laut.de-Kritik

Aus den 36 Kammern einmal um die Welt.

Review von

"If the sound and the rhythm of the sound - above all the rhythm - is wrong, no image can save it", erklärt eine Männerstimme im Opener "Introduction" die herrschende Überzeugung, während im Hintergrund in Gestalt fernöstlich anmutender Saitenspielereien mit flirrenden, zarten Strahlen die im Titel beschworene "Morning Sun" aufgeht.

"I believe sound is the first human sense." Chinese Man fühlen sich verpflichtet: dem Sound, dem Rhythmus, dem Groove - und den Bildern, die die detailverliebten Klangcollagen des französischen DJ-Kollektivs in den Gedanken ihrer Hörer aufkeimen lassen.

Heftigst fordert die musikalische Weltenbummelei von der ersten Sekunde an die Phantasie. Den Soundtrack zu einem imaginären Film, der nie gedreht wurde, soll "Racing With The Sound" darstellen. Von wegen! Besagter Film spielt sich hinter geschlossenen Augenlidern ab – unwillkürlich, unaufhaltsam.

Die resultierenden Tracks geraten zwar deutlich weniger martialisch. Trotzdem könnte man angesichts der im Überfluss verwendeten Sprachsamples aus Filmen oder Ansprachen glatt auf die Idee kommen, Zé Mateo, High Ku und Sly hätten ihr Handwerk beim Wu-Tang Clan gelernt. Am Anfang steht zumeist das Wort, doch darum weben die drei Turntablisten aus Marseille - 100% auf Vinyl - schillernde Gespinste aus der Vielzahl von Klängen, die ausgiebige Stöberei in den Plattenläden und auf Flohmärkten dieser Welt zutage förderte.

Was sich da nicht alles finden ließ: Westerngitarre und Banjo. Ein Kontrabass wie frisch aus dem rauchigen Jazz-Keller. Ska-taugliche Offbeat-Rhythmen. Dub-Elemente. Portugiesische Schwermut. Bläser, die geradewegs aus einer Revue entfleucht scheinen. Übergeschnappte Flöten, ein Herzschlag, fiepende Elektro-Klänge, klingelnde Glöckchen, Rap und jamaikanisch gefärbtes Toasting.

War das eine Maultrommel? War das etwa Obertongesang? "I am somebody!" Das entstammte jedenfalls ganz sicher der Rede, die Jesse Jackson 1972 beim Wattstax Festival hielt, das vielen als Black Woodstock gilt. Angesichts der Flut von Einzelheiten, die die Franzosen aus ihren Crates ziehen, kommt man kaum noch mit. Um so mehr verblüfft die völlig widerstandsfreie Natürlichkeit, mit der all die vielen Kleinigkeiten in stetigen Grooves zusammenfinden, als wären sie eigens füreinander geschaffen worden.

Immer wieder rutscht eine schräge Note in die Klavierläufe und sichert "One Past" so ungeteilte Aufmerksamkeit. In "If You Please" fühlt man sich wie ein Ping-Pong-Ball, nur dass die eine Hälfte der Platte auf einem orientalischen Bazar steht, während auf der gegenüberliegenden Seite der Kindergeburtstag samt Topfschlagen tobt.

Taiwan MC und Cyph 4 machen "Miss Chang" mit dem Rub-a-Dub-Stylee vertraut: "Niceness we bring", fraglos. In "Saudade" pluckert unmittelbar darauf die Percussion gegen die Schläfen und begleitet in die Abgründe, die in der grenzenlos melancholischen Stimme der Sängerin wiederhallen.

Ella Jenkins, der "Racing With The Sun" seinen Titel verdankt, verpasst dem Track gleichen Namens eine Ahnung von Gospel und Blues, wie ihn sonst nur die Spirituals geschundener Baumwollpflücker verströmen. Rap und Musical-Passagen gehen in "Get Up" eine elend kopfnickbare Allianz ein.

Man könnte endlos damit fortfahren, kleine bunte akustische Steinchen, Glasperlen und Spiegelscherben herauszupicken und unter die Lupe zu legen. Von den bestrickenden Mustern, die das Kaleidoskop birgt, das uns Chinese Man zuwerfen, entstünde dabei noch lange keine Vorstellung. Deshalb: Einfach mal reingucken. Das hilft.

Trackliste

  1. 1. Introduction (Morning Sun)
  2. 2. One Past
  3. 3. If You Please
  4. 4. Miss Chang feat. Taiwan MC & Cyph4
  5. 5. Saudade
  6. 6. Stand feat. Plex Rock
  7. 7. Racing With The Sun
  8. 8. Down feat. Scratch Bandits Crew
  9. 9. In My Room
  10. 10. Get Up feat. Ex-I, Lush One & Plex Rock
  11. 11. Ta Bom feat. General Elektriks
  12. 12. J.O.G.J.A feat. M2MX, Dubyouth & Kill The DJ
  13. 13. The King

Videos

Video Video wird geladen ...

Weiterlesen

LAUT.DE-PORTRÄT Chinese Man

Besonders viel lässt sich über die drei Knaben, die sich hinter dem Banner Chinese Man verstecken, nicht in Erfahrung bringen. Mit einem allerdings …

2 Kommentare