laut.de-Kritik
Anstelle von Thujon berauscht hier entspannte elektronische Musik.
Review von Janosch MüllerSeit einiger Zeit darf in Deutschland wieder Absinth verkauft werden - der enthält aber außer 70-80 % Alkohol und grünem Farbstoff nicht viel. Der Gehalt des eigentlichen Wirkstoffs Thujon, für den das Wermutgebräu bekannt ist, ist gesetzlich auf zehn mg/l begrenzt. Das bedeutet im Klartext, dass man ethanolbedingt im Koma liegt, bevor sich irgendwelche Anzeichen eines Thujonrausches bemerkbar machen. Da muss sich was tun, dachten sich wohl die Leute beim Absinthversand La Fee Verte. Aber anstatt jetzt Terpentin reinzumischen, das zwar richtig giftig ist, aber so ähnlich wirken soll, oder stärkeren Absinth aus Tschechien einzuschmuggeln, brauten sie lieber selber eine kleine, aber feine Compilation mit dem Titel "Absinth".
"The finest ambient house & bar cuts" steht auf dem Cover. Klingt ungefährlich, also mal rein mit dem Zeugs! CD eins läuft, aber irgendwie schmeckt das nicht so richtig nach Absinth. Nach einem guten Anfang mit Artists wie Rheingold zeigt die erste Hälfte nicht viel mehr Charakter als ein wässriges Billigbier. Endlose Ambientsounds aus dem Synthesizer werden von jenem sonderbaren Geklimper begleitet, mit dem jedes zweite mediterrane Restaurant einen besonderen nationalen Flair vortäuschen will, um Touris anzulocken. Nur Sputnik32 mit "Barcelona (Malentes Tribal Resurrection)" und die Jungle Brothers können Akzente setzen. Gegen Ende wird der Geschmack schon eher erträglich, aber plötzlich scheint es, als wäre da was ins Brauwasser gefallen: Nicht, dass Velvet99s "These Boots Are Made For Walking" unerträglich wäre, nur wirkt es hier völlig fehl am Platze.
Naja, das war ja nicht so schlimm wie erwartet, aber wo bleibt denn die Wirkung? Vielleicht noch was nachlegen? Genau! Und mit der zweiten CD geht dann ganz gut die Post ab. Der erste Schluck schüttelt die Geschmacksnerven mit Drum'n'Bass wach, und den Rest will man auch nicht mehr stehen lassen. Auch wenns im Anfangsbereich nochmal bitter wird, die zweite Hälfte entschädigt. Nach "Caloumet", "Muel", "Turkish Flamenco", "Bla Bla Bla" (ohnehin keines der schlimmeren Machwerke Gigis, und im Drammentenza Mix direkt schmackhaft) und "Sweet" holt einen erst das für einen nicht japanisch sprechenden Mitteleuropäer arg wirre "Otsukisamano Kage" aus einer gemütlichen Rausch-Versunkenheit. "Wings" von Ming überrascht zwar positiv, doch ausgerechnet "Your Sincerely Lionel", das schon auf CD eins mit stumpfem Gelaber Übelkeit provozierte, schafft es, in einem zweiten Mix den guten Gesamteindruck der CD Nummer zwei noch etwas zu dämpfen.
Die Aufschrift wird den auf der Compilation vertretenen Genres ohnehin nicht ganz gerecht, aber angesichts der Vielfalt die sich über die zwei CDs mehr und mehr bemerkbar macht, wäre eine Bezeichnung "The finest electronica" vielleicht eher angemessen gewesen. Ob das jetzt Abwechslungsreichtum und Geschmacksvielfalt ist oder ein uneinheitliches Gesöff, bei dem nicht so recht drin ist, was draufsteht, muss jeder für sich entscheiden. Auch wenn man sich auf letzeres besinnt, bietet vor allem die zweite CD einen guten Querschnitt durch die Riege der entspannteren elektronischen Musik.
Der Alkoholgehalt erfüllt locker alle Forderungen, aber um sich vom nächsten Billig-Schnaps zu unterscheiden fehlt es bei diesem Absinth noch an Konsistenz - oder Thujon. Jedenfalls besteht, so lange die Scheiben nicht durchgängig qualitativ hochwertigen Inhalt aufweisen, keine Gefahr, in Ekstase zu geraten und sich wie van Gogh den Lauscher abzuschnippeln. Trotzdem: Wohl bekommt's!
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