laut.de-Kritik

Klaus Lage, go home! Krauty Schlager Wonders are bigger than you!

Review von

"Wir scheißen auf Mucke, wollen lieber bausparen / Darum haben andere Bob Marley, und wir haben Klaus Lage / Keinen Miles Davis, nicht mal einen Frank Sinatra." Jan Delay benölt in "Kartoffeln" derart ausgiebig die Un-Funkyness seiner Landsleute, dass man schier die Lust an seiner Heimat verlieren möchte. Aber hat er denn Recht? Fehlt im Land der Dichter und Denker tatsächlich der Style? Eine Zeitreise in die Jahre 1969 bis '77 auf der Spur dieser "Infectious Rare Grooves & Krauty Schlager Wonders" bringt Licht ins Dunkel.

Gleißende Helligkeit, um genau zu sein. Jawohl, wir haben Klaus Lage. Wir haben aber auch DJ Q-Mutat, der mit seiner Sammlung groovender Perlen beweist, dass es sich bei Funk aus Deutschland keineswegs um ein Phänomen der jüngsten Vergangenheit handelt. Nein, der eine oder die andere schienen bereits im Zeitalter von Prilblumen und Käseigeln durchaus zu wissen, was eine Harke ist.

Wir haben zudem Hugo Strasser, der mit seinem Tanzorchester auf der "Tanzplatte Des Jahres 1971/72" seine rhythmusbetonten "Flashlights" funkeln lässt. Wir haben die Dave Kamien Division, die Herbie Hancocks "Watermelon Man" mit gewagt schiefen Bläsern und eisern durchpumpendem Bass verbrämt. Wir haben mit Klaus Wunderlichs "Hammondorgel Für Millionen" eine Neuinterpretation von George Gershwins Evergreen "Summerwine".

Gegen die an angejahrte Softpornos gemahnenden Klänge, die Gus Brendels Orchestra auffährt, behauptet sich die Sängerin der Messengers in "Gang Bang" (ein Schelm, wer Böses dabei denkt ...) als "only girl in a rock'n'roll band", ehe die Was Tun Band energisch zu Aktionen aufruft: Politische Botschaft, Bass und darüber dengelnde Gitarre sammeln solidarisch Absurditätspunkte.

Etliche Tracks wurden nicht nur aus der Tiefe verstaubter Plattenkisten, sondern gleich aus vergessenen Archiven zu Tage gefördert: Sowohl "Gate One" des SWF Orchestra Rolf-Hans Müller als auch Heinz Kiesslings "Uptown" und Peter Herbolzheimers "Rock-O-Mobile" präsentieren sich der Öffentlichkeit erstmals auf einem Tonträger. Die Nummern wurden einst nur für Radiozwecke aufgenommen, dabei taugen sie problemlos für jeden gepflegten Tanztee.

Schwungvoll wagt sich Veit Marvos mit Rückendeckung seitens seines Red Point Orchestras an den Klassiker "Family Affair". Martin Philippi raubt Muddy Waters' "I Got My Mojo Workin'" die Blues-typische Trägheit, um ihm gleich darauf eine dreimal Blues-typischere Mundharmonika um die Ohren zu hauen.

"Hello Again!", grüßt Schlager-Nase Howard Carpendale um die Ecke: Im phantastischen, von Percussion getriebenen "Du Hast Mich" zeigt er, dass Donna Summer keineswegs das Monopol auf laszives Stöhnen für sich gepachtet hat. Umrahmt von Wah-Wah-Gitarren spielt anschließend Sandra Haas der Dummheit einen Streich. Q-Mutat spart sich dieses Götterpaar für das letzte Drittel seiner "Vol.1"-Compilation auf.

Zum Ausklang wirft die unvergleichliche Hildegard Knef tiefschürfende Fragen auf und knüpft Schleifen der Erinnerung, ehe Udo Lindenberg mit "Votan Wahnwitz" den Deckel aufs Fass nagelt: "Genie und Wahnsinn gehen Hand in Hand". Jede Wette, dass der von herrlich schrägen Streichern durchwimmerte Groove selbst Stevie Wonder ein anerkennendes Nicken abringt. Aber Udo zählt ja ohnehin zu den Allerderbsten. Fragt Jan Delay.

Trackliste

  1. 1. Orchestra Gus Brendel - Night Clipper
  2. 2. Messengers - Gang Bang
  3. 3. Ken Aldin - Dark Alley
  4. 4. Was Tun Band - Es Geht
  5. 5. SWF Tanzorchester Rolf-Hans Mueller - Gate One
  6. 6. Veit Marvos Red Point Orchestra - Family Affair
  7. 7. Die Melon Men - Tuesday
  8. 8. Martin Philippi Blues Band - I Got My Mojo Workin'
  9. 9. Klaus Wunderlich - Summertime
  10. 10. The Rainbow Orchestra - La Avispa
  11. 11. Dave Kamien Division - Watermelon Men
  12. 12. Howard Carpendale - Du Hast Mich
  13. 13. Hugo Strasser - Flashlights
  14. 14. Peter Herbolzheimer - Rock-O-Mobile
  15. 15. Orchestra Heinz Kiessling - Uptown
  16. 16. Sandra Haas - Kleiner Mann
  17. 17. Hildegard Knef - Wieviele Menschen Waren Glücklich, Daß Du Gelebt
  18. 18. Udo Lindenberg - Votan Wahnwitz

3 Kommentare

  • Vor 17 Jahren

    Danke für das "Mitfühlen". Wenn das Alles so
    geschmeidig weiter läuft, gibt es auf jeden Fall noch mehr von dem Kraut Groove. Es gibt da noch so einige heftige Überraschungen, die alle Skeptiker in Argumentationsnot bringen werden. Einen Vorgeschmack gibt es auf www.myspace.com/qmutat
    Zum Abschluß möchte ich noch loswerden, das Musik keine Hautfarbe hat. Scheißt doch mal bitte alle auf unsere Vorurteile und hört mit dem Herzen. Everything is everything.

    Peace, Roman Kumutat ( DJ Q-Mutat )

  • Vor 16 Jahren

    Das ist doch mal eine interessante Zusammenstellung. Wobei es hier noch etlich weitere Beispiele hierzu gibt:
    Howard Carpendale - "Soul Sister, Brown Sugar"
    (dt. Version vom Isaac Hayes Titel)
    oder die Compilations "In-Kraut Vol.1 & 2"
    habe noch etliche andere auf meiner Liste.
    Bei Bedarf einfach mal eine Email schicken:
    Alexander.folks@gmx.de
    Fireden auch von meiner Seite, Mr.Folks!