laut.de-Kritik
Vier Energiebündel, geballte Power.
Review von Simon LangemannNach jahrelanger Erfahrung im Musikbusiness weiß Tua: "Das Beste versteckt sich immer gerne mal als nebensächlich." ("Nachmittag Im Park") Damit soll mit dem dritten Orsons-Album Schluss sein.
Die 'erste reale Boyband' stellte sich hierfür der Mammutaufgabe, das kreative Potenzial jedes einzelnen Mitglieds auszuschöpfen und in eine außergewöhnliche, aber dennoch für jedermann zugängliche Platte umzumünzen. Für "Das Chaos Und Die Ordnung" wagte sie sich demnach an verschiedenste musikalische Herangehensweisen.
Als Ergebnis präsentieren die Stuttgarter nun einen an Facettenreichtum kaum zu überbietenden Blumenstrauß der Genres, Stimmungslagen und Gestaltungsmittel - zusammen gehalten von der hochmodernen, extrem vielschichtigen aber nie überladenen Produktion von Tua und Maeckes.
In erster Linie profitiert die Platte von der Tatsache, dass die langjährigen Chimperator-Schützlinge erstmals die Quintessenz des jeweiligen Soloschaffens einbinden und nicht in jeden Track alle vier Mitglieder zwängen. Bestes Beispiel: Das Tua-esk bedrückende "Lagerhalle", in dem sich selbiger, wie so oft, aufs Singen beschränkt. "Ich hab' wohl die Glückshormone für die gesamte Woche schon aufgebraucht", bringt Maeckes die vorherrschende Tristesse auf den Punkt.
In solche für Orsons-Verhältnisse unbekannt melancholische Gefühlslagen gleiten auch "Unperfekt", eine komplett überarbeitete Version von dessen gleichnamigem "Manx"-Track, sowie Plan Bs "Mars" ab.
"Das Leben Ist Sch." hingegen bietet als Songtitel zwar reichlich Raum zur Interpretation, erklärt aber im typischen KAAS-Tenor unmissverständlich: "Das Leben ist schön - wir sagen es so oft, bis es wirklich stimmt." In die gleiche Richtung zeigen die extrem aufgedrehte, aber ansteckend euphorische Indie-Rock-Nummer "Wir Können Alles Machen! (Was Sollen Wir Machen?)" und der entspannt zurückgelehnte Elektropop bei "Nachmittag Im Park" .
Als ansatzweise Exoten nimmt man trotz der überwältigenden Vielfalt nur vereinzelte Tracks wahr. Etwa "Übertreiben Baby", eine grenzwertig cheesy Ode an das Leben, die überraschend in einen Dubstep-Schlussteil mündet. Oder "Für Immer Berlin", bei dem KAAS in lässigen R'n'B-Strophen und einer Musical-tauglichen Refrainmelodie die wahre Geschichte von einer verheißungsvollen Whatsapp-Unterhaltung mit seiner Freundin schildert.
Vier Energiebündel addieren ihre geballte Power und machen ihr in unerreicht impulsiven und dynamischen Rapsongs Luft - nicht zuletzt dafür lernte man Die Orsons einst zu schätzen. Obwohl der Universal-Deal und die Pophymne "Horst & Monika" Anderes befürchten ließen, findet sich dieses Prinzip auch auf ihrer dritten Platte in Reinform wieder.
So etwa in Form von "Rosa, Blau, Grün", bei dem alle vier Orsons über unterschwellig wabernder Dubstep-Bassline Hand in Hand mit eigenartig gepitchter Hookline schaulaufen. "Habe hundert Jahre schon kein Bock auf Doubletime mehr", beteuert Tua im Eiltempo. "... aber muss wohl sein!" Da dürfte ihm jeder Rapfan zustimmen.
Am heftigsten geht es in der Hinsicht aber bei "Zambo Kristall Merkaba" zur Sache. Nachdem Maeckes und Plan B ihre 16er in gewohnter Manier abgefeuert haben, drosselt die feierwütige Beat-Abrissbirne ihr Tempo völlig unverhofft herunter und bietet den perfekten Boden für einen weiteren herausragenden Tua-Auftritt - genauer gesagt: für eine "Lehrstunde in 'Wer bumst jetzt Deutschrap?'-Erdkunde". Zum Schluss darf noch einmal KAAS ran, der stilmäßig ebenfalls an alte Tage und mit herrlich schäbigem Mikrofon an den frühen Orsons-LoFi-Sound anknüpft. Was für ein Spektakel.
Euphorie und Düsterkeit, Dubstep und Indiepop, Liebes- und Straßenrap, innere Leere und krachendes Hip Hop-Feuerwerk: Die Orsons haben sich für ihr drittes Album erstmals die Zeit genommen, jedem einzelnen Mitglied freien Lauf und dadurch etliche Gegensätze aufeinander prallen zu lassen.
Doch die monatelange harte und aufwändige Arbeit hat sich gelohnt. Auf "Das Chaos Und Die Ordnung" gelingt der "Rapband der Liebe" ("Das Leben Ist Sch.") beeindruckenderweise jeder Spagat völlig unverkrampft. Nur wenige deutschsprachige Künstler verpacken eine solche Fülle an musikalischen, inhaltlichen und charakteristischen Paradoxa in ein derart homogenes Gesamtbild.
34 Kommentare
Die Platte ist der absolute Oberwahnsinn! Seit einer Woche läuft nichts anderes und ich entdecke immer wieder neue Facetten auf dem Album! Große Kunst!
Unterschreibe jeden Satz der Review. Ganz, ganz großes Album. Und das sage ich als langfristiger Orsons-Verweigerer.
(Der Tropfen, der das Fass der Begeisterung bei mir endgültig zum Überlaufen brachte, war übrigens die Hommage an WBM zum Ende von "Übertreiben Baby".)
@Der Max (« Ganz, ganz großes Album. Und das sage ich als langfristiger Orsons-Verweigerer. »):
und wer hats schon immer gesagt?
dass ich das noch erleben darf ...
ist jetzt wohl offiziell das deutschrap-album des jahres 2012
Neben einer Klage durch einen Menschenrechtsverein wurde den Orsons von vielen durch "Horst und Monika" beleidigten vorgeworfen, gezielt genital-sexistische und schwulenfeindliche Hetze und Vorurteile zu schüren.
Sie entschuldigten sich zwar für den Song spielen aber dennoch weiter, auch auf ihrer Seite findet man ihn weiterhin, das kann man durchaus als feige und verantwortungslos bezeichnen.
Es gab bereits Proteste vor Konzerten und Aufrufe zum Boycott. Viele der durch den Song diffamierten Minderheit zugeordneten Menschen möchten sich nicht weiter durch "Horst und Monika" beleidigen und als öffentliche Lachnummer und Zielscheibe hinstellen lassen,
doch den Orsons geht es scheinbar nur um Geld und Ruhm. Man sollte sich von daher dem Boycott anschließen und bessere, lustigere und verantwortungsvollere Musik hören und fördern.
Just because you're offended doesn't mean you're in the right.