laut.de-Kritik
Rauscht vorbei wie ein kalter Neonstreifen.
Review von Emil DröllWhite Lies wollten alles anders machen. Inspiriert von der 70er-TV-Show "The Midnight Special" beschloss das Trio, die neuen Songs erst live zu meistern und bis ins letzte Detail an ihnen zu feilen, bevor es ins Studio geht. Klingt nach einem Befreiungsschlag – wirkt am Ende aber eher wie ein Eigentor.
Denn was als Rückbesinnung auf das rohe, ehrliche Spiel gedacht war, erstickt hier oft in Kalkül. Der Wunsch, sich von Platte zu Platte zu steigern, sich neu zu erfinden – verständlich. Nur: Wenn man jedes Fitzelchen Eigenheit aufpoliert und es dann als Neuerfindung des Rades verkauft, kippt das Ganze ins Selbstparodistische. Frontmann Harry McVeigh bringt's selbst auf den Punkt – unfreiwillig: "Es ist wahrscheinlich ein Klischee, aber nach 16 Jahren habe ich wirklich das Gefühl, dass wir jetzt wissen, was wir tun". Bitte nicht, Harry. Wenn "Night Light" wirklich der Beweis sein soll, dass White Lies wissen, was sie tun, dann wäre ein bisschen Verunsicherung vielleicht gar nicht so schlecht gewesen.
Der Opener "Nothing On Me" startet mit Druck und Hektik, will sofort beweisen, dass man noch lebt. Tut er – aber nur kurz. Die Nummer rauscht vorbei wie ein kalter Neonstreifen: grell, laut, und dann einfach weg. Emotion? Fehlanzeige. "All The Best" findet immerhin wieder etwas von jenem theatralischen Pathos, das die Band groß gemacht hat. Arctic Monkeys-Gitarren treffen auf White Lies-Bombast – funktioniert.
Danach kommt Sand ins Getriebe. "Keep Up" will mit Prog-Rock-Anleihen glänzen, bleibt aber an der Oberfläche hängen. Kein Schimmer von der bittersüßen Tiefe, die "To Lose My Life" oder "Ritual" einst so durchdringend machte. "Juice" versucht, diesen Glanz zurückzuholen – ein Basslauf wie auf Autopilot, Drums im Dauerlauf, dazu ein Refrain, der kurz Hoffnung weckt, bevor er wieder im Mittelmaß versackt. Erst das Gitarrensolo rettet den Song in letzter Sekunde vor der Belanglosigkeit.
"Everything Is Ok" – naja. Ironisch, dass der Songtitel gleich das Fazit mitschickt. Eine Pianoballade, die mehr will, als sie kann. Der Refrain wiederholt das Wort "okay" so oft, bis man's nicht mehr hören mag. "Going Nowhere" trägt seinen Namen leider zu Recht: fünf Minuten, die nirgendwohin führen.
Dann endlich ein Lichtstreif: "Night Light" ist einer der wenigen Momente, in denen die Band wieder weiß, was sie eigentlich ausmacht. Sanfter Beginn, hymnischer Aufbau, ein Refrain, der bleibt. Auch "I Just Wanna Win One Time" überzeugt mit ungewohnter Schwere, die sich erstaunlich gut mit der typischen White Lies-Leichtfüßigkeit verbindet. Hier spürt man kurz wieder das alte Feuer. "In The Middle" schließt das Album mit sechs Minuten Selbstversuch – ambitioniert, aber ohne echten Bogen.
Am Ende bleibt "Night Light" ein merkwürdig kraftloses Album. Kein Totalausfall, aber wo früher Herzklopfen, Dramatik und Dunkelheit regierten, herrscht heute eine saubere, fast klinische Routine. "Night Light" klingt wie eine Band, die sich zu sehr bemüht, wieder aufregend zu sein und dabei vergisst, warum sie es einmal war.


Noch keine Kommentare