laut.de-Kritik

2016er-Nostalgie und eine monströse Präsenz am Mic.

Review von

"Este disco no es pa' ser tocado en un millón de vista/Es pa' que mis fans reales estén contento", so Bad Bunny auf dem Intro seines neuen Albums. Zu deutsch: Dieses Album soll keine Millionen Streams sammeln, sondern die Fans glücklich machen. Dies gelingt, weil er weg von seinem kommerziell meteorischen Reggaeton und zurück zum Trap-Sound geht, der ihn um 2016 in seiner Heimat berühmt gemacht hat. Und jetzt wird’s kompliziert: "Nadie Sabe" ("Keiner weiß, was morgen sein wird") ist also ein Bekenntnis zu den amerikanischen Sounds, allerdings so ausgeführt, dass er die internationalen Connections bewusst aussperrt. Es ist Nostalgie für die lateinamerikanische Trap-Generation, garniert mit Features aus ebendieser. Entsprechend ballert das Album uns Beats um die Ohren, um die sich auch Future und Drake schlagen könnten und ist trotzdem irgendwie ein verschlosseneres und weniger direktes Album als sein letztjähriger Blockbuster "Un Verano Sin Ti".

Da machte die Sprachbarriere nämlich wenig aus. Man musste Benito nicht verstehen, um von diesen Tunes mitgenommen zu werden. Seine Stimme war überdreht und ausdrucksstark, die Beats so vielschichtig und dynamisch, dass sie sich sofort in die Herzen und Hintern fraßen. Texte waren zwar auch da, aber nicht zentral. Das Intro "Nadie Sabe" bildet ein ganz anderes Bild. Sieben Minuten lang sind das Bars über einem sphärischen, minimalen Instrumental und bei der Dichte von Slang und Dialekt ist es selbst mit okayem Spanisch-Level gar nicht so einfach zu folgen.

Es ein praktisch sehr Drake-esker Suffering-from-Success-Type-Song: Er hat Angst, ob die Liebe für ihn nicht doch falsch ist, ob Leute ihn insgeheim übers Ohr canceln wollen. Nach mehreren Jahren positiver PR hat er letztes Jahr nämlich einen recht großen Shitstorm abbekommen, weil er das Handy eines aufdringlichen Fans durch die Gegend geworfen hat. Auch darauf wird ausgeteilt. "Ich mach kein Trap und keinen Reggaeton", sagt er dann irgendwann, "ich bin der größte Star auf der Welt". Man will ihm glauben, ohne ihm ganz folgen zu können. Denn die Energie und das Aufbegehren in diesem Gezeter bleibt schwer zu verpassen.

Bad Bunny ist weiterhin eine monströse Präsenz am Mic. Und auf einem vollen Rap-Album gibt er die volle Luxus-Breitseite besonders auf den Songs, die ihm die nötige Opulenz zu Füßen legen. Paradigmatisch geht dafür die Single "Monaco" voran, auf der er den französischen Frank Sinatra, Charles Aznavour, samplet. Der Beat ist weniger melodiös, dafür einfach nur extrem gediegen. Darauf fährt der Mann Mafia-Filme mit einem Stilbewusstsein: Man könnte sich auf diesem Beat zwar auch Westside Gunn, Rick Ross oder Tyler The Creator vorstellen, aber niemand von ihnen klänge dermaßen nach Highlife.

Ein versteckteres Highlight liefert der Track "VOU 787". Im nach einem Flugzeug benannten Titel deutet er ein extrem minimal geflipptes Sample an: "Vogue" von Madonna staffiert er für ein spannungsreiches, unterschwelliges Monster von einem Trapbeat neu aus. Es sind diese Momente, in denen er auch einem kreativ gerade leider eher lahmenden Genre wie dem Trap ein paar faszinierende neue Facetten abringt. Außerdem rappt er dann: "Wäre ich eine Frau, wäre ich Madonna oder Rihanna". Talk your shit, King.

Ansonsten zieht das Album auf einem konstanten, aber gleichförmigen Niveau vorbei. Es gibt ein paar coole Momente, zum Beispiel die arschtrittige Attitude von Newcomerin Young Miko auf "Fina" oder ein paar Zusammenkünfte mit alten Weggefährten: Bryant Myers macht auf "Seda" Futures "Codein Crazy"-Flow, die Puerto Ricanische Rap-Legende Tego Calderon bekommt ein bisschen Liebe und am Ende dürfen ein paar beliebte Bad Bunny-Features wie Arcángel oder Nnego Flow zusammen mit De La Ghetto noch einmal den Posse-Cut machen.

"Nadie Sabe" ist eins von diesen monumentalen Tapes, die zwar im Detail betrachtet wenig schwache Stellen mitbringen, allerhöchstens auf Songs wie "Vuelve Candy B" oder "Baby Nueva" schmilzt das Material ab und zu ein bisschen zusammen. Aber als Tape tut es sich schwer, wie andere seiner Arbeiten zu einem strahlenden Gesamtwerk zusammenzuwachsen. Dafür fehlt die Abwechslung und die Experimentierfreude, die ihn seit "X100Pre" zu so einem spannenden Artist macht.

Nirgends merkt man das so dringend wie bei der Single "Where She Goes". Den Song kennt man schon, den Song liebt man schon: Mit einem Jersey-Club-Experiment und ein paar Dembow-Einlagen kontrastiert er die explosive Party-Percussion gegen minimale, melancholische Synths und schiebt sich immer tiefer in die Traurigkeit, bis er irgendwann diese melodramatischen, aber großartig klingenden, johlenden Gesangs-Ausbrüche gegen seinen Rapflow flechtet.

So war eben seine Ansage: Das hier ist etwas für die älteren Fans, die sich daran erinnern, wie diese ganze neue Musikwelle damals in Puerto Rico begonnen hat. Und dass er einem so nischigen Konzept immer noch so viel Weltstar-Aura verleihen kann, spricht für ihn. "Nadie Sabe" wäre nicht das erste Bad Bunny-Album, das ich einem Newcomer ans Herz legen würde. Aber trotzdem ist so viel gutes und ästhetisches Empfinden auf diesem Tape, dass man nicht weghören kann.

Trackliste

  1. 1. Nadie Sabe
  2. 2. Monaco
  3. 3. Fina (feat. Young Miko)
  4. 4. Hibiki (feat. Mora)
  5. 5. Mr. October
  6. 6. Cybertruck
  7. 7. Vou 787
  8. 8. Seda (feat. Bryant Myers)
  9. 9. Gracias Por Nada
  10. 10. Telefono Nuevo (feat. Luar La L)
  11. 11. Baby Nueva
  12. 12. Mercedes Carota (feat. Yovngchimi)
  13. 13. Los Pits
  14. 14. Vuelve Candy B
  15. 15. Baticano
  16. 16. No Me Quiero Casar
  17. 17. Where She Goes
  18. 18. Thunder Y Lightning (feat. Eladio Carrion)
  19. 19. Perro Negro (feat. Feid)
  20. 20. Europa :(
  21. 21. Acho PR (feat. Arcángel, De La Ghetto, Nnego Flow)
  22. 22. Un Preview

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