laut.de-Kritik
Ein ziemlich emotional gerappter Geschäftsbericht.
Review von Yannik GölzDer Einstieg in dieses Badmómzjay-Album gibt einem kurz das Gefühl, dass dies jetzt ihr großes Statement-Album wird. Das Intro hat drei Beat-Switches Realtalk über all die Widerstände der Industrie gegen sie. Auch später folgen Songs über ihre Angstzustände, über Sexismus, darüber, dass sie es geschafft hat, weil sie die Musik so sehr liebt. Das ist alles wunderbar. Nur: Warum stopft sie dann mehr als die andere Hälfte des Albums mit den seelenlosesten, industrieförmigsten Pop-Rap-Scheißsongs voll, die man sich ausdenken könnte?
"Survival Mode" ist ein zutiefst verwirrendes Album. Es schlecht zu nennen, das wäre unfair: Da ist handwerklich mitunter total starkes Material drauf. Man merkt, dass sie etwas beweisen will. Vom King of Deutschrap ist da die Rede. Nur geht ihre ganze Argumentation selten über Zahlen und Deals hinaus. Statt das Kreative für sich sprechen zu lassen, kehrt sie wieder und wieder und wieder und wieder auf ihre Errungenschaften zurück. Teilweise ist das amtlicher Industrie-Bullshit, bei dem wirklich nicht klar wird, wen das jetzt interessieren soll: "FIFA-Soundtrack, Million Sales, Spoti-Cover, Likes geh'n hoch / Vor der Kamera bei Late Night, alle sagen: 'Geile Show'" oder "Half a billion Spotify und die Streams sind nicht bestellt / Heute salutier'n Labels, wenn der Name Richard fällt". Bruder, weder ich noch Google wissen, wer dieser Richard ist. Schön, dass du deine persönliche Fehde mit einem grauen Herren von Sony gewonnen hast, aber ein Subtweet von Major Label-Sauronturm A nach Major Label-Sauronturm B holt mich nicht als die große Underdog-Erfolgsgeschichte ab, für die du es zu halten scheinst.
Wenn sie dann zwischendurch für den obligatorischen Realtalk-Track immer mal wieder darauf beharrt, dass es ja sehr dringend zwischen Badmómzjay und der echten Person dahinter zu unterscheiden gelte, reicht die Emotion nur knöcheltief. Nicht nur, weil sie auf diesem Album jenseits des Pathos nur wenig über diese echte Person hinter dem Star zu erzählen weiß, es ist schlicht sehr schwer, sich für dieses Album zu interessieren, wenn man nicht persönlich in das Phänomen Badmomzjay involviert ist. Immerhin ist sie das selbst. Zumindest scheint es so, wenn ihr Status teilweise an den wahllosesten und deplatziertesten Momenten thematisiert wird. In der Summe fühlt sich "Survival Mode" deshalb nicht wie das eine Album an, um es allen zu zeigen, sonderm eher wie ein relativ emotionaler Geschäftsbericht.
Zudem ist es selbst auf den guten Momenten gar nicht so einfach herunterzubrechen, was eigentlich ihr Sound sein soll. Kurzum wäre das wohl damit zu beantworten, dass sie halt den Rap macht, der gerade im Trend ist. Manchmal klappt das super: "Hallelujah" macht zum Beispiel extrem effektiven Sex-Talk über einen unmenschlich krassen Jumpa-Beat, "Yeah Ho" baut einen aggressiven Representer um den gleichnamig legendären Three 6 Mafia-Vocal-Schnipsel, "Mh Mh" mit Juju macht unterhaltsamen Battlerap, in denen Jay behauptet, sie könnte ein krasses Message-Album machen oder Astronaut oder Präsidentin der Vereinigten Staaten werden. Juju haut dahinter einen Mörderpart raus, der mich ehrlich kalt erwischt hat. Das ist die Chemie, die ich mir auf den Features gewünscht hätte!
Leider stehen diesen Highlights ein paar absolute Ausreißer nach unten gegenüber. Angefangen mit dem komisch-erzwungenen Domiziana-Feature "Auf Die Party". Hier rappt Jay in einem ihrer unsympathischsten Verses darüber, dass sie genervt von einer Party ist, weil alle sie langweilen und sie einfach zu Fame ist. Wahrscheinlich könnte jeder etwas mit dem Gefühl anfangen, sich unwohl auf einer Party zu fühlen, aber dabei hilft bestimmt kein Star auf einem Dance-Beat, der noch einmal betont, wie sehr sie auf alle anderen im Raum herabsieht. Diggi, Leute wie du sind der Grund, warum Leute sich unwohl auf Partys fühlen! Domiziana beweist indes ein weiteres Mal, dass sie Features leider Gottes nicht so gut kann. "4 Life" mit Takt32 und einem Deutschpop-Sänger ist eine Deutschpop-Rap-Ballade wie aus der Petri-Schale gezüchtet. "Komm Mit" klingt wie ein wenig überzeugender und wahlloser Versuch, Jay auf Afrobeat zu legen. Hat sie irgendwas mit diesem Genre am Hut oder ist das einfach nur Trendanalyse?
