laut.de-Kritik
Ein polyamouröses Experiment, vielseitig vertont.
Review von Hannes WesselkämperMit wie viel Liebe und gegensätzlichen Gefühlen kann ein Mensch umgehen? Diese Frage verfolgt Ruban Nielson nicht nur als Unknown Mortal Orchestra auf seinem dritten Album "Multi-Love", sondern ebenso in seinem Privatleben. Ein polyamouröses Experiment zeigt dem Neuseeländer ein Jahr lang, wie sehr diese Art der Liebe alles in seinen Bann zieht, die Realität verzerrt und eiserne Verbindungen aufweicht.
Dabei vereinigt Nielson die zunächst abschreckende Psychologie der Songs auf beeindruckende Weise mit einer spielerischen Form. "Multi-Love" muss also auch Multi-Genre heißen. Persönliche Beziehungen brechen auf, ebenso wie das psychedelisch gefärbte Muster des Vorgängeralbums "II" zusehends ineinander fällt.
Natürlich gibt es sie noch: die verzerrten Stimmwolken, die sich über zart sägende Gitarrenriffs legen. Sie lassen Unknown Mortal Orchestra in ihren poppigsten Momenten wie ein Sergeant Pepper-Update klingen, und auch Frank Zappa lugt hinter jeder Ecke hervor. Augenscheinlich legt Nielson aber mehr Wert auf den Taumel des Experiments, der ein Spiegel seines privaten Beziehungsgeflechts darstellt.
Dreh- und Angelpunkt ist dabei das Schlagzeugspiel von Ruban Nielsons Bruder Kody, den er aus Neuseeland in seine Wahlheimat Portland fliegen lässt – privates Chaos festigt eben manchmal auch vergessene Beziehungen. Präzise bahnen sich dessen Hip Hop-Grooves einen Weg durch den Wald aus Funk und Synthieflächen. Kody Nielsons Drumming rückt auch dank einer entsprechenden Produktion in den Vordergrund, setzt polternde Akzente und überbietet sich in Variationen des eigenen Beats.
Die warmen Sounds der von Ruban Nielson selbst restaurierten Synthesizer impfen dem Multi-Love-Chaos Tiefe und Optimismus ein. Außerdem schwingt stets ein nostalgisches Augenzwinkern mit, wie es die Kollegen Kindness und Destroyer so beeindruckend verfolgen. Klar, der leichten Ironie einer ausgetretenen 808-Cowbell oder der breitbeinigen Funk-Bassläufe können sich die neun Songs auf "Multi-Love" nicht verwehren.
Nielsons Gleichung von persönlichen Ausdrucksformen gleich musikalischer Vielfalt geht aber gerade deshalb auf voller Linie auf. Zu keinem Zeitpunkt der knappen Dreiviertelstunde wirken die Songkonstrukte beliebig oder verkopft. Experiment und unverschämte Eingängigkeit halten sich auf "Multi-Love" die Waage.
Unknown Mortal Orchestras drittes Album ist darüber hinaus mit einer eigenartigen Herzlichkeit versehen, die sich höchstens zwischen den Songs finden ließe. Vielleicht liegt das an Nielsons ehemals alkoholkrankem Vater, der die Bläserparts einspielt, am versierten Schlagzeugbruder oder an der bittersüßen Schwere der privaten Polyamourie. Letztere geht nämlich gehörig in die Hose und Nielson steht statt mit zwei Frauen komplett ohne da – dafür aber mit seinem bisher besten Album.
4 Kommentare mit 4 Antworten
Bestes Album 2015! Unpackbare Genialität!
Ja, ja, jaaa!
Puh, schwer zu beurteilen, nicht ganz mein Genre, klingt für mich wie ne eingängigere Version von Bibio
Gutes Album aber das unfassbar geniale Meisterwerk das hier alle hören hab ich noch nicht darin erkannt. Dafür fehlt mir irgendwie etwas die Homogenität und der ein oder andere herausragende Song, den es auf 'II' noch gab (im Nachhinein 'Swim and Sleep' SOTY 2013).
Die Hintergrundgeschichte ist jedenfalls schon ganz funni (mit seiner Frau ist der Ruban aber soweit ich weiß zusammengeblieben?).
Es wächst langsam nach öfterem Hören, das war bei II nicht so. Das ging sofort ins Ohr. Die Komplexität macht das Ding etwas schwerer zugänglich. Aber man findet auch herausragende Songs, zB den Titeltrack MULTI LOVE, NECESSARY EVIL, EXTREME WEALTH AND CASUAL CRUELTY, STAGE OR SCREEN, PUZZLES...
Den Titeltrack find ich auch stark, aber Track 2 und 3 dagegen (die auch nicht in deiner Liste auftauchen) schon fast ein bisschen irritierend, und ich glaub da wächst auch nix mehr. Insgesamt fehlen mir rockistischem Einfaltspinsel wahrscheinlich einfach ein bisschen die Gitarren, die meisten Songs bestehen gefühlt ja nur aus Percussion und Keyboard. Naja, wie gesagt, trotzdem gutes Album und insbesondere bei die zweiten Albenhälfte kann vielleicht noch wachsen.
Nummer 2 ist sicher die schwächste Nummer. 3 find ich hingegen ganz gut - nicht berauschend aber gut. Ich trau mir ein bisschen behaupten, Ruban hat mit diesem Album einen Meilenstein geschaffen. Ein bisschen wie eine völlig neue Musikrichtung!
Kann ich so nur unterschreiben (von wegen Homogenität), aber mir gefällt's dagegen noch besser als II, was nie gezündet hat.