laut.de-Kritik
Als wäre Prince in einen David Lynch-Film gestolpert.
Review von Mirco LeierIn Zeiten, in denen Rock im Mainstream nur noch unter dem Deckmantel von verwässertem Bro-Pop à la Imagine Dragons oder Maroon 5 stattzufinden scheint, liegt es wie so oft am Untergrund, das Genre angemessen zu repräsentieren und weiterzuentwickeln. Mit "Safe In The Hand Of Love" entpuppte sich Sean Bowie (der Nachname kann kein Zufall sein) vor zwei Jahren nicht nur als womöglich nächster großer Hoffnungsträger des Genres. Er katapultierte sich mit seinen ebenso aufregend wie anstrengenden Kompositionen auch direkt an die Spitze musikalischer Innovation.
Die genreübergreifende Nostalgie-Welle macht aber selbst vor dem mysteriösesten aller Artrock-Avantgardisten keinen Halt. War Yves Tumors erstes Studioalbum bei Warp Records noch ein schwindelerregendes Konglomerat aus Noise, Pop und so ziemlich allem, was dazwischen liegt, zeichnet "Heaven To A Totured Mind" eine wesentlich übersichtlichere Retro-Blaupause aus. Der Unterschied zum Großteil der Alben, die auf einem ähnlichen Grundgerüst aufbauen: Yves zitiert nicht nur, er denkt seine musikalischen Einflüsse oft bis zur Unkenntlichkeit weiter. Das klingt dann bisweilen, als wäre Prince in die surrealen Welten eines Alejandro Jodorowsky oder eines David Lynch gestolpert.
Die LP öffnet mit "Gospel For A New Century". Imposante Bläser und ein sinnlicher Bass umgarnen Tumor, der in bester Glam-Rock-Manier die Liebe und ihre Vergänglichkeit besingt. Das dazugehörige Musikvideo fängt den Vibe des Songs perfekt ein: Ein gehörnter Yves räkelt und tanzt sich durch fiebrige Welten und wirkt dabei ebenso verstörend wie betörend. Er gibt sich als Hybrid aus Marilyn Manson, Trent Reznor und Prince - als der Rockstar eurer Alpträume.
Diese Abgründigkeit bestätigt sich mit "Medicine Burn". Der hier erzeugte Strudel aus kryptischer Lyrik und hypnotisch plärrenden Gitarren zieht einen immer tiefer in seinen Bann, evoziert Bilder lovecraft'scher Schöpfungen ("seven heads and six hundred teeth") und spuckt uns am Ende mit kreisendem Schädel wieder aus. Ein Phänomen, dass man in ähnlicher Art und Weise auf auch anderen Songs erlebt.
Auf "Foile Imposse" beispielsweise zelebriert Yves einen Endzeit-Rave, dessen unwiderstehlich jazzigem Groove man sich trotz des unterschwelligen Grauens das sich in den Track schleicht ("Our very own bloodbath / A spiritual war crime"), nur schwer entziehen kann. Es ist wohl das größte Wagnis, dass der Amerikaner auf seinem vierten Album eingeht. Denn auch wenn er sich nach wie vor überwiegend außerhalb des Üblichen bewegt, sucht man vergeblich nach den verrückten Noise-Exorzismen seiner früheren Werke.
Dies spielt der Stringenz des Albums dennoch in die Karten. Denn so ambitioniert und vielseitig Yves' Talente auch sein mögen, seine aggressive, raue Seite würde dem oft entspannten Vibe und der Geradlinigkeit von "Heaven To A Tortured Mind" meist im Wege stehen. Apropos vielseitig: Auf dem Diana Gordon-Duett "Kersone!" klingt Tumor wie Lenny Kravitz, während der musikalische Backdrop sowohl Trip Hop im Stile Massive Attacks als auch David Bowie rezipiert. Getragen von orgasmisch schönen Gitarrensoli verdeutlicht dieses Kernstück der Platte, wie schwer es ist, den Sound des Amerikaners festzumachen, was natürlich erneut für den nonbinären Künstler spricht.
Immer, wenn sich die musikalische Ebene soweit an die gängigen Konventionen anschmiegt, dass man geneigt ist, einen konkreten Stempel aufzudrücken, schlägt Tumor den nächsten Haken. So fallen zum Beispiel "Hasdallen Lights" und "Strawberry Privilege" mit ihren ätherischen Samples und gepitchten Vocals aus der Reihe und erinnern etwa an die Arbeitsweise eines Damon Albarn.
