

  • Vor 9 Jahren

    Supergeil! Jeder, der mit Klassik-Rock etwas anfangen kann, sollte mal in dieses Album reinhören! Wenn jetzt noch Ronnie James Dio mit Uli singen könnte...