laut.de-Kritik
Nicht nur Wien braucht diese Songs.
Review von Mirco LeierR'n'B auf Deutsch ist ein Drahtseilakt. Zwischen Radio-Retorte und peinlichen Gefühlsduseleien gibt es nur wenig Spielraum für einen eigenen, innovativen Sound, der nicht einfach nur dreist die Blaupausen aus Übersee plagiiert. Viele versuchten sich über die Jahre daran, die meisten scheiterten jedoch kläglich. Unsere Sprache scheint einfach nicht dafür gemacht, besonders sinnliche Balladen zu säuseln, die auch außerhalb vom ZDF-Fernsehgarten stattfinden.
Die Österreicherin Eli Preiss sah das lange Zeit genauso. Die ersten Jahre ihrer Karriere singt sie genau deshalb ausschließlich auf Englisch, und das auch ziemlich gut. Die Entscheidung, doch zu ihrer Muttersprache zu wechseln, ist jedoch rückblickend vielleicht die beste ihrer gesamten Karriere. Was 2020 mit "Noch Down?" vielversprechend beginnt, entwickelt sich rasend schnell zu einem der spannendsten Sounds, die momentan aus Österreich zu uns herüberschwappen. Nach mehreren EPs und einigen kleineren viralen Hits kulminiert der Hype nun in ihrem Debüt-Album "LVL UP".
Preiss' Mut, aus dem Schatten ihrer amerikanischen Idole zu treten, und die Konsequenz, mit der sie dies tut, macht ihr Album so besonders. Wie man es bei immer mehr jungen Rapper*innen beobachtet, klingt ihre Musik nicht wie die verzweifelte Jagd nach einem Hit, sondern durch und durch nach Selbstverwirklichung. "Regenbogen Boulevard" öffnet mit verträumten Neo-Soul noch relativ konventionell, doch die Welt, die sich die Wienerin zusammen mit den Produzenten ihrer Swift Circle-Crew erschafft, gewinnt jede Minute mehr an Exzentrik und Charakter.
Die LP trägt ihren Titel nicht umsonst. Preiss' Liebe für Videospiele schlägt sich nicht nur in den Songtiteln und den zahlreichen süßen Samples aus Mario, Mario Kart oder Zelda nieder, die Instrumentals aus "LVL UP" klingen zu großen Teilen so, als hätte man sie direkt den imaginären Tanzflächen Hyrules oder des Pilz-Königreichs entrissen. Immer wieder surren Arcade-Soundeffekte wie Laserschüsse durchs Klangbild. Auf "Endboss" kollidieren Garage-Drums mit leisen Nintendo-Synths, mit "Bossbitch Anthem" bekommt Preiss ihre eigene Bossmusik, und "LVL UP" klingt mit seinen psychedelischen Synths und minimalistischen Kicks, als hätte der italienische Klempner ein paar grüne Pilze zu viel vernascht.
Die Einflüsse reichen von Trap über Soul bis hin zu House. Letzterer macht "Gameboy" zu einem der größten Standouts. Über eine stampfende Bassline, die in ihrer Infektiosität Kanyes "Fade" Konkurrenz macht, beweist Preiss, dass deutscher R'n'B sehr wohl verführerisch klingen kann, ohne an Tanzbarkeit einzubüßen oder ins Lächerliche abzudriften. Eine Fingerübung, die ihr auch auf dem introspektiven "Simulation" gelingt, wo sie den vollen Umfang ihrer wunderschönen Stimme über aufputschenden Drum'n'Bass zur Schau stellt. Nahezu jedes instrumentale Korsett, das ihr Produzenten wie prodbypeng, Tschickgott oder Matt Mendo bereitstellen, passt der Wienerin wie angegossen. Wären diese Beats eine Mario Kart-Strecke, Preiss würde ihre Konkurrenz mühelos überrunden.
