laut.de-Kritik

The Dark Side Of The Singer/Songwriter-Moon.

Review von

Ben Howard hörte seit 2014 viele Stimmen, die ihm einflüsterten, derjenige zu sein, der er schon früher nicht war. Der Versuch, aus dem Briten Howard einen zweiten Jack Johnson zu basteln, konnte nur fehlschlagen. Zwar näherte sich der Gitarren-Genius auf seinem Debüt "Every Kingdom" mit Songs wie "Only Love" und "Keep Your Head Up" diesem aus Plattenfirmensicht monetären Ideal an. Doch Hawaii liegt halt nicht in England, und das Leben besteht aus mehr als singen, tanzen und lachen.

Spätestens mit "Noonday Dream" legt Howard nun sein Surfer-Image ad acta und setzt auf melancholische Folk-Experimente. Auch die Gefälligkeit, die Ed Sheeran oder James Bay an den Tag legen, geht Howard mittlerweile ab.

Er wendet sich vielmehr der Dark Side Of The Singer/Songwriter-Moon zu, auf der gescheite wie gescheiterte Existenzen wie Jeff und Tim Buckley, Nick Drake oder Phil Ochs ihr nocturnes Dasein fristen. Im Gegensatz zu ihnen gibt sich Howard vital, auch wenn er die drei Jahre nach "I Forget Where We Were" nicht mit der Gitarre eins sein wollte, sich lieber an Poesie versuchte, der Gärtnerei verfiel oder mal eben eine komplette Recording-Session über Bord warf.

Die neue Platte "Noonday Dreams" ist ein Versteckspiel. Auf der Suche nach sich selbst verschanzt sich der 31 Jahre alte Musiker hinter einer Armada an Effektgeräten, Sounds und Samples. Die Sound-Analogie zu Bon Iver springt förmlich ins Ohr, vor allem in Bezug auf die zahlreichen Gitarrenspuren, die bei elektrischer Verstärkung mit viel Hall und Delay erklingen.

Weg von der Spieltechnik hin zur Studiotechnik lautet die Devise. Diese Justierung erinnert stark an Genre-Kollege Ryley Walker, dessen Chicago-Sound auf "Deafman Glance" noch eine Ecke experimenteller ausfällt. Im Herzen und auf die Essenz runtergebrochen ist Howard der Lonely Cowboy an der Gitarre, woran auch die teils Vocoder-artig verfremdeten Vocals nichts ändern.

"Noonday Dream" klingt auf den ersten Höreindruch nach zu viel Tagträumerei. Erst nach mehrmaligem Hören ergibt das trippige Mäandern einen Sinn, und in der Ferne des Weges erscheint tatsächlich ein Ziel. Auf "There's Your Man" wandelt Howard auf den Americana meets Dream Pop-Spuren, die die Working Class-Schuhe von The War On Drugs oder "Rare Birds" von Jonathan Wilson hinterlassen haben. "Nica Libres At Dusk" erinnert nicht nur vom Namen an den übermäßigen Genuss hochprozentiker Köstlichkeiten, sondern bildet den Wankelmut zwischen Rausch und Kater musikalisch adäquat ab.

"A Boat To An Island On The Wall" ist die Blaupause des Albums, schwermütig und leichtfüßig zugleich mit einem folkig-zarten Beginn und einem postrockig-tiefschürfenden Ausklang. "Murmurations" kündet effektvoll und erbaulich von einer verloren geglaubten Hoffnung und hat gleichzeitig mit der R.E.M.-Referenz-Textzeile "Missed The End Of The World And That Was Just Fine" einen schönen Kommentar zur aktuellen Schlechtwetterlage auf Lager. Diesen Realismus in musikalischen Eskapismus zu packen ist Howards großer Verdienst und hebt ihn von der gesichtslosen Singer/Songwriter-Masse ab.

Trackliste

  1. 1. Nica Libres At Dusk
  2. 2. Towing The Line
  3. 3. A Boat To An Island On The Wall
  4. 4. What The Moon Does
  5. 5. Someone In The Doorway
  6. 6. All Down The Mines (Interlude)
  7. 7. The Defeat
  8. 8. A Boat To An Island Pt. 2 / Agatha's Song
  9. 9. There's Your Man
  10. 10. Murmurations

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