laut.de-Kritik

Lockerung aus dem Klammergriff der Nostalgie.

Review von

40 Jahre liegt die Premiere von "Ghostbusters" nun zurück. Seitdem beißen sich Autoren und Produzenten die Zähne an einem würdigen Nachfolger aus. Den bisherigen Tiefpunkt dürften sie 2021 mit "Ghostbusters: Legacy" erreicht haben. Regelrecht erstarrt in ihrer Vergangenheitsidealisierung drehten sie schlicht den ursprünglichen Film nach. Die Handlung mag auf dem Land statt in New York stattgefunden haben und Kinder rückten ins Zentrum, doch im Grunde ist es nur darum gegangen, den erneuten Angriff der sumerischen Gottheit Gozer mit möglichst vielen Easter Eggs zu begleiten.

Der Marshmallow Man kehrte etwa sinnfrei als Miniatur-Armee zurück, um dieselben verkaufsfördernden Reflexe wie die Minions oder die grünen Männchen aus "Toy Story" zu triggern. Die von Kindern gespielten Figuren Phoebe Spengler und ihr Kumpel Podcast imitierten schon phänotypisch die Ur-Ghostbusters Egon Spengler und Ray Stantz. Und selbst Bill Murray fügte sich nach jahrelangem Widerstand seiner Rolle, um noch den letzten Rest nostalgischer Gefühle aus dem Zuschauer zu pressen. Damit hatte der Film weniger zu bieten, als der vom Netz-Mob so gehasste "Ghostbusters" mit weiblichem SNL-Cast.

Zu den ohrenfälligsten Schwächen des Legacy-Sequels gehörte die Musik von Rob Simonsen, der völlig humorlos ganze Passagen des Bernstein'schen Originals kopiert und an die erforderlichen Stellen platziert hatte. Für "Ghostbusters: Frozen Empire" tritt nun mit Dario Marianelli ein anderes Kaliber ans Dirigentenpult. Und dem für feinfühlige Literaturverfilmungen bekannten Oscar-Preisträger gelingt es ausgezeichnet, sich im genrefremden Gewässer freizuschwimmen.

Der fünfte Aufschlag im "Ghostbuster"-Universum beginnt mit einem Rückblick ins Jahr 1904, als es schon einmal zu einem tödlichen Zusammentreffen der "Manhattan Adventures Society" mit dem späteren Gegenspieler Garraka gekommen war. Marianelli geht konsequenter mit dem Thema um als der Film. Sein Orchester steigert sich nicht nur einigermaßen chaotisch in den Horror hinein, den ein Raum voller schockgefrosteter Leichen so mit sich bringt, seine stakkatoartig zustechenden Streicher liefern auch das Foreshadowing für die später allenthalben hervortretenden Eiszapfen im Big Apple.

Schnitt in die Gegenwart: Die aktuellen Geisterjäger um Callie Spengler (Carrie Coon) und Gary Grooberson (Paul Rudd) richten bei ihrer Verfolgung eines Kanaldrachen allerhand Chaos an. Das Orchester spielt sich in "The Sewer Dragon" die Finger wund, um eine ernstgemeinte Jagd zu simulieren, die mal voranschreitend, mal verzögernd den monströsen Gegner umkreist und schließlich über ihn triumphiert. Für sich macht das Laune, doch Regisseur Gil Kenan ignoriert die musikalischen Bemühungen konsequent und überlagert die Szene mit Witzeleien, die der Gefahr kein bisschen gerecht werden.

Das gilt ebenso für die groteske Liebesgeschichte. Aus dem einstigen Start-Up hat sich "Ghostbusters" zu einem Familienunternehmen entwickelt, in dem die üblichen Zwiste und Pubertätsprobleme regieren. Die frustrierte Phoebe Spengler zieht sich in einen Park zurück, wo sie der Geist eines etwa gleichaltrigen Mädchens in ein Schachduell verwickelt. "Ich muss bis in alle Ewigkeit 16 sein", gesteht diese ihr lapidar die besondere Tragik ihres Dasein. Das beißt sich sowohl mit der Stimmung des Films als auch dem Konzept, wonach die Geister in erster Linie als Monster zu sehen sind, die es zu jagen gilt.

Marianelli lässt "Chess In The Park" vom schlendernden Jazz im Stil des Originals stark ins betulich Romantische kippen, womit er die paranormale lesbische Liebesgeschichte zwischen den Teenagern bestätigt, die der Film immer nur andeutet. Interessanterweise verzichtet er dabei fast völlig auf die Ondes Martenot, die das Franchise bisher stark geprägt hat. Der Cellist Maurice Martenot hatte das elektronische Instrument nach seinem Einsatz als Funker im Ersten Weltkrieg erfunden. Mit den noch heute fremdartigen Klängen ließ sich in "Ghostbusters" ideal das Übersinnliche verkörpern.

