laut.de-Kritik
Das Klavier und die Haltung.
Review von Yannik GölzWie anti-alles kann die Antilopen Gang noch sein? Eigentlich liefert die Gruppe seit jeher ein Paradebeispiel dafür, wie Musik Haltung bewahrt. Sie waren alle schon immer klug, subversiv und bereit, sich zu großer Aneignung zu widersetzen. Aber der ganze Widerstand bekommt eine absurde Note, wenn man für die mustergültige Widerständigkeit schon mehrmals durch alle Medien geladen wurde. Einladungen in die Tagesschau, Interviews mit Abertausenden Abendzeitungen, Auszeichnungen und Preise. Wer in der neoliberalen Gesellschaft als Ausstellungsstück für politische Tugenden herumgereicht wird, kann gar nicht so Punk sein. Oder?
Danger Dans neues Soloabum "Das Ist Alles Von Der Kunstfreiheit Gedeckt" markiert den bisherigen Gipfelpunkt dieser Paradoxie. Der vorausgeschickte Titelsong zeigt alles, was die Antilopen Gang schon immer großartig gemacht hat. Es ist ein ungeschönter und konsequenter Track über Antifaschismus, der sich ohne Schnörkel und ohne Schonung einer radikalen Pointe gegen alle Figuren ausspricht, die derzeit unsere demokratische Grundordnung unterwandern. Geschickt getextet und mit clever gewähltem Aufbau macht die Klaviernummer alles richtig, was man mit politischer Haltung in deutscher Musik richtig machen kann. Und jetzt, wo das Gerappe und diese sperrigen Hip Hop-Beats weg sind, schmiegt es sich auch endlich genug an, dass die deutsche Mehrheitsgesellschaft diese Haltung problemlos konsumieren kann.
"Das Ist Alles Von Der Kunstfreiheit Gedeckt" klingt abseits des Titeltracks nicht so radikal. Die meisten Songs tönen im Kerngefühl erschöpft und unsicher. Zurecht, immerhin ist die Gesellschaft unglaublich verwirrend und die Antwort auf die Frage, was nun das Richtige zu tun sei, findet sich nie so leicht, wie man es sich wünscht. Ja, die Faschisten zu prügeln, das ist ein Zustand, auf den man sich einigen kann (oder können sollte). Aber was tut man gegen kapitalistische Ungerechtigkeit, globale Ausbeutung und patriarchale Machtstrukturen?
Der Song "Ich Verprügelte Die Sextouristen In Bangkok" fängt die Unstimmigkeiten dieser Konflikte wunderbar ein. Die absurde Kurzgeschichte über Dan und Penélope Cruz, die deutsche Touris in Bangkok aufmischen, weiß, dass diese Symptome von gesellschaftlichem Schmutz keinen benennbaren Auslöser haben, der sich mit Bierdusche und Schienbeintritt abstellen ließe. Leute kloppen und Prügelstrafe helfen nicht, so befreiend sie sich auch anfühlen mögen. Am Ende bekennt die Nummer sich zwar versöhnlich zu sich selbst, lässt aber doch mit einem Gefühl von Ohnmacht zurück. Das Kloppen hilft nicht viel, wahrscheinlich nicht einmal die Demos und die Protestsongs. Was dann?
Für Danger Dan bedeutet das in der Spanne mehrere Piano-Balladen, in denen er sich für das Leben abseits der mehrheitsgesellschaftlichen Strukturen ausspricht. Das klappt nirgends so fantastisch wie auf dem überragenden Opener "Lauf Davon", der atmosphärisch und einfühlsam die wahre Geschichte eines großen Eskapismus nachzeichnet. Abhauen aus dem Bewerbungsapparat, ab nach Bordeaux, Autos knacken, Lou Reed hören. Das Schöne im Leben finden, nicht nur die paar Tropfen Serotonin, die die Leistungsgesellschaft als Schmiermittel zwischen den Lebenslauf-Abschnitten vorsieht.
Aber nicht jeder Song klingt so potent wie "Lauf Davon". "Eine Gute Nachricht" oder "Tesafilm" rütteln effektiv ohne großen Mehrwert an den selben Noten. Sie sind süß, keine Frage. Genau wie die paar Quatschkopf-Singles zwischendurch süß sind. "Das Schreckliche Buch", "Topf Und Deckel" oder "Ode An Den Mord" sind kerntypische Antilopen-Songs auf Klavier umgemünzt, pointiert, unterhaltsam. Auch das Outro "Beginne Jeden Tag Mit Einem Lächeln" bleibt ein Schmunzler. Aber so richtig setzt am Ende kein richtiger Imperativ mehr ein. Es schwankt stattdessen immer mehr in Fast-Schon-Alligatoah-Gefilde, aus denen trotz allem cleveren Fensterschmuck nur das vage Gefühl von einer Aussage zurückbleibt. Liebe ist gut, wie die anderen sein ist schlecht, Nazis sind doof. Verkürzt es den Inhalt des Gesagten? Wahrscheinlich. Aber sage mir einer effektiv, was da noch mehr drinsteckt, bitte.
