laut.de-Kritik

Fünf Jahre nach "WAP": Ein Album ohne Hits.

Review von

Wenn wir ehrlich sind, hat sich kaum ein Sophomore Slump so dringlich angekündigt wie dieses neue Cardi B-Album. Zwischen ihrem spektakulären Lightning-in-a-bottle-Debüt "Invasion Of Privacy" und "Am I The Drama?" liegen jetzt sieben Jahre. In der Zeit hat sie vier Kinder bekommen, sich ein Dutzend Mal von ihrem Ex Offset getrennt und die Welt ist mindestens einmal untergeganen.

Als ihr Hype 2020 mit dem Release von "WAP" den absoluten Siedepunkt erreichte, schlug sie daraus kein Kapital, und mittlerweile hat sich die Magie wohl etwas verbraucht. Seit mehr als einem Jahr versucht Cardi, "Am I The Drama?" mit einer erfolglosen Single nach der anderen anzuschieben. Dabei ist die Platte kreativ gesehen bestimmt kein vernichtender Fehlschlag. Das überlange Album fühlt sich eher an wie eine schwere Geburt: Als hätte sie sieben Jahre lang nach einem durchschlagenden Konzept gesucht, um Cardi B weiterzudenken. Da diese zündende Idee nie kam, bekommen wir nun diese Kompromisslösung.

Formell ist "Am I The Drama?" ein bisschen wie eines der Mittelphase-Jay-Z-Alben: Auf der einen Seite gibt es ein paar rappige Rap-Tracks, auf denen der eigene Status gefestigt werden soll. Daneben stehen ein Haufen kalkulierter Pop-Crossover-Tracks, um die kommerzielle Vormachtsstellung zu sichern. Wie auch Hov scheint Cardi von ihren Pop-Tracks gar nicht mal so überzeugt zu sein, weswegen einfach zur Sicherheit ein paar mehr gemacht wurden. Wie beim Lose ziehen, irgendetwas davon wird schon zünden, oder?

Nun: Das Hauptproblem an diesem Album ist, dass es keinen Hit hat. Und für ein Cardi-Album, die über eine dreijährige Spanne quasi Hits geschissen hat (ich erinnere an den seltsamen Moment, an dem ein Remix einer Sprachnachricht von ihr über den Coronavirus viral gegangen ist), ist das ein ernstes Problem. Der im Moment am meisten resonierende Track scheint "Safe" mit Kehlani zu sein, eine absolut mittelmäßig anbiedernde RnB-Featurenummer - die zu allem Überfluss auch noch eine 1:1-Nachbildung von "Ring" vom Voralbum ist. Und auch da war "Ring" höchstens einen Nebensatz wert. Auch "I Like It" wurde mit der hektischen Dembow-Nummer "Bogeta Baddie" stark evoziert, aber kein bisschen gerecht geworden.

Für jemanden, der von Bruno Mars über GloRilla bis hin zu fucking Maroon 5 eigentlich konstant mit Gastbeiträgen abgeliefert hat, ist dieses Album erschütternd schlecht mit den Features. Für ein bisschen artifiziellen Hype wurde mit großen Namen geprasst, von denen keiner klingt, als hätte er oder sie wahnsinnig Bock, dabei zu sein. Cash Cobain verspielt auf einem weiteren Feature Vorschusslorbeeren und wirft die Frage auf, warum er jetzt das nächste große Ding New Yorks sein soll. Selena Gomez und Tyla klingen, als würden sie auf einem K-Pop-Track gastieren.

Besonders schmachvoll ist die wirklich bodenlose Lizzo-Featurenummer "What's Going On". Wie der Titel es schon suggeriert, interpolieren sie hier den gleichnamigen Track von 4 Non Blondes (immerhin nicht den von Marvin Gaye). Es ist absolutes Bottom-of-the-barrel-Trendchasen, ein Zugunglück von einem Song, das selbst für eine Coi Leray ein Tiefflieger wäre - und die lebt bekanntermaßen dieser Tage von solchen Songs. Es ist der schlechteste Moment, aber trotzdem nicht der würdeloseste: Peinlicher ist nur, sich ein "Janet Jackson-Feature" auf die Tracklist zu schreiben, obwohl es sich um ein halbprominentes Sample handelt. Was soll das sein, Clickbait?

Dass selbst Cardis Team nicht an all diesen Schmu geglaubt hat, merkt man daran, dass die tatsächlichen Singles allesamt reine Rap-Nummern sind. Und ganz ehrlich? Eigentlich sind viele von denen ziemlich brauchbar. "Outside" sollte vielleicht ein bisschen mehr Mileage aus dem Offset-Drama bekommen, ist aber wirklich stabil gerappt. "Imaginary Players" ist ein supersolider Remix von einem Hov-Klassiker. Aber besonders die beiden Disstracks "Magnet" und "Pretty & Petty" schlagen absolut ein. Auf letzterem disst sie Bia beim Namen - warum auch immer die jetzt Beef haben sollen - und klingt für einen Sechzehner so animiert und lustig wie in ihren besten Tagen.

