laut.de-Kritik
Farbenfroher Folkfunkjazzrock vom Feinsten.
Review von Philipp KauseAllison Russell darf sich wirklich "The Returner" nennen. Nach ihrem Solo-Debüt gibt sie nicht auf, sondern kehrt zum Glück zurück. Dabei ist sehr fraglich, wie wenige in der Pandemie ihr wunderschönes "Outside Child" mit bekommen haben. Die Klarinettistin, Banjospielerin, Akustikgitarristin, Singer/Songwriterin und Female-Afro-Power-Aktivistin hat indes eine viel längere Diskographie als Frontfrau und Mitwirkende in verschiedenen Gruppen hinter sich. Insgesamt bringt sie's auf ein Dutzend Longplayer. Hinzu kommen Engagements wie für Joni Mitchell live. Allisons funky Platte "The Returner" beweist nun abermals, dass die Kanadierin eine Innovatorin und Motor im Americana-Folk ist. "Americana ist kein Genre, sondern eine Community", meint sie im Interview mit dem Hersteller ihrer Gitarren, Taylor.
Gemeinhin verbindet man mit Folk Zartes und Zerbrechliches, und mit solchen Instrumenten wie Banjo und Klarinette rustikalen Lebensstil in Holzhütten mit Kamin, Erntedank-Dorffeste und ernste Betulichkeit. Bei Allison kommt alles ganz anders, so lange sie nur ihre Botschaft Nummer eins unterbringt: "Black is beautiful". Russell selbst soll ihren eigenartigen und außergewöhnlich schönen Stil 'Urban Roots' getauft haben, was den People of Color-Aspekt innerhalb der 'Americana' unterstreicht.
In ihrem überraschungsreichen Mischmasch vereint sie Elemente aus kanadischem Chanson-Folk, zu hören in "Requiem", mit Great American Songbook-Jazz, Soul, traditioneller 'Banjo & Fiddle'-Musik, Kirchenliedern, kongolesischen Soukous-Einflüssen, Call-and-response-Blues, in "Springtime", '80er-Synthpop in "Stay Right Here", und über allem schweben Art Rock und Funk. Mitunter machen hier sogar Richtungswechsel innerhalb von Liedern stutzig. Aber Musik, die Konventionen hinterfragt, aufbricht und Reibungen verursacht, kann man in der allgemeinen Stagnation der meisten Genres nur begrüßen: Endlich mal frischer Wind und jemand, die sich was traut!
Der zielstrebige Understatement-Funk in "All Without Within" zeigt Russell in verschiedenen Ausdruckslagen. Unschuldig fragt sie, "what's happening?!", während die Bass- und Klavier-Synkopen unter ihr elektrostatisch geladen zu zappeln scheinen. Dann exklamiert sie "Kerosene, licorice, low moan and the bliss / Gimme them, all those Gifts, "Kerosin, Lakritz, leises Stöhnen und Wonne / Gib mir das alles, all diese Geschenke!" - Schon crazy, abgefahren ... "Demons" atmet schwer ächzenden Südstaaten-Groove und ein bisschen Louisiana-Cajun-Taktgefühl, Dr. John lässt grüßen. Der hymnische Chor-Gesang, der die Dämonen beschwört, lässt sich am ehesten als 'Gospel-Folk' fassen.
Inmitten von Verschrobenem, sperriger Rhythmik und widerborstig komplexen Dramaturgien religiös anmutender Riten, zum Beispiel in "Eve Was Black", sticht dann auf einmal ein Ohrwurm von Airplay-Hit-Qualität heraus: "Stay Right Here" erinnert fatal an den Gassenhauer "It's Raining Men", offenbart aber auch andere 80er-Referenzen wie Alison Moyet, The Proclaimers oder die 10.000 Maniacs.
Fröhlich-quietschige Discosoul-Streicher schwemmen gleißende Lichterfluten in die "Shadowlands" hinein, während Allison singt, dass alle Träume zerbrochen seien. Der Sound schwappt indes zugleich über, vor Optimismus, Flow und Tatendrang. "Rag Child" ist ein nonstop-Gesang ähnlich einer gesungenen Lesung oder Predigt. Während Allison die Silben skandiert, lässt sie sich kein bisschen von dem gegenströmigen, repetitiven Melodie-Loop, der unter den Worten durch läuft, beirren. Die Minimal-Ästhetik dieser Nummer müsste Brian Eno gefallen.
"The Returner" beinhaltet auch eine Prise Protest, wie das erhabene "Requiem" am Ende zeigt, und die Haltung "wir-erzählen-die-Lebensweisheiten-der-Vorfahren-an-die-Jüngeren um-sie-zu-sensibilisieren". Russell setzt zu einer 'hört-zu-denn-es-ist-wichtig-Intonation und Baez-Stimmlage an und bindet Elemente der kanadischen Folkmusic ein. Teils performt sie in kanadischem Québec-Französisch. In "Snake Life" flirtet die Künstlerin erst mit Ethnopop und Piano-Jazz, schwingt sich dann aber plötzlich zu einer kathartischen und orchestral verdichteten Klang-Collage mit lautem Cello-Art Rock und vielen Vokal-Schichten auf. Umgeben von dieser Song-Konstruktion voller Kurven und Brüche endet sie seufzend in der Message: "Black is beautiful!"
Leicht zugänglich ist das Werk zwar nicht, aber dafür gehaltvoll und abwechslungsreich in Tempi, Instrumentierungen, Rhythmik und Genre-Abzweigungen. Allison fügt alle ihre Einzelteile hervorragend zusammen und gestaltet ein farbenfrohes Teil, das seinesgleichen sucht und Spaß macht.
4 Kommentare
Das ist ja mal ein echt abwechslungsreiches Album, das einen immer wieder in die akustische Irre führt und dabei lauter Ausrufezeichen hinterlässt. 5 Sterne für diese Musik, die dem Mainstream vollkommen widerspricht.
Großartiger Stimmeinsatz. Atmet den Vibe alter Classics, find ich.
Oh Mann, warum habe ich erst Kvelertak und diese anderen da gehört?
Bin ganz geflasht von diesem Album, hab es heute schon drei mal durch - wunderschön!
Wirklich ne schöne Platte, wunderbar, um einem das Frühstück zu versüßen. Ich verdanke Philipp Kause mittlerweile einige Entdeckungen, auch wenn sich die ersten zwei Absätze seiner Reviews sehr oft lesen wie der Pressetext.