laut.de-Kritik
Was lange währt, wird gut: Indie-Pop vom Feinsten.
Review von Magnus FranzBevor sich Claire-Ann Varley, Matthias Heising und Joschka Bender 2017 zum Indie-Pop-Trio Varley zusammenschlossen, mussten zuerst drei individuelle Karrieren scheitern: Während sich das Trio zwar schon lange vor der Gründung kannte und in verschiedenen Zweier-Konstellationen miteinander musizierte, verliefen diese Projekte alle nach und nach im Sande.
Auch wenn diese Zeiten lange zurückliegen, waren sie dennoch ausschlaggebend dafür, dass die gebürtige Irin und ihre beiden deutschen Kumpels auf der Suche nach musikalischer Identität letztendlich als Dreiergespann zusammengefunden und ihre gemeinsame Chemie entdeckt haben. So steht nun nach vielen Jahren der Orientierung und der 2019er EP "Phantom Studies" endlich Varleys Debütalbum "Smalltalk & DMCs" in den Startlöchern, Und man kann nicht anders, als froh darüber zu sein, dass das Schicksal genau diesen Weg vorgesehen hatte.
"Smalltalk & DMCs" ist Indie-Pop vom Feinsten, wie er hierzulande deutlich aus der Masse hervorsticht. Nicht zuletzt spielt der Band dabei ihr umfangreiches Arsenal an musikalischer Kompetenz in die Karten. Wenn jedes Bandmitglied mit einer Bandbreite an Instrumenten und Produktionstechniken umzugehen weiß, eröffnen sich unzählige Möglichkeiten für qualitative Songideen, die Varley an allen Ecken und Enden des Albums ausschöpfen.
Der Opener "Bubble Up" gibt bereits den ersten Vorgeschmack auf eine Platte, die sich sowohl inhaltlich als auch musikalisch kontinuierlich an der Schnittstelle zwischen Euphorie und Melancholie bewegt und eine durchweg fesselnde Atmosphäre kreiert. Im Eröffnungssong philosophiert Claire-Ann neben einem treibenden Bass, weichen Synths und zurückhaltenden E-Gitarren über ihre verzweifelten Gedanken, als sie sich aufgrund des großen Drucks und einem Fehler am ersten Tag ihres neuen Jobs in der Toilette einsperrt und dort in neuen Songideen verweilt: "Think I'm losing control, losing control / And if anybody asks where I am, I'm smoking / Not sitting in a bathroom hoping this goes".
So ist "Smalltalk & DMCs", bei dem DMCs nicht umsonst für Deep Meaningful Conversatons steht, immer wieder gespickt mit inneren Gefühlskämpfen und geprägt von der damit verbundenen emotionalen Zerrissenheit. "Disease" entwickelt mit knackigen Drums, Claire-Anns emotionalem Gesang und atmosphärischen Synth-Pads eine fast schon hypnotisierende Wirkung, während der Song auf die oftmals übersehene Gefahr von Einsamkeit aufmerksam macht: "I can see it for miles, I can see it in your eyes / Loneliness is a disease".
Auf dem eingängigen "The Pressure" erzählt sie wiederum von dem Verlangen, unbedingt neue Kontakte knüpfen zu wollen, sich dabei aber beim ersten Eindruck bereits völlig zu blamieren. Ein Gefühl, das fast jeden in irgendeinem Moment wahrscheinlich schon einmal verfolgt hat.
Als genauso konträr und abwechslungsreich wie die Gefühle, die Varley aus den verschiedensten Alltagssituationen herausfiltern, erweisen sich auch Songwriting und Produktion der LP, die Claire-Ann, Matthias und Joschka ebenfalls verantworten: Optimistische Upbeat-Tracks wie "Misery" oder "Feel It" vermischen sich mit gefühlsvollen Schleichern wie "One Two Three" oder "A Little Bit Funny" und Mid-Tempo-Songs wie dem träumerisch verspielten Closer "Calypso", dem groovigen und synthlastigen "Push Pull" oder dem rockig angehauchten "Best Of Me".
Während "Smalltalk & DMCs" eines dieser Projekte ist, auf das man wahrscheinlich eher zufällig als bewusst stößt, bietet es mehr als genug Gründe, sich nach der Entdeckung sofort im musikalischem Universum des Trios zu verlieren. Dort ist die Platte vor allem ein Zufluchtsort für introvertierte Menschen und Überdenker*innen, die sich verstanden fühlen wollen. Gleichzeitig zeigen Claire-Ann, Matthias und Joschka, dass sich hinter Varley kompetente, authentische und gefühlvolle Musiker*innen und Produzent*innen verbergen, deren selbstbestimmte Arbeit und Kreativität Lust auf mehr machen.
1 Kommentar
Schönes Album und eines von vielen Beispielen dafür, dass von der Popakademie Mannheim auch viele gute Acts kommen und die Vorurteile gegen die Schule trotz einiger anstrengender Deutschpopbarden nicht wirklich haltbar sind.