laut.de-Kritik

Tundra-Prog statt Tundra-Rock.

Review von

Sprach ich beim vergangenes Jahr erschienenen Debüt noch von großen Einflüssen des Queens Of The Stone Age/Kyuss-Dunstkreises, drängen Black Book Lodge nun eine gänzlich andere Vergleichsoption auf: Porcupine Tree.

Welche Entwicklung die Dänen in nicht mal einem Jahr vollzogen haben, ist schier unglaublich. "Tûndra" war schon groß, mit "Entering Another Measure" gehen Black Book Lodge nun jedoch tatsächlich in ein völlig neue Richtung. Wohlgemerkt ohne einen totalen Kurswechsel zu vollziehen.

Die stilistische Entwicklung mag groß sein, die Bande zum bisherigen Schaffen reißen trotzdem keineswegs. Allerdings rückt der Stoner-Anteil zugunsten neu entdeckter Progressivität in den Hintergrund. Brachiale Walzen wie "Black Sheep/Prodigal Sons" oder "The Call" fehlen auf "Entering Another Measure". Komplexere Songstrukturen prägen das Bild, ein breiteres Soundspektrum tut sich auf. Die Tracks brauchen Zeit, sich aufzubauen und nehmen sich diese auch.

Der Opener "The Martyr" kratzt beinahe an der Zehnminutenmarke. Latent mischen sich orientalische Einflüsse in die Melodieführung. Obwohl die Gitarre klar die Oberfläche bestimmt – teilweise völlig auf sich allein gestellt – geben eigentlich Jakob Gundel und sein Schlagzeug die Richtung vor. Er läutet Wechsel ein, dominiert gemeinsam mit Trygve Borelli am Bass die Vocalparts und ermöglicht die von den Gitarren angestrebte Kompositionstiefe überhaupt erst.

Doch natürlich glänzen auch die Sechssaiter. Die erste Hälfte des Songs beschließt ein großartiges Solo, hernach läutet eine ebenso simple wie (im Kontext) geniale Zweitonmelodie den instrumentalen Schlussteil ein. Hier lebt auch ein Hauch der auf "Tûndra" stärker wahrnehmbaren Jam-Atmosphäre wieder auf.

Am stärksten in diese Kerbe schlägt später "27 Years". Hier kommen die verdrogten Desert-Wurzeln recht deutlich zum Vorschein. Ansonsten orientieren sich Black Book Lodge auch soundmäßig eher an modernen Prog-Releases und überschreiten die Schwelle zum Post Metal.

Das macht "Entering Another Measure" auch so unglaublich schwer zu fassen. Die Schere zwischen den hier gemeinsam präsentierten Musikwelten öffnet sich eigentlich sehr weit. Doch Black Book Lodge fusionieren die Elemente wie selbstverständlich.

Nach dem progressiven Einstieg und einem kompakteren Mittelteil zieht "New Provenance" auf knapp neun Minuten noch mal sämtliche Register. Es beginnt mit Wüsten-Fuzz, dann lugt wieder Steven Wilson um die Ecke. Doch egal wie viele unterschiedliche Facetten ein Song aufweist, Black Book Lodge agieren stets unglaublich fokussiert.

Auch im konzentriert aufbauenden Finale "Alizarin". Cleaner, luftiger Doom mit einem Hauch Anathema umspielt die Klage Ronny Jønsson. Klavier, Chöre und sogar ein versteckter Bläser erfüllen den Background und knüpfen an das ebenfalls gut durchgeschichtete "The Martyr" an. Anfänglich sparsam verdickt sich das Arrangement nach und nach, bis es schließlich einem prall gefüllten Gasballon gleich abhebt und entschwindet.

Mag sein, dass Black Book Lodge einen Teil ihrer Anhängerschaft wegen des insgesamt komplizierteren Songwriting-Ansatzes verschrecken. Definitiv klingen die Dänen nicht mehr so direkt wie auf "Tûndra". Gleichzeitig dürfte die auf "Entering Another Measure" vorgeführte Evolution dem Quartett völlig neue Türen öffnen.

Besonders Freunde Sólstafirs sollten ein Ohr riskieren. Wenn auch mit völlig anderem Grundsound halten Black Book Lodge wie die Isländer eine gute Balance zwischen Jam-Attitude einerseits und andererseits feinen Melodien, die gleichermaßen Progger wie Wüstenrocker anlocken.

Was die Zukunft der Band angeht: Müsste ich eine Vorhersage treffen, würde ich momentan darauf setzen, dass das Folgerelease noch weiter in durchdachte Prog-Gefilde vorstößt. Bis wir das mit Sicherheit wissen (vielleicht ja schon nächstes Jahr?), dreht sich "Entering Another Measure" sicherlich noch öfter im Abspielgerät. Und wird mit jedem Durchlauf besser.

Trackliste

  1. 1. The Martyr
  2. 2. Ad Interim
  3. 3. Entering Another Measure
  4. 4. 27 Years
  5. 5. New Provenance
  6. 6. Alizarin

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