laut.de-Kritik
"Wenn das As wiederkommt, ist egal, wer der King ist."
Review von Dani FrommFünf Jahre ohne Veröffentlichung gehen im Deutschrap-Maßstab problemlos als mittlere Ewigkeit durch. Die Zeit, in der Azad abgesehen von Facebook-Postings IN GROSSBUCHSTABEN nichts verlauten ließ, kommt einem sogar noch länger vor. Während das versprochene Album wieder, wieder, wieder und noch einmal nicht erschien, mutierte "Leben 2" im Grunde schon zum enttäuschenden Treppenwitz, noch ehe eine Zeile davon an die Öffentlichkeit gedrungen war.
Nennen wir es den "Detox"-Effekt: Nach jedem angesetzten und folgenlos verstrichenen Release-Termin lag die Latte niedriger. Als es im vergangenen Mai hieß, "DIESES VERFICKTE JAHR KOMMT MEIN ALBUM", tanzten die Erwartungen längst in Knöchelhöhe Limbo. "Habt ihr im Ernst geglaubt, dass ich weg bin?" Erwischt! Einen schönen Bären hat uns die Faust des Nordwestens da aufgebunden.
Mit dem Selbstbewusstsein hatten sie in Frankfurt bisher ehern selten ein Problem: "Guck, dieses Album ist das Größte, das ich je gemacht hab'", kübelt gleich das "Intro" eine amtliche Portion Hybris aus, immerhin "nach meinem Kind". Das könnte leicht überheblich und vermessen klingen, schwappte in der großspurigen Ankündigung auf mächtigem Beat nicht derart viel Herz, Seele und die schiere Wahrhaftigkeit mit, DASS MAN EIGENTLICH DIE KOMPLETTE REVIEW STILECHT IN MAJUSKELN ABFASSEN MÜSSTE.
Den Auftritt hat Azad schon einmal makellos hingelegt. Eine gute Basis, um in "Dreh Ab" nicht nur ab-, sondern ordentlich aufzudrehen. Azad muss noch nicht einmal das Tempo hochfahren, um zu unterstreichen: "War, bleib' und bin Rapper". "Im Beatrausch", nämlich. "Das hier ist King-Rap", platziert er zwischen zwitschernden Scratches seine Links-Rechts-Kombination präzise auf die Ohren. "Flieht, denn ich bin back."
"Ich beiß' alles weg wie ein T-Rex." Azad kultiviert, wie eigentlich fast alle anderen, die zu gern den harten Max mimen, seine kompromisslose Ich-fick-sie-alle-Attitüde. Ganz anders als bei den meisten anderen erweckt er aber nie den Eindruck, sein "flächendeckendes Zerfickungsprogramm" als eine Art Präventivschlag zu nutzen, damit nur ja niemand einen Blick auf die eigentlich doch ganz zarte Seele hinter den ganzen Großmäuligkeiten erhascht.
"Ich reiß' mein Herz aus der Brust, zeig' euch die Wunden", verfolgt Azad den genau gegenteiligen Ansatz. "Ich Bin Nicht Wie Ihr", stellt dieser Deutschrap-Urgesteinsbrocken sicherheitshalber noch einmal explizit fest, lässt jede Deckung sinken und gibt den Blick auf "Narben & Tränen" so offen frei, wie es sich nur jemand erlauben kann, der mit sich und seinen Grundsätzen absolut im Reinen ist. Ihm geht es um Respekt, um Frieden und um die Freiheit, die er schon im Namen trägt.
Was ganz und gar nicht bedeutet, dass sich Azad nicht quält: Er leidet weit mehr als jemand, dessen größte Sorge "Bitches, Fame oder Ähnliches" sind - und wie man an selbige herankommt. Ganz Privates setzt ihm zu, aber auch der Zustand einer aus den Fugen geratenen Welt. "Wie kann ich kein Klagelied singen?" Aber eben auch: "Versuch', den Blick zu wahren für das Gute, trotz all dem Mist."
Bei Azad ist nichts Pose, alles ist Haltung. Entsprechend bedeutet "RAP" für ihn mehr als Business. Zu Drums, die "In The Air Tonight"-Assoziationen wecken, lässt er seine musikalische Sozialisation Revue passieren. Den Platz, den in seiner eigenen Biografie Rakim, Chuck D oder Big Daddy Kane einnehmen, füllt der Bozz selbst längst für die nächste Generation deutscher Rapper aus, wie MoTrip im zweiten Vers belegt. Ob des allüberall gegenwärtigen Featuregasts eben noch ein "Schon wieder der!" gedacht, ergibt die Kollaboration hier tatsächlich Sinn. "Wir sind Rap, und das merkst du an den Texten."
