laut.de-Kritik
Delta-Blues fürs 21. Jahrhundert.
Review von Giuliano Benassi"Ich bin ein exzellentes Beispiel dafür, dass im Rahmen der konventionellen, zivilisierten Gesellschaft jeder das tun kann, was er will", erklärt Willis Earl Beal in der Textsammlung, die sein vorliegendes Debüt begleitet. Womit er sicherlich Recht hat. Doch etwas zu tun und damit Aufmerksamkeit zu erregen, sind zwei Paar Stiefel.
Ob Beal nur eine Sternschnuppe bleibt oder zum Dauerbrenner wird, bleibt abzuwarten. Bis auf den bei den Haaren herbei gezogenen Titel "Acousmatic Sourcery" ist das Album vor allem eines: außergewöhnlich. Besser: begeisternd.
Fast könnte man meinen, Robert Johnson sei aus dem Grab auferstanden. Nicht nur wegen der grausigen Qualität der Aufnahmen: damals auf Schellack-Rohlingen, hier mit einem Karaoke-Kassetten-Recorder, Flohmarktinstrumenten und Topfdeckeln. Vor allem wegen der Inbrunst der Darstellung und der existentialistischen Tiefe, die sie ausströmen.
Hunderte Stücke habe er auf diese Weise aufgenommen, so Beal. Von der Heimatstadt Chicago war er nach Tucson gezogen und hatte sich mit Gelegenheitsjobs über Wasser gehalten. Die Lieder seien aus Verzweiflung und Langeweile entstanden, als Weg, mit der Außenwelt zu kommunizieren.
In der Wüstenstadt hat er Demokassetten mit Kontaktdaten verteilt oder einfach liegen gelassen. Wer eines der Exemplare fand und hörte, dürfte genauso erstaunt sein wie nun bei der offiziellen Version: verträumte, verspielte Gitarrenklänge, die einige Oktaven höher liegen als normal, mal gezupft, mal angeschlagen, durchgehend akustisch oder nur leicht verzerrt. Dumpfe Schläge, die den Rhythmus vorgeben. Eine Stimme wie aus dem Jenseits, tief, mitfühlend, mal zärtlich, mal brüllend, aber auf merkwürdige Weise abwesend. Texte über Liebe, vor allem enttäuschte, Existenzzweifel, Tod.
Delta-Blues in seiner reinsten Form, ins 21. Jahrhundert versetzt. Denn mit engen, verrauchten Bretterbuden brauchte sich Beal nicht herumzuschlagen. Auch seine Taktik hatte Erfolg: Tatsächlich riefen Leute an, andere stellten seine Demos ins Netz. Plötzlich war er ein Underground-Star, insbesondere in Großbritannien. Das Label XL Recordings war so begeistert, dass es ihn unter Vertrag nahm.
Nun ist Beal ein Labelkollege von Jack White, M.I.A., Vampire Weekend und Radiohead. Und statt ihn in ein Studio zu stecken, schickten sie ihn erst mal on the road. Und veröffentlichten die Demoaufnahmen ohne große Überarbeitung mit einer ausführlichen Textsammlung und expliziten Zeichnungen. Beal selbst bezeichnet das Paket gar als Roman.
"Acousmatic Sorcery" ist eine jener Platten, die ein bleibende Spur hinterlassen. Mal schauen, ob es Beal gelingt, unter gewöhnlichen Umständen weitere folgen zu lassen.
2 Kommentare
Okay, man muss auf diese Extrem-Lo-Fi-Produktion stehen. Ich hab's mir auf Youtube (via Proxtube) angeschaut und find's absolut faszinierend und gleichzeitig anstrengend. Aber den Blues hat er.
Sorry, aber das kann sich doch kein Schwein anhören. Muss wohl Kunst sein ^^