laut.de-Kritik
Dauerhafter Ausnahmezustand im Kriegsgebiet Los Angeles.
Review von Dominik LippeDas Millennium leitete seinen kommerziellen Durchbruch ein. Mit "X" produzierten ihm Dr. Dre und Scott Storch eine angemessen breitbeinige Single, die das folgende Album "Restless" bis zum Platin-Status trieb. Von "Without Me" bis "In Da Club" turnte er anschließend in den Videos der Rap-Klassiker jener Jahre herum. Eine Tournee mit Eminem, 50 Cent, Obie Trice, Cypress Hill und D-12 führte ihn 2003 auch in die deutschen Stadien. Kurz darauf trat er in "Pimp My Ride" täglich auf den Bildschirmen des hiesigen Musikfernsehens in Erscheinung.
Dabei sah es für Xzibit lange Zeit nicht allzu rosig aus. Der frühe Tod seiner Mutter zwang ihn dazu, von Detroit zu seinem Vater nach Albuquerque umzusiedeln. Es folgten Verhaftungen und häusliche Gewalt. Schließlich ließ er New Mexico hinter sich, um zu seiner Schwester an die musikalisch florierende Westküste zu ziehen. Ein Vertrag mit Loud Records erlaubte es ihm, sein erstes Album "At The Speed Of Life" zu veröffentlichen. Mit seinem Debüt schöpfte er noch nicht sein volles Potenzial aus, doch die Auskopplung "Paparazzi" avancierte insbesondere in Europa zum Hit.
Mit dem auf Barbra Streisands Interpretation eines Orchesterstücks von Gabriel Fauré basierenden Instrumental leitete Xzibit 1998 auch sein zweites Album "40 Dayz & 40 Nightz" ein. Das "Intro (The Last Night)" wirft den Hörer unvermittelt in das Tohuwabohu von Los Angeles. In Nachrichtenschalten berichten Reporter von einer aufgebrachten Menge, die sich vor dem dortigen Bundesgericht versammelt haben, wo sie nach 40 Tagen und 40 Nächten das Urteil erwartet. Sirenen und das Schrabben der Hubschrauber im Hintergrund weiten den chaotischen Eindruck noch weiter aus.
Mit Wucht und Wut schlägt der kontraintuitiv benannte erste Song "Chamber Music" in den Beton ein. Xzibit platziert seine Verse mit derartigem Hunger in den Takt, dass sich der ohnehin von der Hitze der kalifornischen Sonne aufgeweichte Asphalt vollständig verflüssigt. Dazu garniert er seinen Hardcore-Rap mit militärischen Bildern. Kaum hörbar unterbricht er die Strophen seiner Kammermusik mit Nachrichtenmeldungen über die geringe Lebenserwartung in seiner Heimatstadt und wie sich die marginalisierten Mitbürger zunehmend gleichgültig gegenüber der Misere zeigen.
Die Entwürdigung in den Problembezirken spiegelt sich kongenial im Instrumental wider, für das sich Sir Jinx und Xzibit an Vivian Kubricks Soundtrack zu "Full Metal Jacket" bedienen. Der Kriegsfilm behandelt zum Großteil die militärische Ausbildung vor dem Kampfeinsatz. Systemtisch bricht Sergeant Hartman die Persönlichkeit der Rekruten, um sie zu befähigen, mit ihren zum Liebesobjekt stilisierten Waffen in die vietnamesische Schlacht zu ziehen. So zeichnet der Rapper intelligent wie provokativ die Parallelen zwischen einer entmenschlichenden Außenpolitik und den Zuständen daheim.
Die Stadt im dauerhaften Ausnahmezustand zeigt auch das Musikvideo zur ersten Single "What U See Is What U Get". Nur geschützt vom Plot Armor läuft Xzibit an Explosionen und Plünderungen vorbei zum Supermarkt und wieder zurück. Regisseur Gregory Dark setzte passend zum dynamischen Instrumental nur auf unsichtbare Schnitte. Der traditionelle US-amerikanische Optimismus findet in Song und Video seine Kehrseite. Wie zuvor Ice Cube widersetzt er sich liebgewonnener Symbolik ("I wanna kill Sam"), wie sein Kollege Ras Kass auf "Soul On Ice" bezieht er sich wiederholt auf die Bibel.