Überhaupt, Vorurteile: Wer von Jeyz - weil er ihn wie ich, zugegebenermaßen, wohl irgendwie mit Jonesmann verwechselt hat - eine schmalztriefende R'n'B-Standard-Hookline erwartet hat, den dürfte "Werte" ebenfalls verblüffen. Der Beat läutet mit Klavier- und Streicherschmonz zwar jeden Kitschalarmglocke. Jeyz rettet aber alles mit einem verblüffend kantigen, charakterstarken Auftritt.
Blut & Kasses Part erscheint in "Blind" auf den ersten Blick irgendwie unpassend, schon beim zweiten Durchlauf fügen sich die Teile aber zu einem stimmigen Bild zusammen. Die Strassenbanditen Gzuz und Bonez MC hinterlassen in "187", dem verzichtbarsten Track auf "Leben", im wesentlichen gar keinen Eindruck. Immer noch besser aber als die unsäglich affektierte Beteiligung von Schatten & Helden, deren Geschrei "Weltbild" in die absolute Unhörbarkeit katapultiert. "Wir sind komplett verstört", stimmt. Vielleicht auch "von unserem Weltbild", in erster Linie aber von dieser grauenhaften Hook.
Dankenswerterweise bleibt die Nummer der einzige Ausfall. Die leise Befürchtung, das erste Azad-Album nach all den Jahren doch irgendwie mittelprächtig finden zu müssen, hat "Leben 2" genauso pulverisiert wie die unterdessen doch hier und da aufgekeimten Zweifel daran, ob es Azad denn wirklich noch drauf hat. "Wenn das As wiederkommt, ist auch egal, wer hier der King ist."
Dabei gibt es in Azads Welt weitaus Wichtigeres. Die ausgefuchstesten Reime, die krasseste Technik, noch ein paar Silben mehr pro Minute: Das alles ist dem Mann letzten Endes offenbar so gleichgültig wie die angesagtesten Beat-Trends. "Ich hoffe, dass alle erkennen, nicht, dass ich der beste Rapper bin, sondern ein anderer Mensch." Ein Mensch, vor allem. Zudem einer, dem ich jedes einzelne seiner Worte abnehme. Falls jemand die Fleisch gewordene Authentizität sucht: Ich würde in Frankfurts Nordwesten damit anfangen.
26 Kommentare mit 32 Antworten
Unglaublich wack...Unfassbar, dass hier mehr als 1/5 gegeben wurde.
Das kann man doch nur ironisch feiern. Phrasen aus dem Mittelstufen-Poesiebuch und Nuschelraps, die aggressiv klingen sollen. Verstehe auch den Wirbel gar nicht, nur weil der mal ein paar Jahre die Füße still gehalten und keinen weiteren Müll verzapft hat, halten ihn jetzt alle für eine Art Heilsbringer? HOMÄ, bitte.
Wir hatten das Thema schon am Freitag im Chat. Wirklich ein Album zum vergessen. Umso absurder, dass der Ramsch hier 4/5 bekommt.
Harte, aber - je nach Standpunkt - nicht ganz unberechtigte Worte, effamuartleW. Wie findest du denn seine ersten Alben?
Ich mag "Leben" sehr gerne, "Faust des Nordwestens" auch, "Bozz" ging noch durch damals aber der Rest ist meiner Meinung nach mal kleinerer, mal größerer Mist.
Joa, kann man schon so stehen lassen.
Ach, es tut mir ja leid für Menschen, die geglaubt haben, dass Azad eine Metamorphose hinlegt & plötzlich Abwechslung & Tiefe in seine Technik aufnimmt oder verschiedene, lautmalerische Effekte in seine akustischen Szenarien einfließen lässt, aber dieses album ist was Emotionen, Atmosphäre & Realness angeht untouchable!
Wo liest du raus, dass wir diese Dinge vermutet haben? Was auch immer sie bedeuten mögen.
untouchable sollte es in der tat bleiben. für so langweiligen schmonz muss man kein geld ausgeben
Dieser Kommentar wurde vor 8 Jahren durch den Autor entfernt.
