laut.de-Kritik
Zwischen Leberwurst und Kaviar, Musikprovinz und Weltformat.
Review von Ulf Kubanke"Hey Mr. Bowie, wir sind auf dem Weg zu dir in die Stadt der Freiheit / Als wenn's kein Morgen gäbe, nicht nur ein Polaroid vom Leben, den Kopf weit erhoben, die Hände im Dreck (...) / Ground Controll to Major Tom ... Eeeeeeeyeoooooo, lass uns weiter gehen / Eeeeeyoooo": "Bis Nach Berlin" steht symptomatisch für die Zerrissenheit des neuen Wingenfelder-Albums "Sieben Himmel Hoch". Zwischen Leberwurst und Kaviar, zwischen Musikprovinz und Weltformat ist alles dabei.
Falls es das Ziel der Gebrüder Fury In The Slaughterhouse war, eine zutiefst widersprüchliche Platte zu machen, die den Hörer dialektisch hin wie her reißt, geht der Plan auf. Die 14 Lieder addieren sich zum totalen Einerseits-aber-andererseits-Werk.
Einerseits locken die von Bowies Philosophie inspirierten Strophen des obigen Songs. Andererseits fragt man sich kopfschüttelnd, warum Wingenfelder diese Steilvorlage in einem furchtbaren Allerwelts-Chorus ersäufen, der sich zwischen Fankurven-Duktus und Telenovela-Mucke ansiedelt. Wie Onkel David einst zu Coldplay sagte: "It is not a very good song, is it?"
Die Nummer ist kein Einzelfall. "Gut So Für Mich" startet als sensitive Ballade, landet indes als Truck Stop pumpender Country-Pop mit penetrantem Ohrwurm und kunstledernen Fransenärmeln. Als roter Faden schlängelt diese Ambivalenz durch die Scheibe. Der Titelsong dient sich erfolgreich als Stadionhymne an, enttäuscht aber mit einem überzuckerten Schlagerpathos. Daneben steht mit "Mitten Im Leben" ein knackig flirrendes Elektropop-Arrangement und wetzt die Scharte wieder aus.
Ihre Mitstreiter bieten ein ähnlich ambivalentes Bild. Da sitzt Fließbandpop-Papst Thorsten Brötzmann einträchtig neben Foo Fighters Keyboarder Rami Jaffee. Sogar textlich regiert König Widerspruch. Faustregel: Solange die Wingenfelder sich dem Kollektiv widmen, duftet das Gebräu mitunter nach uninteressanter Oberflächlichkeit, First World-Befindlichkeiten und einem Hauch Ignoranz. Alles egal, solange nur i>"das größte Bier der Welt" auf den Tisch kommt ("Frau Von Welt").
Sobald Wingenfelder dagegen ganz im Sinne Bowies individuelleres Storytelliing bieten, gelingen interessante und berührende Lieder. "Königin Der Nacht" impft doppelbödige Romantik zwischen Beton und Brennnesseln. Ein botanischer Love-Song, der anscheinend nicht von einer Frau handelt, sondern eine Blume anbetet. Ähnlich gut: Die Geschichte von der "Nachttankstelle" am Ende der Straße.
Als stärkstes Pferd steht "OOO (Out Of Order)" auf der Weide des Wingenfeldes. Auch hier gäbe es mit "I'm Deranged" eine Bowie-Parallele. Genau wie dort befindet sich der Protagonist in einer dystopischen Welt, ringt jedoch zusätzlich mit Dämonen des sich aus eigener Psyche entwickelnden Wahnsinns. "Irgendwie ist alles heute so grün. Das kann ich gerade mal nicht wechseln./ Ich schau in mich hinein und irgendwo sitzt da'n kleines Schwein./ Es sagt "Ich könnt'n Stuhlbein für dich drechseln." Grandios!
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