laut.de-Kritik
Husarenritt durch die Punk-Geschichte.
Review von Mathias MöllerDie gesamte Geschichte von so epochalen Phänomenen wie zum Beispiel Musikgenres abbilden zu wollen, ist immer zum Scheitern verurteilt. Entweder man lädt sich eine Sisyphos-Arbeit auf, oder man scheitert an der Aufgabe. Don Letts hat sich trotzdem daran gewagt, die Geschichte des Punk auf Zelluloid zu bannen. Und schon die Eingangsstatements von Black-Flag-Fronter Henry Rollins, Film-Regisseur Jim Jarmusch und dem Sänger der New York Dolls, David Johansen, deuten die besondere Qualität dieser Dokumentation an.
Der Husarenritt dauert knapp neunzig Minuten und umspannt in der Hauptsache die späten Siebziger, ordnet Punk aber immer im größeren Rahmen ein. Legs McNeil von Punk Magazine beispielsweise stellt Marlon Brando in "The Wild One" an den Anfang des Punk. Auch Rock'n'Roller der ersten Stunde wie Chuck Berry, Elvis und Jerry Lee Lewis werden in ihrer Unangepasstheit als Urväter des Punk bezeichnet. Über die Hippies in den USA, Bands wie Velvet Underground, MC5, die Stooges, und die New York Dolls (großartig zu betrachten in einem alten Musikladenauftritt) geht es zu den frühen Punks.
Neben altbekannten Bildern (Omas drehen sich auf der King's Road entsetzt nach bunten Punks um) gibt es auf "Punk Attitude" eine Unmenge an unbekanntem Material zu sehen. Rumpelige, frühe Auftritte von The Clash, den Sex Pistols, den Ramones und unzähligen anderen Bands machen die Dokumentation auch für den Fan interessant.
A propos unzählig. Eine wahre Heerschar an Zeitzeugen und ehemaligen Aktivisten kommt zu Wort: Ihren Senf dazu geben Darryl Jennifer (Bad Brains), Steve Jones und Glen Matlock (Sex Pistols), Chrissie Hynde (Pretenders), Thurston Moore (Sonic Youth), Howard Devoto und Pete Shelley (The Buzzcocks), Siouxsie Sioux, John Cale (Velvet Underground), Wayne Kramer (MC5), Jello Biafra (Dead Kennedys), Mick Jones und Paul Simonon (The Clash), Dick Manitoba (The Dictators), Tommy Ramone (Originaldrummer der Ramones), Poly Styrene (X-Ray Spex), Ari Up (The Slits), Roger Miret (Agnostic Front), Keith Morris (Black Flag, Circle Jerks) und John Holmstrom (Punk Magazine), um wirklich nur die wichtigsten zu nennen.
Wahrlich köstlich sind die Statements von Henry Rollins, der zum Beispiel Hardcore so erklärt: "That's when the 'Fuck Yeah guy' got a guitar!" Doch bis zum Hardcore ist es ein weiter Weg, der alle essentiellen Eckpfeiler der Punkgeschichte und seiner Kultur streift. Hilly Kristal, Gründer und Betreiber des legendären New Yorker Clubs CBGB gesteht, dass er Television nicht leiden konnte: "They didn't sound good to me". Aber das sei noch nichts gegen die Ramones: "They were worse than Television."
Aus den USA geht es nach Großbritannien. Neben der Musik wird auch ausführlich auf die Punkkultur eingegangen. Es geht um Fanzines wie "Punk Magazine" oder "Sniffin' Glue" und die Mode von Vivienne Westwood. Über die Sex Pistols, und The Clash geht es wieder zurück in die USA, wo sich der Hardcore formiert: die Dead Kennedys, Minor Threat, Fugazi, Black Flag, Agnostic Front und die Bad Brains gründen sich.
Doch dann, wenn es interessant wird, kapituliert auch Regisseur Don Letts. Die große Stille zwischen den Hardcorebands der frühen Achtziger und Nirvana vermag auch er nicht mit Punkrock zu füllen. Nach einem kurzen Ausflug nach Seattle gibt es einen kurzen, unausgesprochen pessimistischen Ausblick in die Neunziger und die Jetzt-Zeit: Rancid und Blink 182 stehen repräsentativ für den Status Quo von Punk.
Der Joe Strummer gewidmete Film fasst die essentiellen Momente eines Genres zusammen und schafft damit das, was eigentlich unmöglich erschien. Natürlich muss viel ausgespart werden, dadurch entstehen allerdings auch keine Längen. Die Interviewschnipsel sind in der Regel pointiert und erhellend, man bekommt sogar die eine oder andere interessante Anekdote zu hören.
Die zweite DVD enthält weitere Ausschnitte aus dem Henry Rollins-Interview und viele Features rund ums Sujet. Leider wiederholt sich hier irgendwann das ein oder andere. Der einzige Schwachpunkt der DVD. Ein weiteres Schmankerl dagegen stellt das "Booklet" dar, eine verkleinerte Reproduktion von zwei "Sniffin' Glue"-Ausgaben. Don Letts, der selbst als Dub-DJ in den späten Siebzigern den Aufstieg und Fall des Punk in London miterlebte, ist eine wirklich sehenswerte Dokumentation gelungen.
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