Der befreundete Kalifornier tritt auch im passenderweise nach einem Betrugsspiel benannten Song "3 Card Molly" in Erscheinung. Bud'da unterlegt die Ausführungen der Westcoast-Rapper mit einem schwermütigen Sample aus "The Windmills Of Your Mind" in der Version der britischen Sängerin Petula Clark. "If you looking for sympathy, you better look between 'R' and 'T' in the fucking dictionary", wischt Ras Kass die Forderungen nach Mitgefühl im Wettbewerb des Lebens beiseite. Eine Sicht, die Xzibit in "Handle Your Business" bestätigt: "Showed heart, but cardiac arrested."
Leichtfüßiger kommt "Shroomz" daher. Basierend auf "Funky Worm" der Ohio Players erzählt Xzibit die Geschichte einer Drogennacht auf Magic Mushrooms. Immerhin sind die Psychoaktiva bereits George Clinton gut bekommen. Amüsant ringt der Rapper dann aber mit den Folgen: "Fucked up, trying to see straight. How much of that bullshit did I actually take?" So lässt sich der inhaltlich und stilistisch stimmige Song auch als Kommentar lesen, dass der im Funk-Fahrwasser operierende Hip Hop der Westküste sich in mehrfacher Hinsicht schwertut, mit den großen Vorbildern mitzuhalten.
In "Los Angeles Times" kommt die Gesellschaftskritik auf leisen Sohlen daher. Zu einem Sample aus David Shires jazzigen Soundtrack des Thrillers "Stoppt die Todesfahrt der U-Bahn 123" wendet sich Xzibit erneut von den falschen Versprechungen des amerikanischen Traums ab: "Take a trip to Washington, then burn the constitution." Seine kalifornische Wahlheimat zeichnet er unterdessen als modernes Sodom und Gomorra, in dem praktisch das Kriegsrecht herrscht: "Welcome to L.A. where you can see the whole city burning, cause the cops got uzis and the dealers keep serving."
Hieran schließt auch das "Outro" an, das sich erneut an "Full Metal Jacket" bedient. Vergleichsweise nüchtern berichtet Xzibits Vater darin von seiner Zeit in Vietnam in den 60ern. Der Kriegsveteran erkennt sich nicht nur in seinem Sohn wieder, sondern schreibt dem Rapper vergleichbare Erfahrungen zu: "He's experienced a lot of the dangers of life." Die kriegerischen Traumata der Rambos und Taxi Drivers manifestieren sich in der Gewaltkultur der nachfolgenden Generation, so dass der bewaffnete Konflikt vor den Haustüren der Armenbezirke seine Fortsetzung findet.
"I was molded after the best that the streets had to offer." Fürwahr, 1998 stellte er das Beste dar, was die Straße zu bieten hatte. Nach dem vielversprechenden "At The Speed Of Life" setzte der gebürtige Detroiter mit seinem zweiten Werk ein großes Ausrufezeichen hinter seinen Namen. Selbst Dr. Dre konnte sich dem hungrigen Rapper von da an nicht mehr entziehen und lud ihn in den erlesenen Aftermath-Zirkel ein. Auf "No Limit Top Dogg" von Snoop Dogg und "2001" von Dr. Dre setzte sich Xzibit prominent in Szene, bevor er das Tor zum neuen Jahrtausend beherzt eintrat.
In der Rubrik "Meilensteine" stellen wir Albumklassiker vor, die die Musikgeschichte oder zumindest unser Leben nachhaltig verändert haben. Unabhängig von Genre-Zuordnungen soll es sich um Platten handeln, die jeder Musikfan gehört haben muss.
2 Kommentare
Geschmackvoll, spannend, essenziell, substanziell, zeitlos und hier sehr schön systematisch beschrieben.
Ich weiß ja nicht. Speed of Life ist schon besser und Restless zumindest viel besser produziert.