Auch lyrisch unterscheidet sich Yves' zweites Album nach seinem Major-Signing vom Vorgänger: Das experimentelle Geschwurbel von "Safe In The Hands Of Love" ging Hand in Hand mit ebenso virtuosen, rätselhaften und politischen Texten, die nun größtenteils einem eher geradlinigeren, aber keineswegs verwässerten Songwriting weichen. Denn so kryptisch wie auf dem bereits erwähnten "Medicine Burn" wird es nur selten.
"Floating through what feels like a declaration of love", singt Yves auf "Dream Palette" und fängt damit die Essenz seines Viertlings ganz gut ein. Er besingt Beziehungen, die kommen und gehen, die Unbeständigkeit der Liebe und die Poesie des Ganzen. Auf "A Greater Love" resümiert er abschließend :"You deserve some different kind of lover". Es ist das altbekannte Spiel aus Anziehung und Ablehnung, das der Amerikaner einmal mehr durchexerziert, ohne ihm allzu viel neues hinzuzufügen.
Das muss er aber auch gar nicht. Das organische Klangbild, in das er seine Texte einbettet, besorgt eh den Großteil des Storytellings. Jede Bassline erzählt von sinnlichem Sex, jeder Breakbeat von durchtanzten Nächten und jedes Gitarrensolo von unerträglicher Sehnsucht. Kurzum: Das instrumentale Feuerwerk spiegelt das besungene Feuerwerk der Gefühle meist besser wieder als Worte es eh je könnten.
5 Kommentare mit 8 Antworten
Die Kerosene Single definitiv schonmal ein hervorragender (Metten)Grower. Wird definitiv ausgecheckt.
Definitiv.
Vielleicht war das ja doch heute mit dem Redundanztag.
Vielleicht.
ich fand sowohl manson als auch reznor zu unterschiedlichen momenten ihrer karriere sehr fickbar. prince ist hingegen IMMER fickbar gewesen
Es wären ja eigentlich alle Zutaten da, aber irgendwie wirds nicht lecker. Wirkt etwas verkrampft-weird, ohne daß es mal dringlich auf den Punkt kommen würde. Ein paar gut komponierte, eingängigere Passagen würden der Dynamik nicht schaden.
Das Ganze bleibt aber erst mal auf der Platte. Vielleicht gefällts ja in ein paar Wochen.
Nach drei Durchläufen habe ich noch immer nicht das Gefühl, etwas gehört zu haben. Schade. Auch schade, daß es schon ewig her ist, daß eine Empfehlung von laut.de bei mir gezündet hat. Irgendwie werden hier in letzter Zeit die falschen Platten besprochen. Und bei den besprochenen kann ich mit den 4/5-Punktern kaum was anfangen, dafür mit so manchen 2/3-Punktern.
Hat sich die Redaktion in den letzten Jahren grundlegend geändert?
Nabelschwitz, Anwalt, Olsen und Butterweck sind in die ewigen Jagdgründe eingegangen. Die wurden durch Praktikanten ersetzt die nur noch Rap besprechen.
Jetzt, wo Dus schreibst... Stimmt, Kabelitz und Anwalt schreiben nur noch sehr sporadisch. Auch der Rest der interessanten, qualifizierten, alten Garde wurde immer dünner und von unerfahrenen Leuten ersetzt, mit deren Geschmack ich selten was anfangen kann. Na gut. Dann werde ich hier mehr Zeit beim Lesen der wundervoll geisteskranken bis asozialen Kommentare verbringen.
alle genannten sind in mehr als einer hinsicht hochrisikogruppe. die sind alle in zwanxquarantäne
Auch in Zwankskarantäne kann man Musik hören/rezensieren.
Prince und David Lynch - ich kann mir die Vorhölle nicht schlimmer vorstellen.
Noch so ein Album, das ich zum Release vollkommen übersehen habe. Zu Unrecht. Rückblickend eines der stärksten Alben in 2020, dabei trotz Tumors Avantgarde-Wuzeln sehr angenehm zu hören und stellenweise sogar eingängig, musikalisch irgendwo zwischen Tyler the Creator und Prince. 4,5/5.