laut.de-Kritik
Beeindruckendes Comeback des ehemaligen Trip Hop-Mädchens.
Review von Sven Kabelitz"Ein Großteil von 'Sugaring Season' habe ich nachts geschrieben. In den Stunden, in denen Spinnen ihre Netze flicken und mit einem schlafenden Kleinkind im Nebenzimmer. Als Ergebnis wurde mein Schreiben wieder ein Geheimnis: gesetzwidrig, unerlaubt und ganz mein Eigen", schildert es Beth Orton.
Folglich fühlt sich auch ihr erster Longplayer seit 2006 in jenen schemenhaften Stunden der Nacht, wenn die Zeit langsamer zu laufen scheint, am wohlsten. Ein magischer und melancholischer Ort, an dem sich Schatten verstecken und kleine Mogwais um Futter betteln.
Mehr als zuvor kommt die Sängerin ohne Schnickschnack und Spielereien aus. Die volle Konzentration liegt auf ihrer Stimme und dem Songwriting. Ihr Gesang, geschult in den 1990ern, hebt sich dabei erfrischend vom Stimmbild der Konkurrenten ab. Produziert wurde "Sugaring Season" von Tucker Martine (R.E.M., Sufjan Stevens, The Decemberists) in Portland. Mit dem Jazz-Schlagzeuger Brian Blade, den Gitarristen Marc Ribot (Tom Waits, Elvis Costello) und Ted Barnes, Keyboarder Rob Burger und Bassist Sebastian Steinberg steht Orton hier eine jazz-angehauchte Band zur Seite.
Die Erinnerung, dass die frühere Pizza Hut-Kellnerin ihre Karriere mit den Chemical Brothers und William Orbit begann, schimmert höchstens noch leicht im massiven Schlagzeug und dem vorantreibenden Bass in "Magpie" durch. Die fiebrigen, an John Cale gemahnenden Streicher malen ein ganz anderes Klangbild, in dem Orton wie eine junge Kristin Hersh wirkt. "Old crow, old crow / I'm sitting here wondering what you know / You've seen more of the day than I could dream."
Tiefe organische Basseinschläge und ein E-Piano wie aus seligen "Nightswimming"-Zeiten unterlegen das den Halt verlierende Schlagzeug von "Candles". Ein intimer Moment, in dem die englische Sängerin ganz bei sich selbst verweilt. Dabei macht sie nicht viel Aufheben um ihr Können, muss nicht jedem beweisen, dass sie singen kann. Sympathisch unaufgeregt näht sie ihre Stimme in den vorbereiteten Klangteppich ein.
Folk-Sänger Sam Amidon gewährt Orton bei "Poison Tree", einem vertonten William Blake-Gedicht, Beistand. Das Stück, in dem Bassist Steinberg ein weiteres Mal brilliert, wirkt wie ein vergessener Track aus Joni Mitchells "Blue"-Phase. Den direkten Vergleich muss Orton dabei nicht scheuen.
Mit "Last Leaves Of Autum" gelingt ihr vielleicht eindringlichster Text. Ein magischer und melancholischer Ort, an dem der Spätsommer den Herbst zum Abschied ein letztes Mal küsst. "Oh the leaves how they shimmer / Trees lift their skirts and they quiver / Gently they lay down / To the dirt and dust and ground."
Zeigte sich Beth Orton auf "Comfort Of Strangers" noch etwas unsicher, geht sie nun den vollen Weg zur erwachsenen Singer/Songwriterin. Aus dem ehemaligen Trip Hop-Mädchen ist endgültig eine ernstzunehmende Künstlerin erwachsen.
4 Kommentare
"...endgültig eine ernstzunehmende Künstlerin..."..??? öhm, ich sag mal nur "She cries your name", 1996...
"...endgültig eine ernstzunehmende Künstlerin..."..??? öhm, ich sag mal nur "She cries your name", 1996...
für interessierte: http://www.clipfish.de/musikvideos/video/2…
Nach dem ersten Drüberhören fällt mir nur ein: Wow, wie schön. Ich fühle mich entfernt an die Cowboy Junkies erinnert.
@48Stunden (« "...endgültig eine ernstzunehmende Künstlerin..."..??? öhm, ich sag mal nur "She cries your name", 1996...
für interessierte: http://www.clipfish.de/musikvideos/video/2… »):
jepp, klasse song. aber verglichen mit dem, was sie hier liefert eben noch eine künsterlin in babyschuhen. allein vom songwriting her merkt man im direkten vergleich, dass sie seit 1996 sehr viel dazu gelernt hat.
so gern ich "she cries your name" mag, kommt es mir im vergleich zu manch eines songs dieser platte wie um eine dimension ärmer vor.