Die größte Stärke und Schwäche von "Das Ist Alles Von Der Kunstfreiheit Gedeckt" ist die Schwammigkeit, mit der Danger Dan sich seinem eigenen Standpunkt annähert. Es ist gut, dass er nicht wie viele andere linke Rapper Songs macht, die – beschämt ob ihrer Musikhaftigkeit – lieber Kolumnen in der taz wären. Es ist gut, dass er Geschichten erzählt und Bilder schafft, die seine eigenen Ambivalenzen ausdrücken. Wer hat denn schon die Weisheit mit Löffeln gefressen, wenn es um den Sinn des Lebens und das politische Morgen geht? Aber trotzdem bleibt bei der Platte etwas grundlegend Unbefriedigendes zurück. Etwas, das sich der Frage entzieht, was moderne politische Haltung enthalten sollte, über das Gegen-Nazis-Sein hinaus, das heutzutage schönerweise schon marktfähig genug ist, um dafür Interviews in der Gala zu bekommen.
Es bleibt ein großes, hallendes "Was jetzt?", befeuert davon, dass das Album die Fragen zwar ausspricht, sich dann aber doch wieder unter Humor und rhetorischem Blendwerk davon zurückzieht. Ich erwartete keine Antwort, aber eine Diskussion, die nicht vor sich selbst einknickt. Dass das Klavier-Ding am Ende von elf Songs an der Grenze zur Monotonie nagt, hilft auch nicht. "Das Ist Alles Von Der Kunstfreiheit Gedeckt" kokettiert mit Radikalität, Haltung und Statement, aber irgendwie verschwimmen diese Attribute im Laufe der Platte immer mehr.
Was übrig bleibt, scheint ein kluges Album™ zu sein, dessen ganze Auseinandersetzung daraus besteht, dass Kenner von deutschem Liedermachertum in Facebook-Kommentaren "Chapeau" darunterschreiben können. Wenn das der Endzustand ist, trennt den haltungsstarken Musiker mit den Lou Reed-Platten eigentlich auch nicht mehr sehr viel vom Start-Up-Chef im Ramones-Shirt.
24 Kommentare mit 89 Antworten
Musik für Postillion Leser
Ich halte viel von diesem Qualitätsblatt, aber "Das ist alles von der Kunstfreiheit gedeckt" ist wirklich schwach (Achtung: Ich kenne nur die Single-Auskopplungen und dieses Review). Weder lustig, noch bringt es irgendwelche Erkenntnisse, noch zwingt er einem, sich mit einer Haltung auseinanderzusetzen, die nicht komplett abwaschbar wäre.
Da bezieht der Postillon schon eher Stellung, indem er zwischen den ganzen Wortwitzen und Blödsinn tatsächlich hin und wieder logische Probleme von bestimmten Positionen ad absurdum führt. Aber ich lese den Postillon auch nicht für eine Haltung, sondern zur Unterhaltung. Haltung kann ich selber.
Kpop-Superstan wirft politisch angefärbtem Album vor, den politischen Diskurs nicht eigenhändig und -mächtig eine Stufe weiterzuhieven. (Mal abgesehen davon, dass man dafür argumentieren kann, dass es das Dank des medialen Echos des Titelsongs vielleicht sogar mehr getan hat als viele hochpolitischere Alben)
Musik für Leute die Ralph Ruthe zum kringeln lustig finden
ruthe hat schon lustige momente
https://ruthe.de/cartoon/681/datum/asc/
https://ruthe.de/cartoon/662/datum/asc/
Kenne Ralph Ruthe nicht, werd ich mir aber mal anschauen. Danke für den Tipp.
seh ich genauso
Geiles Album. Es ist Musik, da erwarte ich keine Revolution. Es soll unterhalten und eine besondere Stimmung bringen. Wenn Musik politisch oder lehrreich ist, ist das ein Bonus aber es ist immer noch Musik und kein Flyer fuer nen Demo Aufruf oder ein Fachbuch wo mensch jedes Wort sezieren kann. Ich habe es gerade zum ersten mal gehoert und war begeistert. Die Symbiose von Wort und Musik hat mich beruehrt. Gruesse aus Perth, WA
Das Titelstück ist für mich immer noch der Song des Jahres, musikalisches Polit-Kabarett für einen Moment aus der staubigen Niesche in den Mainstream gehievt. Lauf davon, Trotzdem und das Sextouristen-Stück gefallen mir auch sehr. Ingloria Victoria ist noch recht charmant, den Rest (insbesondere Hälfte 2) der Scheibe finde ich leider ziemlich dahinplätschernd. 3/5 unterm Strich schon in Ordnung.
