laut.de-Kritik
Eine Ode an Wien, geflochten aus Wein, Koks und Moder.
Review von Dani Fromm"Guten Morgen, herzlich willkommen an diesem wunderschönen Tag!" Wie der Marktschreier auf dem Rummel, der das vorbeiflanierende Volk in sein Zelt hinein zu komplimentieren versucht, wirkt die Begrüßung, mit der Bibiza sein Publikum empfängt. Das erinnert in der Machart ein bisschen an Alligatoahs Rollenspiel auf "Triebwerke", stimmt aber auch höchst angemessen auf das Kommende ein: "Ich hab' ein Album gemacht, und es heißt 'Wiener Schickeria'. Es hat in mir ein Feuer entfacht wie der Ofen in einer Pizzeria."
Im Grunde steckt bereits in den ersten Minuten alles drin, was diesen angeschickerten Trip durch die österreichische Kapitale ausmacht: ein bisschen Suff und ein bisschen mehr Koks, entsprechend ein bisschen wehleidiger Weltschmerz und ein bisschen mehr Großmäuligkeit, zusammengequirlt zu dieser durchsichtigen, nichtsdestotrotz höchst wirkungsvollen Version von Charme, für die das Hochdeutsche keinen Begriff kennt, der es besser träfe als "Schmäh".
Bibiza stolpert, natürlich, des Nachts und, noch natürlicher, mit einer Weinflasche in der Hand, durch seine Heimatstadt. Er hat den "Opernring Blues", laboriert an "Stadtpark Insomnia", verliert sein Zeitgefühl auf der "Höhenstraße", "Am Weg In Die Villa", um dort zu "Ballern Am Balkon", und natürlich geht am Ende dramatischer "Regen" hernieder: Dieses Album ist wahrhaftig "Eine Ode An Wien", geflochten aus Hassliebe und Morbidität.
"Wer Leidet Mit Mir?" "Außer meine Lunge und meine Leber?" Auf der Suche nach company in seiner misery, feiert Bibiza so frenetisch wie verzweifelt gegen den Untergang an. Er versucht, die "Schöne Dame" zu bezirzen, schmachtet aus größerer Distanz in Richtung der "Femme Fatale", kommt am Ende aber, ganz "Mr. Pessimist" zu dem Schluss: "Du musst alleine durch die Scheiße."
Eher früher als später bricht unausweichlich der allgegenwärtig wuchernde Moder durch die glänzenden Oberflächen. Jedem Zauber wohnt sein unausweichliches Ende bereits inne, am Schluss bleibt immer nur die Eine, Allumfassende, "und wenn ich sterbe, lieg' ich unter deiner Erde, Baby." Ein schauriger, wenn auch merkwürdig tröstlicher Gedanke.
Vor das Sterben haben sie in Wien aber das Feiern gesetzt, und auch dazu taugt "Wiener Schickeria" mit seinen groovy, elend tanzbaren Basslines, funky Gitarren, den opulenten Konservenstreichern, flackernden Synthies und treibenden, zuweilen sogar bis zur Atemlosigkeit getriebenen Discobeats ganz ausgezeichnet.
Dass die besten Songs immer alle - zumindest ein bisschen - geklaut sind, daraus macht Bibiza überhaupt keinen Hehl. Er packt den Geist der 1920er und '30er Jahre aus ("Marie"), knickst vor Mozarts "Kleiner Nachtmusik" ("Femme Fatale"), stimmt Töne wie aus "Spiel Mir Das Lied Vom Tod" an ("Regen"), beschwört "Amore, Amore" wie weiland Wanda ("Guten Morgen") und trägt überhaupt insgesamt den blasierten, selbstzerstörerischen Chic des einen auf, dessen Geist so omnipräsent über diesem Album hängt, dass man ihn (fast wäre es mir gelungen) eigentlich gar nicht erwähnen mag.
Erstaunlicherweise wirkt all das aber nie wie ein frecher Griff nach fremden Federn. Es gleicht viel mehr einer Serie ehrerbietiger Verbeugungen vor denen, die vor Bibiza bereits auf Opernring und Höhenstraße wandelten, "Schick Mit Scheck", oder, je später die Nacht, desto wahrscheinlicher ohne, egal, Hauptsache gut angezogen, mit Style und großer Geste:
"Man bringe mir den Spritzwein, bitte, weil nur so find' ich wieder z'rück zu meiner Mitte. In dieser flachen Welt brauch' ich ein bisschen einen Nervenkitzel, da ist so viel Dreck auf meiner Lippe, Babe, bitte, komm' mich küssen." Mach' das, Babe, die Nacht ist kurz, das Leben nicht viel länger, und schönere Leichen als in Wien findest du auf diesem Planeten wahrscheinlich nirgendwo.
5 Kommentare
Leider kriegt mich jede Ösimusik mit Falco Flair. Aber 4 Sterne? Ich weiß nicht.
Das Ding is bärenstark. Wiener Schmäh durch und durch, hervorragend eingefangen und wieder rausgelassen. Richtig gut gemacht! https://youtu.be/yB-eR5vbBek
Teilweise mach das Ding echt Spaß, vor allem auf der ersten Hälfte. Dann ist es aber ein bisschen viel des Gleichen. Mit fünf,sechs, sieben Nummern weniger wäre es vielleicht ein bisschen weniger auffällig, dass der gute Herr musikalisch und textlich arg limitiert ist und vor allem von Schmäh und Charisma lebt.
Die Vorredner haben schon fast alles gesagt. Ich liebe den Schmäh und der Stimmung der Songs. Gute Variabilität. i like.
3,5 Sterne aus Liebe zu Wien!