laut.de-Kritik

Tribut an das bewegte Leben einer Großstadt-Lyrikerin.

Review von

Kleingeldprinzessin Dota Kehr erntet seit Jahren als Songdichterin Anerkennung. So verpasste sie mit dem letzten Langspieler "Die Freiheit" 2018 nur ganz knapp die Top 10 der deutschen Albumcharts. Nun legt sie erstmalig mit "Kaléko" eine Scheibe vor, die nicht auf eigenen Lyrics basiert: Sie vertont Texte von Mascha Kaléko, der wohl einzig bekannten weiblichen Lyrikerin der Neuen Sachlichkeit.

Dabei entstand das Album aus einem Zufall heraus: "Ein Konzertbesucher hatte mir ein Buch geschenkt. Das hat mich ziemlich angesprochen, die Texte. Ich habe eigentlich schon sehr bald begonnen, Melodien darin zu hören, wenn ich die gelesen habe. So hat sichs mit einer großen Leichtigkeit wie von selbst ergeben.", erklärt sie auf Youtube. Diese Unverkrampftheit hört man den melancholischen bis heiteren Arrangements zwischen Jazz, Folk und Pop und ihrer glockenhellen Stimme auch an. Dabei setzt sich die Reihenfolge der Texte so zusammen, dass sich daraus ein schlüssiges Bild über die Höhen und Tiefen in Kalékos bewegtem Leben ergibt.

1907 erblickt die Dichterin mit jüdischen Wurzeln als Golda Malka Aufen in Galizien das Licht der Welt. Wegen drohender Pogrome zu Beginn des Ersten Weltkriegs sieht sich ihre Familie gezwungen, nach Deutschland auszuwandern. In den Goldenen Zwanzigern knüpft die Lyrikerin dann in Berlin Kontake zu unter anderem Else Lasker-Schüler und Joachim Ringelnatz. 1928 nimmt sie den Nachnamen ihres ersten Ehemannes Saul Aaron Kaléko an.

1933 erscheint ihr erstes Buch "Das Lyrische Stenogrammheft" unter dem Künstlernamen Mascha Kaléko. Vor Ausbruch des Zweiten Weltkriegs kommt es zum Verbot ihrer Schriften durch die Nationalsozialisten. In der Folge emigriert sie nach New York und kehrt Ende der 50er wieder nach Berlin zurück. 1960 verweigert sie die Annahme des Fontane-Preises, da ein ehemaliger SS-Standartenführer Teil der Jury ist. Ihrem zweiten Ehemann zuliebe siedelt sie noch im selben Jahr nach Jerusalem über. Dort machen ihr allerdings bis zum Ende ihres Lebens die sprachlichen und kulturellen Barrieren schwer zu schaffen. 1975 stirbt sie schließlich auf ihrer letzten Europareise in Zürich an den Folgen einer Magenkrebserkrankung.

Dieses ständige Gefühl, nirgendwo richtig hinzugehören, das spiegelt sich auch in der empfindsamen Großstadt-Lyrik Kalékos wieder, die sich "als Einzelgänger von Natur" betrachtete. So bietet der Einstieg des Albums nicht mehr und nicht weniger als "Resignation Fuer Anfaenger", wobei der Text tatsächlich mit einer wunderbaren Lebensweisheit aufwartet, die für immer und ewig in Stein gemeißelt gehört: "Geh' nicht zu Grunde, den Sinn zu ergründen. Suche du nicht. Dann magst du ihn finden".

Da steckt letzlich auch der Wunsch drin, sämtlichen "Sorgen dieser Welt" zu entschweben und sich förmlich in die Kunst hineinfallen zu lassen, wie "Ein Sogenannter Schoener Tod" verdeutlicht. Die schwerelosen Gitarren und der federleichte Doppelgesang von Dota und Duettpartner Franceso Wilking unterstreichen dies.

