laut.de-Kritik

Emanzipation und Horny-Jams.

Review von

Entschuldigt bitte, manchmal sind wir langsam und wissen nicht, was gut ist. Letzten September hat Ebow ihr neues Album "FC Chaya" veröffentlicht - und hätte sich hier jemand mal bemüßigt, das gescheit zu hören, hätte es sicher damals schon eine Review gegeben. Denn dieses Tape ist eins der besseren Deutschrap-Releases der letzten Jahre. Ebow hebt ein paar der klügsten und intensivsten Storyteller des Jahres unter ein Album von Club-fertigen Horny-Jams, ohne es auch nur eine Sekunde unnatürlich wirken zu lassen. "FC Chaya" ist ihr bestes Album - schön, dass sie jetzt die "Glitter Edition" nachreicht, damit wir uns dem noch mal im Detail widmen können.

Erstmal: Nein, es ist kein Fußballclub-Konzeptalbum, auch wenn das Intro "Forever" kurz ulkige Bilder heraufbeschwört. Hätte schon funktionieren können, alles moderiert wie das Musikvideo von Big Seans "I Don't Fuck With You", Featuregäste als Einwechselspielerinnen, Skits mit Bastian Schweinsteiger neben Hengameh als Expertendouble der Sportschau? Okay, okay. Wahrscheinlich schon richtig, damit nicht in die Vollen gegangen zu sein.

Vor allem, weil "Lesbisch" erklärt, worum es auf diesem Album tatsächlich geht: Um queer Liberation. Das fängt erst fun und poppig mit einer fantastischen Hookline an. "Alle pretty babes sind lesbisch", gibt sie zu Protokoll, "dein Boyfriend ist hässlich, sag Bescheid". Ihre Delivery auf den Wörtern "sag Bescheid" sollte ihr eigentlich allein schon einen Grammy einspielen, es ist der erste Anhaltspunkt, dass das hier ein wirklich besonderes Album werden wird.

Wie schnell es wie gut wird, hätte ich aber nicht kommen sehen. "Ebru's Story" ist ein dreiteiliger Storyteller über verschiedene Coming-Out-Momente ihres Lebens. Sowohl Beat als auch die Art, wie sie Dialogfetzen und Szene an Szene montiert, erinnern ein bisschen an Tyler The Creators "Wilshire" - nur, dass hier die Stakes ein bisschen höher sind. Persönlich hat mich der zweite Verse extrem berührt: In einer Clubnacht bringt sie es übers Herz, ihrem besten Freund zu sagen, dass sie lesbisch ist - und der reagiert darauf, indem er ihr verrät, dass er schwul ist.

Erstens kommt sie diesem ganzen Austausch so unglaublich nah, ihre Delivery springt von schüchtern, nervös und eingeengt in einem Herzschlag zu einer Euphorie und einer Erleichterung, dass man sich als Hörer fast ein Tränchen verdrücken möchte. Aber es akzentuiert auch einen Aspekt von queer Liberation, der oft ein bisschen zu kurz kommt, aber: In der Idee von Chosen Family steckt einfach ein Vertrauen und ein Glaube an Freundschaft und platonischer Verbundenheit, der wirklich stark und schön ist. Es ist ein umwerfender Moment auf einem umwerfenden Song.

Gut, fairerweise fliegt das Platonische auf dem Rest der Platte dann ein kleines bisschen aus dem Fenster, denn von hier an geht Ebow in ihren Fuckboy-R'n'B-Modus. Und es funktioniert, es ist sogar eine gute Idee. Man spürt, dass sie die Arbeit von Artists wie Janelle Monae oder Little Simz feiert, aber ich glaube, es ist die richtige Entscheidung, nicht auf ein vollumfänglich positives, geschmackvolles Emanzipations-Album zu zielen.

Vor allem, weil Tracks wie "Chayas Worldwide" oder "Big Simpin" mit dem gewissen Mut zur Albernheit und Lockerheit eine schöne Balance zwischen fun und sexy gehen. Ja, es gibt Momente wie auf "Juicy", wo Lines wie "Juicy juicy juicy, dein Booty macht mich zu 'nem Groupie" vielleicht ein kleines Mü übers Ziel hinausschießen. Aber dann sind es doch Tracks wie das atmosphärische "Lightspeed" bis hin zum textlich makabren "Do Ya?" ihre Bandbreite noch mal beweisen. Ich würde die Line "ich bin ein toxischer Kanacke, auch wenn ich woke bin" gerne der allgemeinen Facebook-Crowd vorführen, weil ich mir erhoffe, dass sie beim Versuch, daraus den passenden Strohmann abzuleiten, vor Verwirrung in Flammen aufgehen.

Der Abschlusstrack "Free." setzt noch ein letztes Highlight. "Alle meine palästinensischen Freunde sind alle am Ende / meine jüdischen Freunde, sie trauern mit Ängsten / meine kurdischen Leute sind dauern am Kämpfen / meine schwarzen Freunde suchen immer noch Verständnis / alle anderen Freunde sind irgendwo dazwischen / wir fühlen das Gleiche und Trauern im Stillen" ist vermutlich eine der einfühlsamsten Sachen, die man zur aktuellen Weltsituation sagen könnte. Ich glaube, es ist sehr klug und sehr empathisch, in so einem Track die Leute aus ihrer Funktion als Diskursobjekte herauszuholen. Leute aus diesem konfrontativen Social Media-Gepöbel wegzueisen und den Fokus darauf zu richten, dass hier überall nur Menschen stehen, denen es Scheiße geht. Dass in allen Bewegungen, die sich für politischen Wandel einsetzen, nicht Leute dastehen, die einfach nur identitäre Freude am Kampfdiskutieren haben, sondern Leute, die trotz Erschöpfung und Abfuck eigentlich vor allem wollen, dass Leute weniger leiden. Auch hier wieder: Gerade zum Ende hin ist ihre Delivery so eindringlich und emotional komplex. Ganz "Chaya FC" ist in dieser Hinsicht eine beeindruckende Performance nach der Anderen.

Die Bonustracks für die "Glitter-Edition" hiernach faden die Stimmung noch einmal gekonnt aus, "Müde" fühlt sich wie ein schönes Reprise zu "Free" an. Ich würde den Fokus trotzdem lieber aufs Hauptalbum legen, denn nach einer Woche Beschäftigung schäme ich mich doch echt ein bisschen, das wir das beim Original-Release so übersehen haben. Ich kann verstehen, wenn die Überrepräsentation der R'n'B-Cuts für manche ein bisschen zu viel ist. Aber trotzdem macht "Chaya FC" wirklich durch die Bank beeindruckend viel richtig - und selbst, wenn man keine Lust hat, sich das ganze Tape zu geben, solltet ihr doch immerhin einmal "Ebru's Story" hören. Danach werdet ihr Lust auf den Rest haben.

Trackliste

  1. 1. Forever
  2. 2. Lesbisch
  3. 3. Ebru's Story
  4. 4. Bangerfabrique Skit
  5. 5. Chayas Worldwide
  6. 6. Big Simpin
  7. 7. Juicy
  8. 8. Lightspeed
  9. 9. Do Ya?
  10. 10. Bodies
  11. 11. Gott Weiß
  12. 12. Free.
  13. 13. Müde
  14. 14. Whiny
  15. 15. Toxisch
  16. 16. Wunden

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