laut.de-Kritik
Noise-Experimente, dass einem Hören und Sehen vergehen.
Review von Laura SprengerWer "CLPPNG" den Noise-Rap-Stempel aufdrücken und das Album damit abhaken will, der macht es sich ein bisschen zu einfach. Der zweite Longplayer von Clipping ist experimentell, genauso aufregend wie anstrengend, und offenbart auch nach dem x-ten Durchgang noch neue Facetten. Eingängig und glatt wirkt hier nichts, aber auch wirklich gar nichts.
Schon beim einminütigen Intro wird das deutlich: Zu penetrantem Piepen rappt Daveed Diggs in einer Geschwindigkeit und mit einer Aggressivität, dass einem Hören und Sehen vergeht und man sich nicht annähernd eine Vorstellung davon macht, was einen die nächsten 45 Minuten erwartet. "It's clipping, bitch!" Das bedeutet: Experimente, Kompromisslosigkeit und die Leidenschaft, aus jedem erdenklichen Geräusch einen Beat zu bauen.
"She don't need you for shit, but your dick and your veins / And your guts and your body and blood." So bedrohlich wie der Inhalt erscheint auch das Klangbild von "Body & Blood" mit einem konstanten Schlagbeat und etwas, das an Kettensägen erinnert. Diggs druckvolle Stimme komplettiert die Horror-Atmosphäre. Nach gut vier Minuten ist man froh, dieser dunklen Welt entkommen zu sein.
"Work Work" als erste Singleauskopplung wirkt da wesentlich entspannter, die klingenden Beats fügen sich gut in das Zusammenspiel aus den Rap-Parts und Cocc Pistol Crees kindlicher Stimme ein.
Den zurückhaltenden Beat in "Summertime" unterbrechen nach kurzer Zeit anstrengende Industrials. An Mut zur Hässlichkeit mangelt es den Produzenten Jonathan Snipes und William Huston wirklich nicht, während Diggs prophezeit: "A motherfucker will die in the summertime." Das glaubt man ihm aufs Wort.
Ein wenig mehr Stringenz hätte dem ein oder anderen Track aber gut zu Gesicht gestanden: Jedes Mittel vereitelt entspanntes Zuhören, die brachialen Geräuschkulissen sorgen für eine Atmosphäre permanenter Angespanntheit. Trotzdem - oder gerade deswegen - zieht einen "CLPPNG" in einen Sog, aus dem man sich nicht so leicht befreien kann. Die Neugier, was noch folgt, wächst mit jeder Nummer.
Als Überraschung entpuppt sich sicher "Tonight" mit einer Autotune-Hook, die problemlos in jeden Club passen würde. Dabei wirkt der Track keineswegs wie eine Parodie der dort gängigen Sounds, vielmehr wie ein Tribut. Überhaupt bekommt man nicht das Gefühl, dass Clipping mit ihrer Musik ein Statement setzen wollen. Für das Trio bedeutet der Longplayer eine "Rückkehr zur originalen Hip Hop-Ästhetik".
In "Dream" beschreibt Diggs mit schlaftrunkener Stimme einen wirren Traum. Das wiederholt geflüsterte "It was all a dream" und der minimalistische Beat lassen einen tatsächlich müde werden. Lange kann man sich dem aber nicht hingeben, denn in "Get Up" nervt ein so penetranter 120bpm-Wecker, dass man am liebsten auf den MP3-Player einschlagen möchte, um dem ein Ende zu setzen. Konzentriert man sich mehr auf den gesungenen Part von Mariel Jacoda, kann man sich den Track aber durchaus anhören.
Häufig drängen sich die außergewöhnlichen Beats derart in den Vordergrund, dass Diggs Rap etwas untergeht. Dabei gibt der Kalifornier vor allem in Doubletime eine exzellente Figur ab und muss sich auch sonst nicht hinter den dominanten Produktionen verstecken.
Je mehr man von Clipping und ihrer Mischung aus Noise, Glitch und Subbässen hört, desto mehr Fragen werfen sie auf. Beantwortet wird aber keine davon. Stattdessen zwingt einen die dekonstruktivistische Musik dazu, über ihre Ursprünge nachzudenken. Das kann einen schon fast in den Wahnsinn treiben, wenn man trotzdem nicht schlau daraus wird. Man kann sich aber auch einfach darauf einlassen. Einlagen wie der Kinderchor in "Dominoes" klingen da fast schon zu gewöhnlich, machen den Track durch den Kontrast aber trotzdem zu einem Höhepunkt.
Überhaupt begeistert die Feature-Auswahl und sorgt dafür, dass es nicht zu anstrengend wird. Einerseits bedeutet sie eine willkommene Abwechslung zum komplizierten Klangbild, andererseits verstärkt sie es noch. Klingt kompliziert, aber genauso ist CLPPNG: schwer zu fassen und, wie im Fall der abschließenden Tracks "Ends" und "Williams Mix", leider oft einen Ticken zu experimentierfreudig. Das Album bietet Inspiration für aufgeschlossene Produzenten und interessierte Hip Hop-Hörer, stellt aber gleichzeitig eine Herausforderung dar, die Geduld und intensive Auseinandersetzung erfordert.
1 Kommentar
Wer dieses Album anstrengend findet, nutzt extraweiches Toilettenpapier.