Die Instrumentierung fängt die Stimmung der Gedichte großartig ein. Dafür sorgen neben Dota an der akustischen Gitarre Jan Rohrbach (Gitarre und Bass), Jonas Hauer am Fender Rhodes Piano, an den Keyboards und am Akkordeon, Janis Görlich (Drums), Matthew Bookert an der Tuba und Christian Magnusson (Trompete, Flügelhorn).

Zudem nehmen zahlreiche Gastsänger wie Hannes Wader und Konstantin Wecker teil. Diese agieren gleichwohl eher zurückhaltend, so dass ein ausgewogenes musikalisches Gesamtbild entsteht. Besonders toll leuchtet dieses, wenn es zwischen rastloser Exkursion ins Ungewisse, der Trostlosigkeit des Berliner Großstadtlebens und der Sehnsucht nach Unbeschwertheit, nach der sich Kaléko noch einmal so sehnte, als sie im Herbst 1974 ein letztes Mal in Berlin zu Besuch war, hin- und herpendelt.

So vermittelt "Chanson Von Der Fremde" mit Schiffer-Akkordeon, sparsamen akustischen Akkorden und nachdenklichem Gesang etwas Desillusioniertes, nur damit direkt im Anschluss in "Julinacht An Der Gedaechtniskirche" zu swingend lässigen Klängen die Verlockungen der grauen Großstadt warten.

Diese bringen aber genauso wenig Erfüllung wie das ständige Reisen. Da bleibt in "Fuer Chemjo Zu Pessach 1944" zu düsterer Gitarre und wehmütiger Trompete nur der einsame Wunsch nach der Leichtigkeit der Jugend. In "Was Man So Braucht" heißt es zwar, von Dota kindlich intoniert und von Karl Die Grosse gesanglich begleitet, dass man "nur einen Menschen" benötigt, "den aber braucht man sehr", doch Kaléko konnte sich von diesem Menschen letztlich nie wirklich Halt und Dauer erhoffen. Auch wenn "Fuer Einen", das sanfte und warme Duett mit Max Prosa, einige Tracks zuvor etwas anderes suggeriert.

Dank der authentischen musikalischen Umsetzung und Dotas Stimme, die ganz nah an dem Hörer heranrückt, lässt sich ganz tief in die Stimmung des frühen bis mittleren 20. Jahrhunderts zwischen Aufbruch und schwerem Kriegstrauma eintauchen. Die drei zusätzlichen Instrumentals aus der Feder des Schlagzeugers zwischen Chanson und Jazz verstärken diesen Eindruck noch.

Zum Schluss hört man in "Worte In Den Wind" zu federnden Drums, leisen Gitarren, einer nächtlichen Trompete und Dotas brüchiger Stimme das Lebensdilemma Kalékos in einem Vierzeiler zusammengefasst: "Du zahlst für jedes kleine Wort auf Erden, für jedes Mal, da du das Schweigen brichst. So tief du liebst, wirst du verwundet werden und missverstanden fast, fast so oft du sprichst". Dabei trösten die zärtlichen Gedichte dieser sensiblen Persönlichkeit, die über einen scharfen Verstand verfügte, doch hinweg. "Segne dich ein guter Schlaf, segne dich ein schöner Traum", Kaléko.

Trackliste

  1. 1. Resignation Fuer Anfaenger
  2. 2. Ein Sogenannter Schoener Tod
  3. 3. Kein Kinderlied
  4. 4. Fuer Einen
  5. 5. Fraemd (Instrumental 1)
  6. 6. Chanson Von Der Fremde
  7. 7. Julinacht An Der Gedaechtniskirche
  8. 8. Fuer Chemjo Zu Pessach 1944
  9. 9. Was Man So Braucht
  10. 10. Auf Eine Leierkastenmelodie
  11. 11. 1979 (Instrumental 2)
  12. 12. Kompliziertes Innenleben
  13. 13. Ganz Kleiner Schwips
  14. 14. Einem Kinde Im Dunkeln
  15. 15. Sonne
  16. 16. Kleine Havelansichtskarte
  17. 17. Blasse Tage
  18. 18. Kaeuzchen (Instrumental 3)
  19. 19. Kleines Liebeslied
  20. 20. Worte In Den Wind

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