laut.de-Kritik
Denn wir kamen zuerst, und wir geh'n auch zuletzt.
Review von Michael SchuhWahrscheinlich können es Camouflage selbst kaum glauben, dass ihr Album "Sensor" nun tatsächlich im Plattenladen steht. Fünf Jahre hat das Trio daran gearbeitet und somit länger, als ihre Jugendhelden von Depeche Mode heutzutage für eine neue Produktion benötigen. Doch im Gegensatz zu den Briten erfuhren Heiko Maile, Marcus Meyn und Oliver Kreyssig in den letzten Jahren kaum Bewunderung, schon gar nicht von Seiten der Plattenfirmen.
1999 scheiterte ein Comeback-Versuch mit der Single "Thief", die auf "Sensor" ein legeres Sound-Update erfährt. 2001 kündete der Remix-Release des Uralt-Hits "The Great Commandment" eher von Abschied denn von Neuanfang. Doch anstatt mit jenem Song auf ewig den Soundtrack für 80er Jahre-Boxsets in Timelife-Werbespots zu liefern, kehren die Stuttgarter mit "Sensor" in einer Hochform zurück, die ihnen wohl nur der Hardcore-Fankreis in und um Leipzig zugetraut hätte.
Eindrucksvoll dokumentiert das neue Werk die Suche einer Band nach der finsteren Seele elektronischer Popmusik. Hinter den vorwiegend ruhigen Kompositionen verbirgt sich intelligentes Songwriting, das noch immer den entscheidenden Faktor ausmacht, der Camouflage-Songs vom Output zahlreicher Elektro-Epigonen abhebt. Ein Paradebeispiel hierfür ist das erste Highlight "Harmful", für dessen Groove düster-zähe Beats und ein schneidendes Gitarren-Loop sorgen, bevor Meyn den Song mit seiner warmen Stimme an sich reißt.
In der minimal arrangierten Ballade "Here She Comes" begeistert erneut die dezente Gitarrenarbeit, die Jörn Heilbutt (Ex-Jeremy Days) und Volker Hinkel (Fool's Garden) beisteuerten, während sich die Beat-Struktur in "Lost" und "You Turn" ungeniert an Massive Attack orientiert. "Me And You" und die neue Uptempo-Single "I Can't Feel You" lassen etwas an Intensität vermissen, dafür heimst "I'll Follow Behind" den Status der neuen Club-Hymne ein. Auch ein Duett hat es auf "Sensor" geschafft. Im leisen "Blink" bekommt Sänger Meyn Unterstützung von Neele Ternes, deren zartes Stimmchen für die Melodieführung wie geschaffen zu sein scheint.
Es entbehrt nicht einer gewissen Ironie, dass das Trio im zwanzigsten Jahr seines Bestehens dem alten Depeche Mode-Vergleich so nahe kommt wie nie zuvor: die reduzierte Produktion und der gefühlvolle Umgang mit atmosphärischen Arrangements erinnert manches Mal an das "Ultra"-Album der Elektro-Götter. Dass "I'll Follow Behind" Sound- und Beat-Parallelen zu "It's No Good" aufweist, darf denn auch als Kompliment gewertet werden.
Mit "Sensor" strafen Camouflage sämtliche Kritiker Lügen, die die Band als lebloses 80s-Relikt abstempelten. Statt dessen können Maile und Co. mit den Worten einer anderen Stuttgarter Band frohlocken: "Denn wir kamen zuerst und wir geh'n auch zuletzt".
3 Kommentare mit einer Antwort
Dieser Kommentar wurde vor 8 Jahren durch den Autor entfernt.
Die Geschichte von "Sensor", dem fast vergessenen Album. Kühle Elektronik trifft auf sensible Stimmungen.
http://ancientcave.blogspot.de/2016/07/cam…
Feines Review, ein Album was ich nicht kannte (wie so viele), was ich durch dich jetzt erst kennen lernen durfte. Mein persönliches Fazit, hört sich besser an als manche Neuerscheinung 2016, hab es gern als Inspiration für einen neuen Text (mit-) genommen, der auf unserem Blog ab Mitternacht erscheint. Huibuh Geisterstunde! Freu.....
Dieser Kommentar wurde vor 8 Jahren durch den Autor entfernt.