laut.de-Kritik

Die letzten Aufnahmen eines Unikats.

Review von

"Wie geht es mir? / Ich denke, gut. (...) Ich hab dich so lange nicht gesehen (...) Wie läuft's mit deiner neuen Liebe? / Ich hoffe, ihm geht's gut... / Hab gehört, dass du dem erzählt hast / dass du ihn für immer lieben wirst / weißt du, dass das das Gleiche ist, was du mir erzählt hast? (...) Ist doch lustig, wie die Zeit vergeht. Yeah, Baby!" So viel Süffisanz schlägt in die Kerbe des typischen Dr. John-Humors. Die Zeilen entstammen dem von Willie Nelson geschriebenen Klassiker "Ain't It Funny How Time Slips Away", dem Opener von "Things Happen That Way", den Elvis Anfang der '70er im Live-Programm hatte.

Willie Nelson kannte Dr. John persönlich, die beiden Herren musizierten auf ihre alten Tage öfter mal zusammen. "Things Happen That Way" ist das letzte Album des Docs Rebennack, denn er war vor seinem plötzlichen Tod in die Arbeit an einer Country-LP vertieft.

Dr. John wäre nicht er selbst, wenn sein Verständnis von Country nicht genauso weit und dehnbar wäre wie bei anderen von ihm beackerten Musikrichtungen. Es gab zwar ein paar Platten von ihm, die sich konsequent und straff einem Genre widmeten, etwa "Gumbo" (1972) als Postkarte aus New Orleans und Umgebung oder "Desitively Bonnaroo" (1974) als Zeitzeugnis der Funk-Welle. Jetzt erklingt eine Art Country-plus. Dr. John führt die Supergroup The Traveling Wilburys ins Feld und covert deren "End Of The Line" zusammen mit Aaron Neville. Diese Aufnahme fällt sofort auf und ist auch der erste unbedingte Anspieltipp.

Auftakt mit marschartig gespieltem Schlagzeug. Als die Bläser schief und schal hinzutreten, als seien sie hier irgendwie verkehrt, kippt das Schwungvolle des Starts ins Kuriose, Absurde, auch ein bisschen in den Zwiespalt zwischen Lethargie und Lebhaftigkeit. "End Of The Line" ist ein innehaltendes, vielschichtig assoziatives Lied mit dem Blick zurück aufs Leben, ohne Erwartungen. Lediglich mit einem Wust an Erinnerungen, die sich nicht so recht ordnen lassen.

Das Original baut auf wechselnden Stimmen auf und eignet sich nicht allzu sehr als Solo-Stück. Entsprechend der damaligen Aufteilung mit George Harrison in der ersten Strophe, Jeff Lynne für den ersten Refrain-Durchlauf, Tom Petty als Lead-Sänger der zwoten und dritten Strophe, Roy Orbison für die Wiederholung der Hook, so reichen auch Dr. John und seine Gäste das Mikro herum. Die Hook erfolgt als Wechselgesang zwischen der engagierten, soulvoll keifenden, gelangweilt "I'm satisfied" maulenden Katie Pruitt und dem Soul-Falsett-Wunder Aaron Neville, mit dem Doc im Background.

New Orleans-Brass Sound bringt das Lied auf seinen ächzenden letzten Takten zu seinem "end" und lässt das Leben als eine recht blecherne, schräge Geschichte da stehen. Mit Katie Pruitt heuerte der Doc eine der großen Stimmen des künftigen Americana-Folkpop an, deren Vocals schmettern und deren Lyrics gut fundierte Alltagspsychologie sind. In "Holy Water" bewahrt die 1994 Geborene ihren 53 Jahre älteren Kollegen vor dem Versinken in Schmalz. Senior Rebennack fand sie auf seinem Vertrags-Label Rounder, wo sie nach ihrer Queer-Hymne "Loving Her" bestimmt durch die Decke gegangen wäre, hätte es da nicht diesen Lockdown gegeben, ein paar Tage nach Release ihres Debüt-Albums "Expectations". Sie als Entdeckung und das Wilburys-Cover rechtfertigen alleine schon, dass die gesamte Hinterlassenschaft des Dr. John nun erscheint.

Leider passen Country-Twang und der 'Night Tripper' nicht so wahnsinnig gut zusammen. Der schunkelnde Titelsong "Guess Things Happen That Way", das schulmeisterlich brave "Gimme That Old Time Religion feat. Willie Nelson", das neutral dargebotene langsame Slideguitar-Stück "I'm So Lonesome I Could Cry" und das besagte rustikale "Holy Water" stellen alle zusammen kaum mitreißendes Songmaterial dar. Und "Give Myself A Good Talkin' To" fehlt's an Ausdruck, eventuell mit Absicht, um das Lakonische zu unterfüttern.

Die mittelguten Beiträge "Ramblin' Man" und "Sleeping Dogs Best Left Alone" leben vor allem von ihrer Atmosphäre. "Ramblin' Man" eiert schwerfällig. Die Instrumente tönen crunchy und holzig. Eine eigenwillige Hank Williams-Aneignung. Der übermächtige Geist Hanks soll laut Dr. Johns Tochter überhaupt den Anstoß zu den Nashville-Vibes der Platte gegeben haben.