Gesundheit an selbst. Und Nische muss es heißen.
Finde mittlerweile "Das schreckliche Buch" richtig richtig stark.
Kann ich vom Konzept her nachvollziehen, musikalisch hat’s mir bisher leider eher nicht gefallen. Aber da ich der A-Seite sowieso noch ein paar Rotationen gönnen werde, prüf ich’s gerne nochmal bewusst(er) gegen
Naja, ich bin musikalisch leicht zu begeistern, deswegen war auch im Spotify-Jahresrückblick mein meist gehörtes Genre Punk. So viel vorweg.
Ich hab ja dieses Jahr erst sein solo Rap-Album für mich ja entdeckt, "Reflexionen aus dem beschönigten Alltag", und Junge, ging mir das gut rein. Habe die Antilopen echt lange aus dummen Gründen gehatet, und das Album ist so stark, dass ich mich im Nachhinein dick für dieses gatekeeping geschämt habe.
Aus was für Gründen hast du die gehatet?
Puh, da muss ich weit vorgreifen...aaaalso, mein erster Berührungspunkt war am 08.03.2011, da würde ich von einem Mädel, auf das ich damals stand, auf ihr Konzert im HDJ Mainz geschleppt, wir waren ca. 15 Gäste und ich fand die Performance einfach wack, habe mich evtl durch "fick die Uni" ein wenig zu sehr angesprochen gefühlt und wollte eigentlich nur mit diesem Mädel rumschekern. *Record Scratch* 2013 dann wieder im AZ meiner Wahl, dem Haus Mainusch, gesehen und fand die dudes einfach raptechnisch nicht gut und die westdeutsche linke Crowd für mein Empfinden nicht real genug, das ist nochmal ein Thema für sich...dann, 2015 rum, hat meine damalige Hippie-Freundin die Ölsardinen-EP abgefeiert, und da war ich nicht bei, fand die Raps schlecht und die Beats waren auch mies (das würde ich auch heute noch so unterstreichen).
Dann kam der Hype und ich fand einfach die meisten Fans zu cringy, shame on me. Hab sie 2016 oder 17 bei Beats im Block in Grünau gesehen, und vorher haben WTG gespielt, die das (ostdeutsche) Publikum einfach wesentlich besser abgeholt haben.
So, ist zwar nicht besonders kohärent, aber sollte einen Eindruck vermitteln.
Kurz gesagt: einige dumme persönliche Gründe, viel gatekeeping.
Ah, okay. Dachte schon, es wären politische Gründe, weil in der falschen linken sub-bubble unterwegs, das hab ich öfters schon als Grund gehört.
Kann Deine Punkte aber alle gut nachvollziehen. Ich finde die einfach unhörbar, wenn Kolja am Mic is, will ich eigentlich nur noch schreien. Furchtbar. Und inhaltlich... naja. Fand gerade Fick die Uni sehr putzig, weil die Typen für mich echt immer die Prototyp-Studenten-Linken waren (ich kenn die gut, war selber einer).
DangerDan Album trotzdem super. Er ist schon gut, wenn er nicht so tut, als wäre er ein Rapper.
Finde Kolja mittlerweile richtig gut, tbh.
Deinen letzten Satz unterschreibe ich tho.
Dass ich die "Reflexionen...", die ich dieses Jahr geschenkt bekommen hatte, vor ein paar Tagen noch eingeschweißt beschämt aus dem Regal gezogen habe, war tatsächlich mein Aufhänger, mich mit der Scheibe hier noch mal eingehend zu befassen. Zum Vorgänger bin ich bisher entsprechend noch nicht gekommen, umso schöner zu lesen, dass ich mich da wohl drauf freuen kann
Bin übrigens einverstanden, das Buch noch der Habenseite zuzurechnen - was die Platte in meiner Wahrnehmung eigentlich aufwertet, aber andererseits halt auch noch deutlicher macht, dass "Haben" hier näherungsweise auf den zweiten Buchstaben eingedampft werden kann.
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