laut.de-Kritik
Genesis als Cloud Rap-Drogentrip.
Review von Yannik GölzDie beiden Köpfe der Drain Gang haben sich musikalisch Schritt für Schritt radikalisiert. Ecco2k mit seinem Meilenstein-Album "E", Bladee mit seinen zunehmend psychedelischen Tapes "Exeter" und "The Fool": Die Schweden leben inzwischen gänzlich in ihrer eigenen Welt. Sie verstehen nur noch einander. Ihr kollaboratives Album "Crest" macht Cloud-Rap, der weit über die Grenze zu Indie und Electronica getreten ist, und behandelt Schönheit, Christentum und den Tod. Und auch, wenn man nicht alles versteht, was hier passiert, bleibt die musikalische Fremdheit ihre größte Stärke.
"Here comes that feeling you should never let it go" leitet Bladee auf dem ersten Song "The Flag Is Raised" die Motive des Albums ein. Auf der himmlisch-psychedelischen Synthesizer-Beatarbeit von Stammproduzent Whitearmor singen sie vom "Fountainhead", also der "Urquelle" und dem "Arrowhead", also der Pfeilspitze. Diese Begriffe tauchen immer wieder auf und scheinen stellvertretend für eine unverfälschte Bewegung von Gefühlen zu stehen. Eine Ayn Rand-Assoziation fühlt sich fehl am Platz an, denn im Kern ihrer Arbeit liegt eine gewisse Weltfremdheit. "Gold wash over me / Shining like the sun / Nothing is ugly", singen sie zum Beispiel. Bladee und Ecco klingen, als sähen sie die Welt, die Natur und die Menschen jeweils zum ersten Mal. Sie leben vehement in ihrer eigenen Realität.
Gerade im Vergleich zu so vielen anderen Musikerinnen und Musikern, die gerade innovative Musik machen, fühlt sich die Drain Gang deswegen erfrischend wenig referentiell an. Sie behandeln mit einer ehrlichen Naivität große Themen und beschreiten ihren musikalischen Pfad, der nach vorne und hinten nichts berührt und nichts zitiert. Das gibt ihnen eine Freiheit, ihre eigenen Begriffe und ihre eigenen Themen auszuloten. Christliche Motive tauchen immer wieder auf, "literal Christ, literaly crest" heißt es zum Beispiel auf "Yeses", gefolgt von "sex sells", "success" und "excess". Auch, wenn christliche Mythologie zu den meist zitierten Bildern der Musikgeschichte gehört, setzen sie diese in einem kryptischen, aber neuen Kontext zusammen.
Kernthese des Album bildet dabei das neunminütige "5 Star Crest (4 Vattenrum)", auf dem die beiden insgesamt durch fünf Beatswitches manövrieren und durch fünf verschieden Phasen einer Rave-Aszension leiten, die gleichzeitig eine Messe sein könnte. Im zweiten Part singt Ecco "gloria in excelsis" im Loop, bevor der Beat für den dritten Part zu härteren Breaks hochfährt. "Beauty is my drug", singt Bladee einen Part später, gefolgt von "give it to me raw, death is beautiful" in den exzessivsten, treibendsten Rave-Momenten des Albums. Darauf folgt ein Ambient-Comedown. Nein, ich verstehe nicht genau, was hier passiert, ich verstehe nicht genau, was genau Jesus mit Electronica zu tun hat, aber sie lassen die Berührungspunkte ihrer Motive deutlich hervortreten: Die Suche nach dem Transzendenten, nach dem Exzessiven, Läuterung und Reinigung durch Ekstase, das funktioniert im Club wie im Kloster. Entsprechend wirken selbst simple Naturschilderungen wie "Waves crash down, clouds fly by / The hands still warm but I've turned cold now" direkt und eindringlich.
Vieles an diesem Album erinnert an einen Drogentrip. Es kommt und geht in Wellen, es transzendiert konventionelle Bedeutung, es suhlt sich in fragmentierter Erinnerung und sagt Sachen, die im Moment sehr sinnvoll wirken, aus einer nüchternen Perspektive aber zu Blödsinn zerfallen. Man muss also definitiv in der Stimmung sein, sich auf so ein Projekt einzulassen. Menschen im Rausch fühlen sich ja auch sehr anders an, je nachdem, ob man ihren Rausch teilt oder nicht. Für nüchterne Ohren könnten die kristallinen Ambient-Synths über meist recht ähnliche Electronica-Drumpattern sich etwas monoton anhören. Aber man verzeiht es ihnen, dass sie nur einen Trick kennen, wenn dieser Trick so verdammt überzeugend ist.
Dieses Album ist tödlich ehrlich gemeint, obwohl es wirkt, als sollte irgendeine Ironie-Ebene dahinter stehen. Aber die ist schon lange überwunden. Der Cloud Rap der Drain Gang ist ein Gewebe aus einem Dutzend Genres geworden – und Hip Hop ist nur eines davon. "Crest" macht Musik mit einem transzendentalen Charakter, es lebt in seiner eigenen Tradition, in seiner eigenen digitalen Wirklichkeit. Eine der großen Sehnsüchte für Rapmusik in den 2020ern wird es sein, seinen eigenen Shoegaze-Moment zu finden. Und dieses Album ist der wohl bisher effektivste Vorstoß dorthin. Denn diese gothische Cyberspace-Welt erinnert weniger an die Rapperinnen und Rapper, die ihr den Weg geebnet haben und eher an die klanglichen Worldbuilder von My Bloody Valentine und The Cure. Aber auch damit kann man sie nur behelfsmäßig vergleichen. Die Wahrheit ist: "Crest" ist seine völlig eigene musikalische Entität. Man muss sie nicht verstehen, nicht einmal mögen, aber man kann doch wertschätzen, wie völlig unverbraucht und fremd dieser Sound noch für Jahre sein wird.
2 Kommentare mit 7 Antworten
Da vermisst wohl jemand das Wiesli.
Wiesli
Wau
viele legenden leute sind weg psycho wiesen weinbaum capitan ahab und aqualugo
von alte zeite hier nur ich und ragism aber auch meisten neue dudes sind korekt
Der letzte Meilenstein den ich kenne war vielleicht "to pimp a butterfly".
Wenn ein Album von dem ich noch nie gehört habe bin einem Rapper von dem ich nie gehört habe zum Meilenstein deklariert wird, lebe ich entweder unter einem Stein. Oder dieser eine laut Autor findet in seinem Wortschatz keine passenden Beschreibungen für ein Album, das er selbst mit 4/5 bewertet hat.
Es ist Yannik. Bei dem slappt genuin alles, was auf Drogen in eine Drummachine schreit und nie auch nur wahrgenommen worden wäre, hätte nicht irgendwer mit zuviel Reichweite das Ding mal für den nächsten Scheiss gepriesen. Yannick fährt in dieser Hinsicht Tretboot.
warum ist diese community so unfassbar toxisch
Keine Ahnung. Lösch dich.