laut.de-Kritik

Endlich experimentieren die Wissenschaftler mal.

Review von

Keith Murray und Chris Cain, mit Drummer Keith Carne im Schlepptau, bleiben wohl für immer dieselben liebenswerte Kindsköpfe: "Lobes" ist ihr nunmehr achtes Album und nach eigener Aussage so benannt, weil der Name Leute zu dummen Reaktionen provoziere. "Lobe" kann im Englischen ungefähr alles bedeuten, vom Flügel über dem Kameranocken bis hin zum Lappen. So kennen und lieben wir die New Yorker, die ihren Veröffentlichungsrhythmus während der Pandemie hochschraubten, seit "Huffy" verging nur ein gutes Jahr.

Nachdem man das gelungene Cover kurz goutiert hat, begrüßt einen "Operation Error", gleichzeitig Single und Opener, im bekannten Bandgewand: Druckvoll, handwerklich versiert, catchy, halt lebendiger Indie-Rock. Keith Murray hört sich nach wie vor an wie auf "With Love And Squalor", was einerseits gut ist, da er eine fast schon archetypische Indie-Stimme hat und die OOOs und AAAs runterträllert wie kein Zweiter, 18 Jahre nach dem Erstling trotzdem eine etwas uncanny Erfahrung ist.

Jedenfalls ist "Operation Error" guter Band-Standard, "Dispense With Sentiment" fährt dagegen einen fetten Groove, der einen daran erinnert, dass Cain musikalisch schon immer das Rückgrat der Band war, leider fehlen den beiden Bandchefs dann Ideen, wie sie den Funk im Song auflösen. Alles verhallt etwas unbefriedigend in einer unnötig halbarschigen Auflösung, statt den Groove tight nach Hause zu spielen.

Dabei ist die Idee, Murrays Gitarre zugunsten von Keyboard etwas zurückzufahren, auch um Cain mehr Platz zu geben, keine schlechte. Das zeigt das wunderbar cheesige "Human Resources", wobei auch hier eine gute, tanzbare Songidee zum Schluss in einem unschlüssig wirkenden Furioso in den Sand gesetzt wird. Denn Katharsis erreicht man halt nicht, wenn man dann kreuzbrav doch noch mal den Refrain hintenansetzt, weil man das als Indieband so gelernt hat oder weil das Label sagt, dass der Spotify-Algorithmus das so lieber mag. Wenn We Are Scientists aus ihrer Komfortzone ausbrechen wollen, bräuchte es Mut noch dringender als Ideen.

Das selbsterklärte Ziel, mit "Lobes" ein Dance-Rock-Album zu schaffen, verfehlen We Are Scientists allein schon deshalb, weil sie als Band zwar durchaus wiederzuerkennen sind, aber ihr ursprünglichster Wesenskern, die Suche nach der nächsten Hook, auf "Lobes" viel kürzer kommt als auf quasi allen Vorgängern. Die Amis scheitern in ihrem Eigenanspruch "Dance-Rock" daran, dass sie auf "Lobes" viel stärker als gewohnt schon in den Strophen im Sound arbeiten und die Refrains eher die Schwachstellen bilden - die gleichwohl gewohnheitsmäßig allem die Krone aufsetzen wollen, statt organisch im Sound zu bleiben. Hinzu kommt, dass Cain mit seinem Bass die Leerstellen, die die Gitarre hinterlässt, viel dominanter befüllt, als Murray sie mit seinem Keyboard besetzen könnte. Dance-Rock ist das Ergebnis nicht, eher Indie'n'Bass. Das ist ein sehr schönes Scheitern, zeugt es doch nach vielem Output von einer Weiterentwicklung, die man den beiden vielleicht gar nicht mehr zugetraut hätte.

So kommt dann nach dem Filler "Lucky To Just Be Here" der unverschämt gelungene Discostampfer "Turn It Up", der beweist, dass Murray und Cain mit ihrem 80s-Faible und ihrem unbestrittenen Melodiegespür unbedingt weiter in Richtung Groove, Bass und Synthies experimentieren sollten. Groove und fehlende Indie-Gitarrenwand macht nicht jeden Song gut, "Settled Accounts" fehlt trotz guter Ideen der rote Faden, "Here Goes" gerät monoton. "Parachute" dagegen überzeugt auf ganzer Linie, eine Art tiefentspannter Space Rock, dessen fuzzy Bass bis in den Erdkern reicht, dazu singt Murray fast schon versoffen vor sich hin - großartig. Auch der Closer "Miracle of 22" ist ein gelungenes, verschrobenes, liebenswertes Ding, indem Murray ins Operettenhafte abdreht.

"Lobes" ist in der Gesamtschau kein tolles Album, aber eines, das ihr euch anhören solltet, wenn ihr auf Bands steht, die versuchen, sich neu zu finden. Warum man nicht mehr zurück möchte, zeigt übrigens das stinklangweilige "Less From You", das anscheinend von früheren Aufnahmen übrigblieb.

Trackliste

  1. 1. Operator Error
  2. 2. Dispense With Sentiment
  3. 3. Human Resources
  4. 4. Lucky Just To Be Here
  5. 5. Turn It Up
  6. 6. Settled Accounts
  7. 7. Here Goes
  8. 8. Parachute
  9. 9. Less From You
  10. 10. Miracle of 22

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