laut.de-Kritik
Glückwunsch an eine kleine Insel zu unfassbar viel zeitloser Musik.
Review von Philipp KauseAm 6. August 1962 gelang Jamaika, was ein paar andere Staaten zuvor erreicht hatten, worauf andere lange warten mussten: die (formale) Unabhängigkeit von der britischen Krone. Das kann man nicht oft genug feiern, "Celebrating Jamaica 61". Ghana gab den Anstoß, Jamaika kam relativ bald an die Reihe, Hongkong war 1997 Schlusslicht. Die Karibikinsel mit der Hauptstadt Kingston kannte im Sommer '62 noch nicht das, wofür sie so berühmt wurde: den Reggae, erst etwa sechs Jahre später geboren.
Feiert man das kleine Land an seinem Geburtstag, dann bitte mit Musik, wie in dieser Compilation, der Fortsetzung von "Celebrating Jamaica 50". Ska war 1962 gerade im Kommen, und der "Monkey Man" von Toots & The Maytals vertritt diese Entstehungszeit als einer der Titel, die bis heute noch immer super funktionieren. Schönstes Cover war das von Amy Winehouse; Richie Spice bringt einen mit seiner Version namens "Rasta Man" schnell in Stimmung für den Sampler.
Ein paar Rosinen lassen sich heraus picken. "Hezron & Big Youth - I Shall Be Released" führt einen jamaikanischen Rasta der religiösen Gesangsfraktion mit einem der Ur-DJ-Toaster aus der Pionier-Generation des Dancehall zusammen. Sie bringen Dylans Freiheitshymne zum Leuchten. Der Sound strahlt so farbenfroh wie der Liedtext behauptet, "the light comes shi-i-nin' / from the west down to the e-east". Der Folk Classic aus dem Jahr 1968 erzählt von der Freiheit von Gefangenschaft, der "freedom from captivity". Das Saxophon-Posaunen-Arrangement umspielt die Stimmen sanft. Die Gesangs-Parts sind in einen souligen Harmonieverlauf transponiert und kochen das Lied brühwarm auf. Es rührt an und ruft eine Zeit wach, in der Protestmusik Geschichte schrieb. Die hochwertige Aufnahme kitzelt tiefe Harmonie und viel Energie aus Dylans Komposition, die schon in den Sixties ihr Echo in einem ersten im Jamaika-Cover fand.
Weiteres großes Highlight ist "Josey Wales - Hide And Seek", Unveröffentlichtes, Starkes von einem der Rasta-Stars der '80er. Die US-Band Big Mountain gilt als zweifelhafter Kompromiss zwischen Pop und Roots. Big Mountain beteiligen sich im sehnsüchtig kehlig performten "If Only I Knew" zu einer unwiderstehlich eingängigen Hook-Melodie. Sportiv gespielte Keyboards untermauern ein verbales Lob an Beres Hammond im Liedtext. Stil, Qualität und Cheesyness lehnen sich hier an seine Nummern an, wie sich in fetten Orgel-Riffs erkennen lässt. Die Drums reißen mit, eine Ragga-Einlage von Honorebel erhöht den dramaturgischen Reiz.
"Die Zeit ließ es nicht zu, dass wir das Album schon letztes Jahr raus gebracht hätten", erinnert Compilation-Kurator Tad Dawkins in der Zeitung Jamaica Gleaner an die Pandemie 2022 und ein verpasstes rundes Jubiläum. "Dennoch ist es wichtig, dass wir dieses Gedenk-Projekt durchziehen, das unser reiches musikalisches Erbe zeigt."
Ein großer Schatz des Lovers Rock, Beres Hammonds legendärer "They Gonna Talk Riddim" (2000), dient als Grundlage für "Gregory Isaacs - Never Knew Love". Das einmalige Zitter-Timbre des 'Cool Ruler' wird dank dieser übersehenen Aufnahme (2001) noch mal lebendig. Isaacs schmachtet, lachschluchzt, schauspielert hier, ein großer Entertainment-Profi am Werk. Wo Gregory auftaucht, darf auch sein Pendant Dennis Brown aus dem Jenseits nicht fehlen. Dessen Soul-Song "Dennis Brown - Since I've Been Loving You" entstammt zwar einem recht wichtigen Album, ist keine Rarität. Aber das Wieder-Herausfischen ist ein schöner Geburtstagsgruß, um die Insel trotz ihrer oft düsteren Alltags-Realität zu feiern.
Der Verlust von Heimat durch Sklavenverschleppung und wie die Welt sich entlang von Interessen an Bodenschätzen ordnet, das verfolgt der Titel von "Jah Izrehl - Repatriation". Die Keyboards folgen hier dem Klang eines Leierkastens. Hört man selten.
Neben Liedern, die thematisch passen, kugeln viele wie zufällig durch die Playlist. Teils liegt's an der Zielgruppe, aus der Karibik Ausgewanderte. "Wir werden das Album insbesondere in der 'Diaspora' für die Leute dort promoten - sie sind patriotisch und lieben und unterstützen die Musik und die Dinge, die sie mit Jamaika verbinden", so der verantwortliche Tad A. Dawkins im 'Jamaica Gleaner'.
"Caryl Jacobs - Easy On Me" ist so ein random-Anteil in der Sammlung. Denn die in Trinidad geborene Sängerin lebt in Florida und covert ein englisches Lied von Adele. Und der Adele lässt sich augenscheinlich nicht entkommen, auch wenn man sich gegen sie sträubt. Denn mittlerweile gibt's sogar etliche Reggae-Wiedergaben von diesem Hit. Caryls Fassung passt.
Die Instrumentals "Okeil McIntyre - Clock Tower Rock" und "Dean Fraser - Belafonte Rock" lockern auf. Der "Belafonte Rock" folgt als gezückter Hut vor Harry auf der Fährte von der Geburt des Ska bis zurück in den Calypso auf einem "Island In The Sun". Auch zwei Songs aus dem Meilenstein "Calypso" tauchen in Medley-Zitaten auf. Eine Saxophon-Hommage an Reggaes Urgroßonkel Belafonte! "Weil Harry Belafonte gerade starb, entschieden wir uns, ihm Tribut zu zollen", gibt der Inhaber des Indie-Labels Tad's zu.
Auf Basis des Uralt-Klassikers "Va Va Voom (Boom Boom, Festival Time)" erklärt "Glen Washington - Rockers Nuh Crackers" den Reiz der Rockers: Stücken mit einem flirrenden, schnellen Ska-Beat, während auch ein bezeichnender Film namens "Rockers" das Genre Reggae und die Insel Jamaika außerhalb populär machte. Der Stellenwert lag schon mal weitaus höher für diese besondere Exportfrucht. Etwa als "Rivers Of Babylon" dank Boney M in die Charts einmarschierte, Original made in Jamaica, 1970. "Duane Stephenson - Rivers Of Babylon" holt das Beste aus dem Hit raus, den man aber nicht nochmal braucht. Trotzdem: "Celebrating Jamaica 61" würdigt ein Genre, das sich rasch internationalisierte und sich mittlerweile auf allen Kontinenten eingenistet hat. Raspect to the fullest!
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