laut.de-Kritik
Rap gegen Kinderarmut, weder weinerlich noch anbiedernd.
Review von Dani FrommDie Probleme unterprivilegierter, verwahrloster, in vielerlei Hinsicht armer Kinder haben in den vergangenen Monaten nicht abgenommen. Noch immer leisten die Mitarbeiter der ARCHE erste Hilfe an der Front - auch, indem sie Geschichten der Betroffenen öffentlich machen, Aufmerksamkeit generieren und den vergessenen Kindern als Sprachrohr dienen.
Noch immer liefert man bei Mellowvibes Media den passenden Soundtrack dazu - denn noch immer hört ein großer Prozentsatz der Betroffenen in erster Linie Rap-Musik. Deren Vielfalt abzubilden ist eines der Ziele, die die Fortsetzung von "Deutschlands Vergessene Kinder" verfolgt.
Auch die zweite Ausgabe pflügt sich - in ehrenvollster Absicht - kreuz und quer durch den Hip Hop-Gemüsegarten. Von alten Hasen über etablierte Nasen bis hin zum motivierten Newcomer: alles drin.
Urgesteine wie Curse, Spax oder die Firma stehen neben Typen wie Olson Rough oder Kaled Ibrahim, von denen zumindest ich nie zuvor gehört habe. Möglicherweise ein Fehler, wie des ersteren hungriges "Glaubt Mir" vermuten lässt.
Harte Brocken wie B-Tight oder Basstard reihen sich in seltener Eintracht neben Schmachtfetzen-Interpreten des Kalibers einer Cassandra Steen ein - und zeigen sich zudem von einer ungewohnt reflektierten Seite.
Bobby Dick lässt denselben eingepackt und berichtet in "Verlorene Seelen" zusammen mit Sekte-Kumpel Fuhrmann so realistisch wie schonungslos aus den weniger pompösen Straßen Berlins: "Kuck' dir meine Gegend an und du wirst dich fragen, wie man hier überhaupt leben kann." Statt das Ghetto zu glorifizieren, sucht B-Tight hier nach Auswegen. Genau darum ging es einst eigentlich, im Straßenrap.
Harris sucht, statt Fuffies in den Club zu schmeißen, die Ursachen der Probleme der Kinder bei den Schwierigkeiten der Eltern: "Ich Sehe". Klimpernde Klaviernoten, drückende Bässe, Claps und Babygeschrei umrahmen seine Überlegungen.
Prinz Pi schließt eine Allianz mit Basstard, der - statt wie sonst direkt dem Schlund der Hölle entfleucht - in "Regentage" sogar mitfühlend klingt, wenn das ungleiche Doppel aus zwei Perspektiven kleine Geschichten aus dem Hinterhof erzählt.
Was "die meisten Mädels in deiner Klasse und deine Freundinnen" bewegt, weiß F.R.: Der Jungspund erschüttert mit Grüßen aus seinem "Risikoreich" ähnlich wie die Altmeister Curse ("Kein Leben") oder Tatwaffe, der die Qualen hinter den allseits zur Schau getragenen "Masken" ans Tageslicht zerrt.
Zwischen kopfnickbaren Oldschool-Klängen über filigrane Soundbasteleien und soulige Samples bis hin zu synthetischen Breitwand-Brettern findet jeder Head einen Lieblingsbeat.
Meiner stammt, wieder einmal, aus den Reglern des Herrn von Grau: Seine "Verwandschaft" knarzt, schiebt und scheppert im Verbund mit seiner herrlich unorthodoxen Stimme um die Wette - zumal er derart beklemmende Alltagsgeschichten vor seiner Hörerschaft ausbreitet, dass man sich hinterher nicht länger fragt, wie Amokläufer gemacht werden, sondern warum zum Teufel es angesichts des allgegenwärtigen Elends so wenige von ihnen gibt.
Gut, wenn man sich dann in die Obhut zweier versierter Kindergärtner begeben kann: Hammer & Zirkel erhalten für "Schlaf Ein", eigentlich eher ein Hörspiel, Schützenhilfe von Santiago Ziesmer - der sonst SpongeBob Schwammkopf seine Stimme leiht.
Wieder einmal gelang den findigen Kompilatören im Hause Mellowvibes das Kunststück, menschliches Elend aus unterschiedlichsten Blickwinkeln zu beleuchten, ohne deprimierend, weinerlich oder gutmenschelnd zu wirken.
Die von prominenten Synchronstimmen beigesteuerten Skits, die nachrichtlich Fakten über Kinderarmut in Deutschland verkünden, stören zwar ein wenig den Hörfluss, geraten jedoch nirgends anbiedernd oder gar sensationsheischend.
Die Botschaft, die "Deutschlands Vergessene Kinder 2" an ebendiese und an alle anderen richtet, bleibt eine positive: Macht die Augen auf. Seht hin, auch wenn es weh tut. Den Betroffenen legt Colos nahe: "Sei du selbst."
"Komm', steh' auf, Killer, Dicker, geh' raus und mach was!" Die von She-Raw und Serk in Worte gefasste Aufforderung geht wohl an uns alle raus.
14 Kommentare
Zitat (« stehen neben Typen wie Olson Rough oder Kaled Ibrahim, von denen zumindest ich nie zuvor gehört habe. Möglicherweise ein Fehler, wie des ersteren hungriges "Glaubt Mir" vermuten lässt. »):
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Olson Rough – Rudeboy (Free Mixtape)
http://mixtapesammelstelle.de/2009/03/22/o…
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Interpreten Auswahl ist tatsächlich hoch interessant. Pan & Artist, Herr von Grau, Hammer & Zirkel, Mädness & PMA... muss da endlich dringend mal reinhören.
Teil einfach war ein Brett und Teil zwei ist selbstverständlich schon bestellt!
Kann mir mal einer verraten, wieso solche Rap-Sampler/Projekte ausser von den Headz so gut wie von keinem wahr genommen wird, aber jeder kleinste (inszenierte/von außen rein getragene) Rapperbeef auf RTL2 breit gelatscht wird???
Weil sich Streit viel besser verkaufen lässt als Frieden
@zugehoert (« @PhoenixXx (« wie genial b.tight rappt Oo maximum level! »):
seit wann kann b tight rappen? »):
seit 1998
@BrickTop (« Teil einfach war ein Brett und Teil zwei ist selbstverständlich schon bestellt!
Kann mir mal einer verraten, wieso solche Rap-Sampler/Projekte ausser von den Headz so gut wie von keinem wahr genommen wird, aber jeder kleinste (inszenierte/von außen rein getragene) Rapperbeef auf RTL2 breit gelatscht wird??? »):
wer rtl2 schaut ist selber schuld