"Sleeping Dogs Best Left Alone" drückt Galgenhumor und eine Spur Verzweiflung im Vortrag aus. Das Südstaaten-Rock'n'Roll-Piano geleitet durch Wechselgesänge und Brass Section. In bekannter Sumpf-Rezeptur setzen Wurlitzers ein, um blecherne und schrille Anteile abzuschleifen. Ob die Aufnahme in dieser Form für Publikum gedacht war und der Mac sie so auf Platte veröffentlicht hätte, weiß man jetzt nicht sicher. Laut Produzent Shane Theriot war der Doc sehr happy über das Ergebnis. Aber für meinen Eindruck klingt die Nummer wie ein hart abgemischtes Demo. Dafür macht der Text ordentlich was her. Der nennt das Leben einen grenzenlosen Schlund, "bottomless pit". Wir spielen mit Dynamit, während die Zündschnur schon entflammt ist.

Einen Preis für geniale Dramaturgie verdient die (neben "End Of The Line" und "Funny How Time Slips Away") dritte starke Einspielung: "I Walk On Guilded Splinters (ft. Lukas Nelson + Promise Of The Real)". Dabei handelt es sich um ein Eigen-Cover, das den Kreis in der langen Schaffensphase von Dr. Jean Creaux a.k.a. Dr. John schließt, denn "I Walk On Guilded Splinters" findet sich bereits auf dem psychedelischen Wunderwerk "Gris-Gris", aufgenommen 1967, Schlussstück des Erstlings damals. Ganz so lang und mellow wie das Original ist diese Version zwar nicht, aber ein bisschen Voodoo-Mystik packt sie in die Wüstenkargheit des Arrangements. Wabernde Keys sorgen für Jazz-Eleganz. Nach dem Refrain heult inmitten der spartanisch gestalteten Kulisse eine voller Sehnsucht schreiende Gitarre.

Beteiligt sind daran Willie Nelsons Sohn Lukas mit Band, die heißt Promise Of The Real (POTR) und ist auf dem Mutter-Label von Rounder, Fantasy, gesignt. Dr. Johns Vocals machen in der nun nachgereichten 2019er-Fassung einen bizarren Eindruck, denn er trägt fragend vor. Selbst rätselnd. Was ein ganz lustiger Punkt ist. Stellenweise mutet die Stimme erstickt an, und durch verfremdende Slow-Mo-Effekte gezogen. Die Orgel-Nuancen von POTR-Keyboarder Logan Metz klingen satter und frecher als in der alten Version, punktuelle Bassgitarren-Reverbs (Corey McCormick) ziehen die Nummer vom alten Santana-Flair weg.

Lukas Nelson kommt nach Mitwirkung an der Aufnahme zum Schluss, Dr. Johns Musik sei Medizin. Was sicher ein Punkt ist, der an Musik viel zu selten gesehen wird. Wenn Macs Lebenswerk und die besseren Cuts dieser Platte dazu beitragen, dass man das so erkennt und Musik häufiger zeremoniell, therapeutisch und krankheitsprophylaktisch benutzt, dann hinterlässt der Doktor damit ein Erbe, das den selbst verliehenen Doktortitel noch mal würdig erscheinen lässt. Ein Punkt mehr, wieso der Stile-Vermischer ein Unikat bleibt. Und selbst wenn die mitunter recht ruhige Platte nicht als Ganzes überwältigt, entfalten die genannten Highlights eine enorme Aura. Zum spooky Zauber-Sound passt LP-Knistern. Wer "Things Happen That Way" auf Vinyl haben möchte, muss drei Wochen nach der CD-Veröffentlichung (oder noch länger) warten, da die LP frühestens ab 14. Oktober bereit steht.

Trackliste

  1. 1. Ain't It Funny How Time Slips Away
  2. 2. Ramblin' Man
  3. 3. Gimme That Old Time Religion feat. Willie Nelson
  4. 4. I Walk On Guilded Splinters (ft. Lukas Nelson + Promise Of The Real)
  5. 5. I'm So Lonesome I Could Cry
  6. 6. End Of The Line feat. Aaron Neville
  7. 7. Holy Water
  8. 8. Sleeping Dogs Best Left Alone
  9. 9. Give Myself A Good Talkin' To
  10. 10. Guess Things Happen That Way

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LAUT.DE-PORTRÄT Dr. John

Malcolm John Rebennack, geb. am 21 November 1940, New Orleans, Louisiana, USA macht Musik, die stark von seiner Heimat am Mississippi beeinflusst ist.

1 Kommentar

  • Vor einem Jahr

    Ach, alles ganz nett, aber dann doch auch der Beleg, dass nicht jeder wie Buddy Guy auch im hohen Alter noch tolle Scheiben zustande bringt - selbst die Höhepunkte hat der Meister so ähnlich früher doch eher besser gemacht... 3/5