@bav: Abwechslung ist ja grundsätzlich nie etwas Schlechtes, aber Tiefe ist nun wirklich nicht das, was ich von Azad hören möchte. Nähert sich dann in der Regel bedrohlich der Fremdscham-Grenze. Ach, und lautmalerische Effekte, die in akustische Szenarien einfließen... Also Ad-libs, oder wie? Das bitte nur, wenn sie von FEDOR kommen.
Aber auf jeden Fall ein sehr pfiffiger Post und natürlich vielen Dank für dein Mitgefühl, Homäh!
5 Punkte, wie beim Großen Latinum, ihr Nixblicker
als du gesagt hast, dass du es gut findest, hatte ich ECHT ansgt.
ansgt genug für buchstabensalat.
Meint ihr zwei das wirklich ernst?
Dieser Haufen genuschelter "Punchlines" soll ernsthaft so gut sein wie ZHT4 (Um nicht schon wieder mit DS2 um die Ecke zu kommen. )?
Kolle? Kann ich mir nicht geben, dieses Off Beat-Vergleichs-Gekloppe. Azad liefert ab, was er kann und im Azad-Kosmos des emotionalen Nuschelns sein bestes Album
Ja, dann komm ich halt mit DS2. Findest du das auf einem Level mit Leben 2? (Achtung: Fangfrage! )
Was ist DS2?
http://www.laut.de/Future/Alben/Ds2-97176
Naja, will es dich jetzt ernsthaft empören, wenn Leute die mit effektstrotzenden Ami-Raps über Drogen und Dirty Sprite auf trappigen Beats nichts anfangen können stattdessen Azads 2000er-Stil retro-FFMaufsMaul-dunkle Beats-Art-und-Stimme präferieren und (u.a. bei dir) umgekehrt? Skandal.
Uebrigens nice 1 bzgl. der 5 Punkte im Latinum, Stefan.
Es gibt uebrigens auch Leute, die sowohl DS2 wie auch Leben 2 dick finden - waehrend sich andere mit ploetzlicher Kanye-Feierei ins gesellschaftliche Abseits befoerdern.
Du hast zuviel den Worten des lautusers gelauscht und der ist leider aktuell nicht ganz bei Trost.
Baudelaire always tells the truth wie Lil Jon (na, wer erkennt das Zitat?)
Da diggt ja jemand in genrefernen Gefilden.
whut!
Traurig, dass das mit Abstand schlechteste/uninspirierte/muse-loseste/langweiligste/belangloseste Album des einst so herausragenden Rappers gerade den Titel seiner besten Platte, gar des besten Deutsch-Rap-Albums trägt: "Leben" (2). Warum ausgerechnet jetzt Azad mit so einer Utopie und krassen Fehleinschätzung kommen muss, wo er doch so weit entfernt von diesem einen Azad ist: Diesen hungrigen, innovativen, straighten, schlagfertigen, talentierten, jungen 3p-Zögling, der auf Tracks wie u.a. "Napalm", "Gegen Den Strom", "Beat Kunde-Do", "1-Mann-Armee" oder "Hip Hop" kompromisslos, authentisch und leidenschaftlich seine Reime, Punchlines und Scratches gedropt hat. Und das mit der perfekten, rap-classics-tribut-zollenden, rau staubigen Beat-Untermalung. Und all das aus einer Hand, aus einem Guss. Doch dieses Album weist nicht einmal 1% von all dem vor. Azad ist offiziell Geschichte.
Andererseits kann man das ja auch als eine Art späten Lohn für vergangene Großtaten sehen. Im Vergleich zu etwa zeitgleich stattfindenden (z.T. ehemaligen) Szenegrößen wie Savas, Samy oder Bushido hat er ja als Solokünstler nie wirklich viele Alben abgesetzt und hatte auch, abgesehen von diesem "Prison Break"-Rotz, keine Single-Hits.. Da gönne ich ihm den späten Ruhm und Erfolg auch bei einem eher semigeilen Album.
Also je länger ich das höre, um so mehr Spaß macht das. Ich nehme die "Tendenz nach unten" aus meiner ursprünglichen Bewertung jetzt ausdrücklich zurück. Insgesamt ein stabiles Album mit gut gesetzten Highlights.
Ist ein sehr gelungenes und gefühlvolles Album.
Auf der Bonus EP "Leben 2.5" sind auch grandiose Lieder drauf.
Ein ehrwürdiger Nachfolger auf "Leben".
Freue mich auf die folgenden Projekte von Azad, eventuell kommt ja was wieder mit Savaş.