Es gibt allerdings keinen schlechteren Song auf diesem Album als seinen Größten: "Airplanes" mit Kool Savas hat gute Karten, der schlechteste deutsche Hit des Jahres zu sein. Wir haben ja in den vergangenen Jahren viele beschissene Samples gehört, aber das hier schlägt dem geradezu den Boden aus. Sie singt einfach nur die Hayley Williams-Hook auf "Airplanes" nach wie im DSDS-Achtelfinale. Ein Song, der, wohlgemerkt, von Anfang an zu einem Rapsong gehört (???) und droppt dann beschissene, pseudo-inspirierende Kackbars darüber. "Lass uns so tun als hätten wir Rassismus besiegt / Und der Polizist die Waffe nicht zieht". Digga, was?
King Kool Savas darf auch vorbeikommen, der mit der Einstiegszeile "lass uns so tun als wär'n Gedanken frei" erst das Schlimmste befürchten lässt. Am Ende kommt aber nur belangloses Gelaber rum, das er mit der Zeile "Lass uns so tun […] als wäre jeder in der Booth MC" abschließt. Große Töne von jemandem, der gerade selbst in der Ära von "AMG heißt an mich glauben"-Savas wahrscheinlich seinen würdelosesten Sellout-Moment hat. Das wäre ein bisschen so, als hätte Frauenarzt seinen aktuellen "ich mache Rap wieder hart und Untergrund"-Film einfach direkt auf "Strobo Pop" mit Nena gespittet. Nur weniger witzig. Argh, okay, ich habe mir vorgenommen, nicht endlos über diesen Song zu ranten. Aber hört ihr das? Ich mache Furzgeräusche mit meinem Mund. Das ist meine Review zu diesem Song.
Ach, ich weiß es echt nicht. Irgendwie hat dieses Album eine gespaltene Persönlichkeit. Du kannst doch nicht auf der einen Seite einen geilen, stark gerappten Representer machen, in dem du deine Kredibilität als Hip Hop-Artist und MC zementieren willst und dann im Gegenzug als nächstes diesen gottlosen "Airplanes"-Song machen? Du kannst doch nicht sagen, dass du definitiv nicht als Sellout wahrgenommen werden willst und als nächstes sagen "cool, danke, anyway, hier sind Bravo Hits-Vol. 78"? Dieses Album hat gleichzeitig genauso Talent und Handwerk wie es überhaupt keinen Sound und erst recht keine Schmerzgrenze hat. Es besitzt Momente, da wirkt es nicht nur gut, sondern sehr gut. Aber dagegen wartet es mit Momenten auf, die nicht nur schlecht, sondern wirklich abgrundtief beschissen sind. Und der einzige Kleber zwischen alledem sind die Infos darüber, wie es gerade um das Business-Projekt Badmómzjay bestellt ist.
11 Kommentare mit 11 Antworten
Fury of the Fanhörnchen in 3, 2, 1...
Für die besteht das Internet nur aus Insta, weswegen die nie hierhin finden werden.
Eben mal aus Jux ihr Profil da besucht. Locker 8 von 10 Kommentaren sind Bots. Auf Youtube sind viele Kommentare auch etwas verdächtig. Kann für mich gut sein, daß sie ne typische Industry Plant ist, und längst nicht so viel gehört wird wie die Zahlen sagen.
Ich hab auch schon öfter diese Vermutung gehabt, dass in Wahrheit eigentlich fast niemand mehr wirklich Musik hört...
Hört ihr noch MUSIK????
Früher, da war noch Musik.
Das stimmt, nur Pfeifen und Arschgeigen.
Dieser Kommentar wurde vor einem Jahr durch den Autor entfernt.
Und ich hatte recht, das spannendste an diesem Album ist die Review von Yannik. Was für ein Schrott.
Kann mich der Rezi nur anschließen, weder Fisch noch Fleisch. Naja, Hauptsache Zielgruppen orientiert.
Lustig, das mit den Castingshows bei Airplanes hab ich mir auch gedacht. Aber kann mir bitte mal jemand sagen, warum ein paar Tracks klingen, als wär sie übelst erkältet? Die Rap-Tracks sind wahnsinnig gut, die Pop-Sachen...naja: https://youtu.be/O3-h_j6ASQE
Der Satz zu Savas ist königlich on point, Ynk.
Ich werde irgendwie den Eindruck nicht los, dass manche Künstler:innen hier aus Prinzip schlecht bewertet werden!
Mag sein. Aber bei ihr wohl eher nicht. Debut bekam zu recht 4 Sterne und das halt (auch zu recht) 2. Die kritik ist in dem fall nachvollziehbar.