laut.de-Kritik

Die Amerikaner bleiben ihrem leichtfüßigen Indie-Pop treu.

Review von

Die Landkarte zum neuen Deerhunter-Album "Fading Frontiers" ist eindrücklich abgesteckt. Einerseits wäre da jene interaktive Landkarte, mit der Bradford Cox die Einflüsse für das aktuelle Werk selbst offenbarte. Dazu gehören unter anderem: R.E.M., Tom Petty, altes Leinen, Pablo Neruda, sein Hund Faulkner, der seelenlose Geruch von neuen Autos und Eistee. Die meisten dieser Einflüsse hat er auch mit reichlich Hyperlinks unterlegt und macht diese Kartografie zu einer kurzweiligen Sekundärliteratur für den Hörer.

Zum anderen, und das steckt den biografischen Kontext der Platte zumindest teilweise ab, war da Cox' katastrophaler Autounfall im Dezember 2014. Die Rekonvaleszenz-Zeit brachte eine Depression und deren medikamentöse Behandlung mit sich. "Ich möchte einfach nur Sicherheit. Ich möchte körperliche Schmerzen und Krankheit vermeiden, mich um mein eigenes Ding kümmern und Ruhe und Frieden haben", erklärte der Musiker gegenüber Pitchfork. Diese Sehnsucht nach Sicherheit, vielleicht sogar Harmonie, hört man dem neuen Werk durchaus an.

War "Monomania" noch deutlich ruppiger, kommt "Fading Frontiers" äußerst eingängig daher. Auch wenn sich die Platte lyrisch mit existenziellen Fragen beschäftigt: "I'm off the grid / I'm out of range / And the amber waves of grain / Are turning grey again / The darkened stage and the infinite waves / Distance can change fate / I'm out of range again", singt Cox in "Living My Life".

Selbstredend bietet sich eine biografische Leseweise der Texte über weite Strecken an. Die letzte Strophe von "Snakeskin" spielt beispielsweise recht eindeutig auf Cox' Krankenhausaufenthalt an: " I was lost in that home for the aged and lonely / I cried and I choked, I was sick and I was boney / I was feelin' kinda ill, I was feelin' kinda lonely / And time was erased, yes but, I was so homely", singt er, und klingt dabei weder bitter noch verloren.

Bei aller thematischen Schwere klingt "Fading Frontiers" musikalisch und auch in seiner Melancholie bemerkenswert leichtfüßig. Synth- und geräuschverliebter Indie-Pop, der gerne in Richtung Dream-Pop kippt. Letzterer wird zum Beispiel bei "Duplex Planet" immanent, das sich auf ein Cembalo stützt. Klangflächen betten die Songs in Watte, die Stimmen von Cox' und Bandkollege Lockett Pundt harmonieren bestens - man höre beispielsweise den Song "Breaker", der sonnentrunken und ungemein eingängig daherkommt.

Auch recht rudimentäre und simple Drumcomputer-Beats findet man vor. "Leather And Wood" übt sich dann sowohl in Reduktion als auch in Überlänge, und kommt in seinen knappen sechs Minuten nicht so wirklich auf den Punkt. Mit "Ad Astra", minimalen Synth-Fanfaren, Elegien, Surren und Sphären befinden sich Deerhunter dann im Traummodus.

Es ist eine Introspektive und eine ruhig-gelassene Stimmung, die Deerhunters neues Album prägt, ganz anders als beim letzten Album. "Carrion, I will stay strong", heißt es im letzten Stück "Carrion" beinahe schon als Durchhalteparole - aber so ganz versöhnlich gibt sich der Track und somit das Album dann doch nicht, wie alles aufs Ende zugeht: "What's wrong with me? What's wrong with me?".

Kurz bevor alles vorbei ist, ertönt nochmal ein Sample des traditionellen Folk-Songs "I Wish I Was A Mole In The Ground" (gesungen von Bascom Lamar Lunsford). Dann noch mal Cox: "Even though you're gone / I still carry on / It's the same big sea /It's the same to me". Das klingt abgebrüht, ein wenig traurig, aber auch durchaus auf eine positive Art stoisch.

Trackliste

  1. 1. All the Same
  2. 2. Living My Life
  3. 3. Breaker
  4. 4. Duplex Planet
  5. 5. Take Care
  6. 6. Leather and Wood
  7. 7. Snakeskin
  8. 8. Ad Astra
  9. 9. Carrion

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