laut.de-Kritik
Die Absurdität der Welt in 30 Minuten musikalischem Crack.
Review von Ben SchiwekDie Welt ist schön! Dass man so ein Statement sarkastisch oder bittersüß nutzen kann, zeigen die vielen traurigen, mit Louis Armstrongs "What A Wonderful World" unterlegten Filmszenen. Wow, much ironisch, very Augenzwinkern! Die Mischung aus Augenzwinkern, Kunst und Emotionen beherrschen Water From Your Eyes auch sehr gut. Und nun haben sie es sich zum Auftrag gemacht, in einem Album einzufangen, wie grotesk, grausam und doch großartig das Leben auf unserem Planeten ist.
Dabei zeigen sie weder mit dem Finger auf Missstände, noch drücken sie auf die Tränendrüse oder frohlocken gar, wie herzerwärmend das Leben hier doch sei. Stattdessen bilden die ungestümen, sich stetig ändernden Kompositionen und die uneindeutigen Lyrics von "It's a Beautiful Place" eher die Absurdität und Wuseligkeit der Welt ab. Wie eine spontane Realisierung, wie unbedeutend wir im Großen und Ganzen doch sind.
Natürlich klingt das Konzept von "It's a Beautiful Place" ambitioniert, insbesondere angesichts der gerade mal 30 Minuten Spielzeit. Aber diese halbe Stunde stopfen Nate Amos und Rachel Brown auch ordentlich mit Ideen voll. Dass Water From Your Eyes ihren Art-Rock gerne unvorhersehbar, genredivers und komplex gestalten, haben uns ihre vorherigen Alben bereits gelehrt. Auf "It's a Beautiful Place" habe es sich aber noch mehr angefühlt, als hätten sie "einfach Crack hergestellt", wie die beiden mir kürzlich erklärten. Jeden Moment kann ein neues Instrument dazukommen oder sich Taktart, Rhythmus und Tonart ändern.
"Life Signs" demonstriert das wunderbar. Idles-artige, knallende Riffs in verwirrenden Math-Rock-Rhythmen weichen immer wieder einem entspannten Refrain. Darüber liegt Rachel Browns Gesang, in gehetztem Tempo, aber gleichzeitig mit seelenruhiger Monotonie vorgetragen, als wäre Brown durch das moderne Leben abgestumpft. Die Stream-of-Consciousness-Poesie dieses Songs enthält viele der besten Zeilen des Albums: "Tick tick, you're alive, sunlit sick sky scraped by bright eyed short sight online for thy / Cathedrals are built, unbuilt, rebuilt, unwavering guilt / Pools of rain, heaven spilt, subject to tilt". Bars!
Es ist ein Song, der wiederholt explodiert, sich verschachtelt, ins Chaos abzudriften droht und sich dann doch immer wieder plötzlich zusammenreißt. Das gelingt kaum einem anderen Track hier so gut. "Nights In Armor" hat zwar viele schmackhafte Teile wie etwa das Intro, in dem Chipmunk-Stimmen an verzerrtem Bass und Gitarren vorbeischweben. In den drei Minuten ändert sich aber, vor allem rhythmisch, viel so oft und so ruckartig, dass der Song nicht als Ganzes mitreißt.
Mit "Playing Classics" packt das Duo noch einen Dance-Track aufs Album, der so klingen soll, als würde man im Club tanzen, während die Welt draußen auseinanderfällt – gelungen. Der stumpfe Beat aus Bass und Drums bietet ein Bett, auf dem sich Gitarre und Klavier ungewöhnlicher ausbreiten können. Währenddessen zieht Rachel Brown Parallelen zwischen einem Konzert und dem Krieg, dem heutzutage quasi per Livestream eine Bühne geboten wird. Wiederholungen und immer wieder neue Schichten, das schafft über sechs Minuten zum befriedigendsten Buildup der Platte.
Danach formt "Blood on the Dollar" ein angenehm ruhiges, aber auch nicht sehr final wirkendes Ende, bis sich der Outro-Track im Intro-Track spiegelt und alles wieder von vorne beginnt. Das ist dann doch schon sehr schnell vorbei und es hätten ruhig noch ein oder zwei Tracks mehr sein können.
Andererseits hatte man in den 30 Minuten auf jeden Fall viel Input, von dem sehr viel sehr spannend ist. Manche Ideensammlungen sind etwas überladen und brauchen Kennenlernzeit, einige harmonieren richtig gut. Die künstlerische Vision von Water From Your Eyes bleibt in jedem Fall bewundernswert und vielschichtig.
1 Kommentar mit 3 Antworten
Richtig geil!
Regt es dich zum Nachdenken an?
Ja, so wie Coltrane, DJ Ötzi und Modern Talking.
Da zeigst du es den elitären Kunstliebhabern, die dir ans Leder und deinen Lebensweg unterminieren wollen, aber richtig.