laut.de-Kritik
Acoustic-Grooves mit zwei starken Stimmen.
Review von Philipp KauseIn München gab es 1980 ein innovatives Funkrock-Trio namens Tax, das nur eine einzige Platte aufnahm. Einer der drei Musiker, Wally Warning, brachte danach karibische Grooves in die BRD ein. Los ging's mit seinem angejazzten und subtilen Song "Killing Me With Promises" 1983. Damit war er zu dieser Zeit ein Pionier. In Hamburg hatte zuvor ein Session-Drummer und Plattenhändler, Papa Curvin, den jamaikanischen Reggae zu uns importiert und mit Boney M. sogar in etwas Chartstaugliches umgewandelt. Ewald 'Wally' Warning, Vater und "Live"-Duettpartner von Ami, stammt aus dem südlichsten Punkt des großen Meeresgebiets, das man zur Karibik zählt, aus Aruba. Den Schiffsverkehr und Warentransport hier lenkte zu Kolonialzeiten Holland, das einst Surinam und die niederländischen Antillen-Inseln besetzt hatte. Wie beim Kollegen Curvin, schwang bei Wally immer eine Prise Reggae mit, neben allerlei mehr.
Puristisch lässt sich das nicht einordnen. Wie auf Inseln üblich, entwickelten sich auf Aruba zahlreiche lokale Rhythmen heraus, zum Beispiel die Mazurka oder das Kaseko. Was davon in Warnings Stil einfloss, zusammen mit US-Südstaaten-Groove und Pop-Soul, trägt eine super-individuelle Handschrift. Die besondere Mischung des Einwanderers, den eigentümlichen Wally-Vibe, hört man exemplarisch in "Better Slow Down".
Schon mit wenig personellem Aufwand entsteht dieser Vibe. Da reicht es, wenn akustische Gitarren den Rhythmus grundieren oder eine geheimnisvolle, elegante Bassline als surrende Fährte vor den Gesang legen, auf der Suche nach dem nächsten Ohrwurm-Refrain. Auf Studioalben dominierten anfangs in den Achtzigern Synthesizer und Keyboards noch fast alles, im Laufe der Jahrzehnte wurde es weniger. Ganz punktuell fanden sich mal - wie der Dub-Song "Spiritual Love" auf "No Monkey" (2007) - weitere solcher Keys-durchtränkten Songs im Repertoire. Meist aber genügten einzelne Percussion-Beigaben, hier mal eine Trompete, ein Drei-Mann-Blechbläser-Einsatz oder eine Geige.
Seit einigen Jahren geht es noch reduzierter zu, wenn Wally mit seiner Tochter Amira im Acoustic-Set tourt, die seit 2014 eine Handvoll sehr schöner Alben aufnahm. Die beiden Warnings wechseln von je einem Papa- zu je einem Tochter-Stück, mischen somit auch die Sprachen. Seinen Dank ans Publikum richtet Wally auf Deutsch. Seit "Momentan" trällert Ami mit ihrer rauen Stimme Deutschsprachiges, englische Lieder hat sie von früher noch. Und der Papa hat das ein oder andere Mal Spanisch getextet, so z.B. "Un Amor", zu finden ursprünglich auf besagtem "No Monkey". Das war in erster Linie eine Reggae-, Calypso-Rock- und Exotic-Pop-CD, made in Munich, speziell der Tune "Un Amor" erinnert dagegen ein bisschen an Manu Chao und den 'Mestizo'-Rock aus Barcelonas Szene der 90er/2000er.
Ami und Wally sind einander in ihren Live-Arrangements oft schon genug, weil sie gegenseitig höchst lebendig Background-Gesang beisteuern. Dann macht der eine "Coo coo oh woh coo oo oo oo", dehnt seinen Mund für schönste Lautmalerei, und die andere verstärkt funky. Sie spielen sich gegenseitig perfekt die Bälle zu. Über Jahre eingeübt, klingt die Kombination geschmeidig, dabei kein bisschen abgenutzt.
Das alles läuft sozusagen 'unplugged', was gemäß dem Motto 'weniger ist mehr' großartig funktioniert. Zum Lied-Repertoire des Bühnenprogramms zählen neben ein paar Klassikern manche unveröffentlichte Lieder: Einige aus der Zeit kurz vor oder während Corona, die live bislang zu kurz kamen: z.B. der für solche Unplugged-Barden-Auftritte wie geschaffene schlichte Folkpop "Dreamer" von Wally (2021) und das energetische "Gegenwind", Amis Abrechnung mit Genörgel seitens Mitmenschen: "Es gibt immer, immer wieder Gegenwind." - Da zählt sie Gemotze über Charakter, Temperament, Verhalten, Gesichtsausdrücke, Arbeitsmoral, Figur, kreativen Output usw. auf, also insgesamt Kritik um der Besserwisserei willen, 2019 auf "Momentan" veröffentlicht.
Auf eben jener LP fand sich die pfiffige Abhandlung "Vielleicht Lieber Morgen" über Workaholismus versus Prokrastination, Burn-Out versus Work-Life-Balance, Verbissenheit, übertriebenen Ehrgeiz und Sozialneid versus inneren Kompass. Auch dieser Song gewinnt live und unplugged an Direktheit und Charisma.
Amis "Untertauchen" erschien 2017 als erstes germanophones Stück der Singer/Songwriterin, ein Standalone ohne Album. Jetzt liegt es erstmals physisch vor. Fun Fact am Rande: Das Goethe-Institut nahm den Text in seine Arbeitsblätter für Deutsch als Fremdsprache auf. Unreleased, aber saustark sind das melancholische und anmutige Liebesbekenntnis "Never Know", in Amis dunkelster Klangfarbe vorgetragen, das rhythmische Zugpferd "Be Yourself" mit ihr als Lead-Sängerin und der fordernde rusty-folkie Funkrock "Show Your Justice", dessen Arrangement, Spannung und Lyrics an Tracy Chapman erinnern. Wally geht hier in der Stimm-Modulation sehr aus sich heraus, so dass dieses Stück dank seiner Intensität zum Höhepunkt des Sets wird.
Ein Ami-Highlight heißt "Jungle" und ist wohl der Signature-Track ihrer ersten Jahre als Interpretin. "Bevor ich auf Deutsch gewechselt bin, hab ich auf Englisch gesungen. Es sind nur vereinzelt Leute, die mir damals gefolgt sind mit dem Sprachwechsel, Langzeit-Fans. Es gibt, glaub ich, auch ganz viele, die mich jetzt neu entdeckt haben zu dem Album. Das sehe ich an der Tour, dass es auf einmal mehr Leute geworden sind, die jetzt die Musik neu gefunden haben", erzählt sie uns. "Und dann gibt's wohl Leute, die seit dem 'Momentan'-Album am Start sind. Ich denke, es ist auch 'ne bunte Mischung aus jüngeren und älteren Leuten und quasi aus unterschiedlichen Quellen." - Das Familien-Gespann zieht im Januar und Februar 2025 für Konzerte durchs Land. Danach performt Ami für eine weitere Runde ihre aussagekräftigen neuen Songs auf einer "Auszeit Acoustic"-Tour.
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