laut.de-Kritik

Der Popstar für die Generation Y.

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In der Nachbetrachtung wirkt es wie der einzig logische Schritt, dass sich Charli XCX von der Hitschreiberin im Hintergrund nach vorne ins Rampenlicht gespielt hat. Mit ihrer Unruhe, dem lauten Zweifeln und ihrer kaum verhohlenen Faszination für die Achtzigerjahre wirkt die verschrobene Britin schlicht wie der ideale Popstar für die Generation Y.

Vier Jahre sind dabei seit ihrem letzten Studioalbum vergangen. Im schnelllebigen Popgeschäft eine fast schon unverschämt lange Zeit, in der das öffentliche Interesse an der Sängerin aber eher gestiegen denn gesunken ist. Vor ihrem dritten Album wurde Charli XCX mit zahlreichen Vorschusslorbeeren bedacht, die Musikerin gar zu einem "neuen Kapitel der Popmusik" erklärt.

Von einem rein musikalischen Standpunkt aus betrachtet, lässt sich der Hype kaum erklären. Denn auf "Charli" passiert rein melodiös erstmal wenig bis nichts, was man nicht genauso in der grundlegenden DNA von Pop im 21. Jahrhundert erwarten würde. Charli XCX fährt denkbar einfache Melodien, die sich gerne äußerst repetitiv den Weg ins Gehör bahnen. Den Status als 'Next Level Charli' verdankt die Musikerin vielmehr dem Ausreizen moderner Technik und ihrer charismatischen Persönlichkeit. Alles blinkt und hüpft und der exzessive Autotune-Gebrauch würde wohl selbst so manchem Atlanta-Rapper die Schamesröte ins Gesicht treiben.

Trotz ihrer Überdrehtheit sind die Popsongs von Hedonismus denkbar weit entfernt. Denn "Charli" ist zwar eine schrille und laute, aber auch eine hörbar fragile Popwelt, die jeden Moment zu kollabieren droht oder wie in "Gone" zum Ende tatsächlich krachend zusammenbricht. Auch textlich geht die Musikerin hart und schonungslos mit sich ins Gericht.

Sie legt Ängste, Unsicherheiten und Selbstzerstörungstendenzen offen und hat dabei wenig Interesse sich selbst in einem besonders positiven Licht erscheinen zu lassen. Auch die zentralen Themen des Exzesses und des Nachtlebens erscheinen somit weniger als jugendliche Lebensfreude, denn als eine Flucht vor sich selbst. "I hate the silence", singt Charli XCX in "White Mercedes", "that's why the music's always loud".

Neben dem Rausch bietet auch die Verklärung einer vermeintlich einfacheren Vergangenheit einen Ausweg aus der gegenwärtigen Überforderung. Da wären zunächst die eingangs angesprochenen Achtzigerjahre. Wiederholt lässt Charli XCX ihre Synthpop-Hits etwa mit breiten Synthesizerflächen wie direkt aus Giorgio Moroders "Scarface"-Soundtrack beginnen. Und da sind natürlich die drei Minuten Trashpop-Perfektion, in denen sich die Sängerin halbironisch in ein "1999" zurückwünscht, an das sie sich ebenso wie Gastsänger Troye Sivan bestenfalls verschwommen erinnern kann.

Zusätzlich zu Sivan versammelt Charli mit Brooke Candy, der brasilianischen Drag Queen Pabblo Vitar oder Kim Petras weitere Stars der LGBTQ+-Szene. Dazu kommen mit Lizzo oder Cupcakke einige der wichtigsten weibliche Stimmen der letzten Zeit, die sich lautstark gegen das Korsett des stereotypen Popstars wehren. Fast schon naturgemäß angesichts dieser Fülle an Gästen funktionieren die Zusammenarbeiten mal mehr und mal weniger gut.

Ergeben etwa die Kollaborationen mit Christine And The Queens oder Sky Ferreira einen beeindruckenden Synergieeffekt, passt Lizzo mit ihrer erfrischenden Offenherzigkeit leider nur bedingt in die metallische, selbstdestruktive Welt von Charli XCX. Somit kommt der gemeinsame Song "Blame It On Your Love" überhaupt nicht an seine ursprüngliche Fassung "Track 10" heran, das Prunkstück des "Pop 2" Mixtapes.

Bezeichnenderweise hat "Charli" seinen vielleicht stärksten Moment - bei aller laut nach außen getanzter Unsicherheit und dem Gedränge von prominenten Gästen - gerade dann, wenn es am stillsten wird. "Official" ist eine herzerwärmend schöne Liebeserklärung in Zeiten von Bindungsängsten und dem Drang, sich auf keinen Fall festlegen zu wollen. Gleichsam explizit wie intim singt Charli dort von "Things that you say when I make bad decisions. Things that we do by the sink in my kitchen" und stellt mit hörbarer Angst vor so viel Commitment fest: "These are things that could make us official ".

Tatsächlich wäre das auch ein gutes Schlussstatement gewesen. Denn die drei Songs, die noch folgen, fügen dem Soundkonzept wenig Neues hinzu und verwässern den Eindruck. Der ganz große Wurf ist das Album nicht geworden. Dafür sind viele der Ideen, die sich hinter der Technik verbergen, wohl schlicht nicht raffiniert genug. Aber ein aufgedrehteres, ein lauteres und bunteres Popalbum wird sich dieses Jahr wohl schwerlich finden.

Trackliste

  1. 1. Next Level Charli
  2. 2. Gone feat. Christine and the Queens
  3. 3. Cross You Out feat. Sky Ferreira
  4. 4. 1999 feat. Troye Sivan
  5. 5. Click feat. Kim Petras and Tommy Cash
  6. 6. Warm feat. HAIM
  7. 7. Thoughts
  8. 8. Blame It On Your Love feat. Lizzo
  9. 9. White Mercedes
  10. 10. Silver Cross
  11. 11. I Don’t Wanna Know
  12. 12. Official
  13. 13. Shake It feat. Big Freedia, CupcakKe, Brooke Candy and Pabllo Vittar
  14. 14. February 2017 feat. Clairo and Yaeji
  15. 15. 2099 feat. Troye Sivan

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