Als Mann fürs Feine setzt Marianelli in "Chess In The Park" auf fast Zelda'eske Flöten- und Harfenklänge. Doch auch diesseits der metaphysischen Liebe dominiert das handfeste Saiteninstrument zur Charakterisierung der gespenstischen Erscheinungen. "When The Light Is Green ...", "A Call" oder "A Tour Of The Firehouse" ergänzen ihre Suspense-Streicher um die Harfe. Am ausgeklügelten dürfte das "Paranormal Research Center" ausfallen, ein früheres Aquarium, in dem Harfen und Gläserspiele mit schwebenden Sounds die Geisterforschung von Alt-Ghostbuster Winston (Ernie Hudson) untermalen.

Dort trennt Phoebe mit dem "Ionic Separator" den Geist von ihrem Körper, um mit Melody zumindest kurzzeitig auf derselben Dimensionsebene zu interagieren. Das ist alles natürlich ausgemachter Science-Mumbo-Jumbo, aber Marianelli setzt wirklich alles in Bewegung, um dem Geschehen einen liebevollen Touch zu geben. Doch der Film reduziert die musikalische Sensibilität lieber auf ein Minimum und nutzt die Szene als Startpunkt für das folgende Finale um die Phantom-Gottheit Garraka, die sich von Angst ernährt, mit Kälte tötet und sich mit Feuer und Messing in Schach halten lässt.

Auf dem Papier klingt das brauchbar, in der Umsetzung fällt es mau aus. "The Horns", "New Proton Packs" oder "Possessor's Mistake" knüpfen an den gewaltigen Schlussakt des ersten Teils an, doch das popelige Finale in der Garage der Feuerwache hält dem nicht stand. So klingt auch "Last Frozen Stand", als träfe eine Schar Marvel-Superhelden zum finalen Kampf ein. Dazu passt der neu eingeführte Feuermeister, der qua Geburt dazu bestimmt ist, Garraka Einhalt zu gebieten. Kumail Nanjiani spielt den Berufenen derart klamaukig, dass er der Endschlacht jeden Horror entzieht.

Wichtiger als das Action-Finale ist die folgende Erlösung von Melody. "Wir sehen uns im Gewebe des Universums", verabschiedet sich die ewig 16-Jährige von Phoebe, die nun ein ganzes Leben auf sie warten muss, während eine Fußballmannschaft an Geisterjägern ein ernstes Gesicht dazu aufsetzt. Das elegische "The Thawing" liefert die adäquate Begleitung, "In The Fabric Of The Universe" setzt den friedvollen Schlusspunkt eines Scores, der gelungener ist als der dazugehörige Film, der die finalen musikalischen Ideen desinteressiert zugunsten einer weiteren Ray-Parker-jr-Straßenfeier beiseiteschiebt.

"Was für eine unvorhersehbare Partitur das ist, die ohne Vorwarnung vom Unheimlichen zum Slapstick springt, vom kleinsten Synthesizer-Funkeln bis hin zur wunderschönen und üppigen Orchestrierung, von völlig ernst bis völlig albern", kommentierte der Komponist vorab die Originalmusik von Elmer Bernstein, "Es war eine Ehre für mich, mich Gil Kenan und der Ghostbusters-Familie anzuschließen und dieser verrückten Prämisse Tribut zu zollen und sie erweitern zu dürfen." Das Franchise müsste dringend grundsaniert werden, doch Dario Marianelli darf der Reihe zukünftig gerne erhalten bleiben.

Trackliste

  1. 1. Manhattan Adventures Society
  2. 2. The Sewer Dragon
  3. 3. Firehouse
  4. 4. Ray's Occult
  5. 5. A Ghost In The Attic
  6. 6. Chess In The Park
  7. 7. When The Light Is Green…
  8. 8. Paranormal Research Center
  9. 9. A Call
  10. 10. The Orb
  11. 11. A Tour Of The Firehouse
  12. 12. Slimer
  13. 13. Dadi's Secret Room
  14. 14. Should We Investigate?
  15. 15. Dr. Wartzki
  16. 16. Patience
  17. 17. Golden Years
  18. 18. It's Your Turn
  19. 19. Ionic Separator
  20. 20. Now He Can Control You
  21. 21. The Horns
  22. 22. Back To Headquarters
  23. 23. New Proton Packs
  24. 24. Possessor's Mistake
  25. 25. Was Any Of It Real?
  26. 26. Last Frozen Stand
  27. 27. The Thawing
  28. 28. In The Fabric Of The Universe

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