laut.de-Kritik
Profil einer durchgeknallten Stadt (FSK: ab 16).
Review von Philipp GässleinDas alte Testament erzählt in der Geschichte der Stadt Babel, dass Gott jedem Bürger mit einem Mal eine andere Sprache auferlegte. Dadurch konnte man sich gegenseitig nicht mehr verstehen und musste die Arbeit am frevlerischen Projekt, einen Turm bis in den Himmel zu bauen, aufgeben. In Berlin läuft das völlig anders.
Wenn man sich hier nicht versteht, dann rappt man eben miteinander. Hip Hop sei eine Weltsprache, mag zwar eine ausgelutschte Floskel sein, in diesem Fall jedoch trifft sie zu. Türkisch, Französisch, Englisch, Russisch, Spanisch, Italienisch und Deutsch in verschiedensten Variationen verknüpfen sich zu einer gemeinsamen Grundaussage. Und die lautet: "Berlin bleibt hart."
So unterschiedlich die einzelnen Rapper der Hauptstadt auch sein mögen, in diesem Punkt sind sich alle einig. Royalbunker-Chefpimp Rhymin Simon fasst das noch drastischer zusammen: "Max, geh nach Hause. Alter, nimm deine Frau und geh da hin, wo du hergekommen bist. Und wenn du hier bleibst, verhalt dich gefälligst still. Mann, so was macht mich echt aggressiv."
Ein weiteres Markenzeichen der Berliner Rapszene ist zweifelsohne die Bezirkstreue. Wedding scheißt auf Charlottenburg, Charlottenburg scheißt auf Kreuzberg, Kreuzberg scheißt auf Tempelhof, und alle gemeinsam scheißen sie auf Berlin Mitte. Perfekte Vorraussetzungen also, um projektorientiert zu arbeiten. Während Stuttgart die Kolchose hat und Hamburg mit Eimsbush ein kreatives Künstlerkollektiv, hat Berlin nichts Vergleichbares anzubieten. Man bleibt unter sich, und man nimmt sich von den anderen, was man haben will. Der gängige Konsens, man könne es in dieser Stadt nur zu etwas bringen, wenn man die derzeitigen Spitzenreiter battelt, scheint ungleich wahrscheinlicher als die Aussage von Aggro-Proll Fler, es liege alles nur an den richtigen, teuren Klamotten.
"Wenn sich in anderen Städten zwei Rapper treffen, dann sagen sie: "Hey, geil, du rappst auch? Lass uns mal einen Track zusammen machen!" In Berlin sagt man: "Du rappst? Okay, lass uns battlen." Wohl wahr. "Rap ist nun mal Competition, und wenn ihr Rapper ein ruhiges Hobby wollt, dann geht fischen" - Samys Aussage ist in der Hauptstadt sogar bei denjenigen Rappern Programm, bei denen man es nicht erwartet hätte. Ob Justus Jonas früher auf dem M.O.R.-Album oder Prinz Porno, der sich mit der Beatfabrik während der "Wir battlen Jeden-Tour" durch Deutschland disste - irgendwie haben sie diesbezüglich alle Dreck am Stecken.
"Rap City Berlin" stellt nun in vier Stunden Laufzeit 40 Labels und 150 Acts der Hauptstadt vor und leuchtet auch die Nischen des Rapgames gut aus. Ob der schwülstige Möchtegernpimp Frauenarzt von BC Entertainment oder der vollkommen gestörte MC Basstard von Horrorkore, das Producerteam Streetlife mit Dean Dawson und DJ Desue oder die Partybomben von G.B.Z. - keiner wird hier ausgelassen, ganz unabhängig von Rang und Namen.
Dass die meisten vorgestellten Rapper auch noch einen kurzen Einblick in ihr künstlerisches Schaffen gewähren, hilft natürlich ungemein bei der Einschätzung. Und, so traurig es ist, im direkten Vergleich versteht man plötzlich, warum selbst jemand wie Fler es an die Spitze der dortigen Hierarchie schafft. Klar, auch im Berliner Untergrund gibt es unentdeckte Perlen, doch die scheinen spärlich gesät zu sein und in ihrer "Wir sind so indie, wir scheißen auf Equipment"-Mentalität verharren zu wollen.
Von Interesse ist das gute Stück auf jeden Fall für alle, die gerne mitreden wollen, wenn es um die Berliner Szene geht. Diesbezüglich wird man mit Informationen im Minutentakt nahezu bombardiert. Als Manko ist da eher zu werten, dass sich viele der Crews kein bisschen unterscheiden und man die meisten schnell wieder vergisst.
Respekt gebührt den Machern der DVD für die liebevolle Sammlung und die sicherlich harte Arbeit über Monate hinweg - als Extra gibt es teils zusammen geschnittene Musikvideos zahlreicher Crews und Rapper, um noch bessere Einsicht zu gewähren. Sie können ja auch nichts dafür, dass ein großer Teil der eigenen Rapszene nur stinklangweilige Phrasen drischt.
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