Ein seltsames Ding an "Am I The Drama?" ist zuletzt noch der Mittelteil. "Man Of Your Word" sollte eigentlich die definitive Abrechnung mit Exmann Offset, seiner Untreue und all dem Hin und Her sein. Und es ist ein gelungener Track, vor allem, wenn er im letzten Part einen überraschenden Wechsel in eine sehr offenherzige, warme und defensive Direktansprache macht. Das wäre supergut gelöst, würde darauf nicht eine insgesamt fünf Tracks starke Passage voller Offset-Tracks folgen, die mit jedem neuen Versuch, die Kontrolle über das Narrativ zurückzugewinnen, nur unsicherer und sprunghafter wirken.

Cardi ist jemand, die von ihrer Energie und ihrer Leichtigkeit lebt. Diese ganze Passage lässt sie bitter und fahrig wirken. Man merkt ihr regelrecht an, dass die Dinge sie aufgerieben haben, die dem Kreativen im Weg standen. Diese Tracks wirken wie fünf verschiedene, alle auf ihre individuelle Art gescheiterte Skizzen, um diese Beziehung zu verarbeiten. Und je öfter sie erfolglos versucht, dem doch noch Herr zu werden, desto klarer wird, dass sie unabgeschlossen und verunsichert in dieses Album gegangen ist, aber trotzdem auf Krampf versucht, die alte Stärke und Leichtigkeit auszustrahlen. Die Dissonanz ist spürbar.

Wenn nach dem fragilen und wehleidgen "Shower Tears" plötzlich zu "Pretty & Petty" umgeschaltet wird, reißt der Riss noch mehr auf. Ja, der Track ist einer der besten, aber: 'Nachdem ich jetzt zwanzig Minuten wie ein Häufchen Elend meinem nutzlosen Mann hinterhergeheult habe, wird es endlich wieder Zeit, andere Frauen schlechtzureden', das ist in meinem Buch nicht Cardi-like. Das zieht sich auch auf "Magnet" leider in einer der prominentesten Lines durch. Ihr Killerpunch lautet da: "My n*gga cheat, but I don't stick no dildos in his ass". Bitte? 'Ja, vielleicht geht mein Alter mir fremd, aber immerhin haben wir keinen kinky Sex'? Ist das die selbe Frau, die "WAP" gemacht hat???

Überdies: Wenn am Ende "Up" und "WAP" erklingen - Tracks, die an dem Punkt ein halbes Jahrzehnt alt sind - spürt man leider einfach den Qualitätsunterschied. Witzigerweise gibt es hinten mit "Killin You Hoes" und "Trophies" zwei ziemlich gute, unverkopfte Tracks. Einfach nur ein dreckiger Trapbeat und ein paar gute Punchlines. Vielleicht ist das Fazit, dass dieser Mega-Royale-Superstar-Status Cardi einfach nicht steht? Ich vermisse ihre Ratchet-Musik, ich vermisse ihren Worldstar-Sound. Hört auf, sie mit anderen A-Listern zusammenzuwerfen und aufs Beste zu hoffen, gebt ihr einfach Trap-Beats mit Knock und einem simplen, dummen, harten Klavier und lasst sie ihr Ding machen. Stampft das Album auf 40 Minuten ein, macht vielleicht eine Crossover-R'n'B-Ballade drauf. Fertig. Es hätte wirklich nie so kompliziert werden dürfen.

Trackliste

  1. 1. Dead (feat. Summer Walker)
  2. 2. Hello
  3. 3. Magnet
  4. 4. Pick It Up (feat. Selena Gomez)
  5. 5. Imaginary Playerz
  6. 6. Bodega Baddie
  7. 7. Salute
  8. 8. Safe (feat. Kehlani)
  9. 9. Man Of Your Word
  10. 10. What's Going On (feat. Lizzo)
  11. 11. Shower Tears (feat. Summer Walker)
  12. 12. Outside
  13. 13. Pretty & Petty
  14. 14. Better Than You (feat. Cash Cobain)
  15. 15. On My Back (feat. Lourdiz)
  16. 16. ErrTime
  17. 17. Check Please
  18. 18. Principal (feat. Janet Jackson)
  19. 19. Trophies
  20. 20. Nice Guy (feat. Tyla)
  21. 21. Killin You Hoes
  22. 22. Up
  23. 23. WAP (feat. Megan Thee Stallion)

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1 Kommentar

  • Vor 2 Tagen

    Gute Review!
    Irgendwie ist mir das Album erstaunlich egal. Dabei ist Money wahrscheinlich mein Lieblings-Raptrack der letzten 5 Jahre, aber ihre Popversuche haben mir schon immer den Zahn gezogen.
    Ich frag mich auch, warum sie das immer wieder versucht, wenn ihre größten Hits halt W.A.P. und Bodak Xellow sind.

    P.S. Das sie es jedes Mal wieder schafft, ein Albumcover zu produzieren, dass überhaupt nichts von ihrem Charme durchblicken lässt sondern aunfach nur dahinge*** auschaut, wird auch langsam zum Trademark.