So schön sie aber auch flowt und singt, lyrisch reißt sie auf "LVL UP" keine Bäume aus. Stellenweise leistet sich die 22-Jährige sogar den ein oder anderen Griff ins Klo. Wie etwa auf "Glühheisse Wüste", wo sie die alte Schule als progressiv lobt, aber Trap grundsätzlich als misogyn bezeichnet, nur um sich wenig später selbst im instrumentalen Fundus des Genres zu bedienen. Unterm Strich fällt das jedoch nicht wirklich ins Gewicht. Hin und wieder findet die Wienerin auch schöne Vergleiche, die sich wunderbar in den thematischen Überbau der LP einfügen, wie etwa auf der titelgebenden Line aus "Princess Peach": "Princess Peach, du ziehst den Pfirsich vor dir, wenn ich ins Ziel fahr."
Die große Stärke von Preiss' Songwriting besteht allerdings ohnehin darin, einem nicht nur die Melodie einer Hook, sondern den Song in seiner Gänze ins Ohr zu setzen. Die Momente, die sich am hartnäckigsten im eigenen Gehörgang einnisten, sind oft Bridges, einzelne besonders schön akzentuierte Reime oder Stellen, in denen sie mühelos inmitten eines Verses von ihrer Rap- in ihre Singstimme überleitet.
Die musikalische Reife und Versatilität, die Preiss mit ihrem Debüt unter Beweis stellt, beeindrucken nachhaltig. Kein Album kam in jüngerer Vergangenheit so nah dran, einen neuen Status Quo für deutschen R'n'B zu etablieren. "Wien braucht was? Elis Songs!", singt sie auf "Bossbitch Anthem". Nicht nur Wien braucht diese Songs, sage ich. Es wäre eine Tragödie, enthielte man dem Rest der Welt ein Album wie dieses vor.
8 Kommentare mit 17 Antworten
Yo, total gut. Zwischen langweiligem R&B und langweiligen House noch langweiligen Trap eingestreut. Vortrag höchstens okay und zwar variabel, aber kaum eigenständig. Cool!
Natürlich dennoch Welten über den hingeschissenen Billigbeats und Taubengeräuschen, die die Kids heute pumpen.
Der feine Herr Gebacken hört natürlich lieber die äußerst innovative Crew Advanced Chemistry in seinem Elfenbeinaltersheim.
So ist das halt, als Feingebäck.
Gruß
Skywi...
Chris hat Recht. Ist so okay, nicht mehr, nicht weniger. Sowas wie Pommes halt.
Vorsicht Ragi, Capsi hat Vorliegendes bereits als Newcomer des Jahres festgesetzt. Du bist auf dünnem Eis.
Ach du Schande... Nix für Ungut Cäppes!
Dieser Kommentar wurde vor 2 Jahren durch den Autor entfernt.
Hatte mit Kritik von Caps gerechnet, aber ich kann das angeblich Unkalkulierte und die Eloge wirklich nur ansatzweise nachvollziehen. Ist wie bei Haiyti. Gemessen an den Vergleichsflächen großartig und variabel. Sagt allerdings mehr über die Vergleichsflächen aus, als über das künstlerische Resultat.
Denke deine konsequente Ablehnung neuer Musik sagt viel über deine Vergleichsebene aus.
Ich lehne neue Musik nicht per se ab, aber mich kicken Songs nunmal nicht, die andere schon besser gemacht haben. Inhaltlich oder im Vortrag. Nichtsdestotrotz hast du wahrscheinlich recht. Bedient es meine Prägung, kann ich Defizite eher verzeihen und es zumindest nebenher laufen lassen. Aber das geht uns wahrscheinlich allen so, irgendwann ist der grobe Rahmen des eigenen Geschmacks abgesteckt. Dennoch kann ich, wenn ich auf der Arbeit mit Trap etc beschallt werde, schon differenzieren, ob sich da jmnd Mühe gegeben hat, oder der Song eklektisch für die Zielgruppe hingeschissen wurde. Ich halt mir jetzt nicht konsequent die Ohren zu
Hier ist das für mich ein Fall von "hat Potenzial, find ich dennoch in diesem Stadium noch unspannend"
Hm. Also bis aufs Veröffentlichungsdatum kommt mir da ziemlich wenig "neu" vor. Allgemeiner sind wir vermutlich in sowas wie einem Postpostpostmodernismus. Oder gibts da ne gute Bezeichnung für? Da wird nicht viel experimentiert, dafür gibts jede Menge Hommagen.
Kann nicht für Chris sprechen, aber was mir an neuer Musik noch am unangenehmsten auffällt, ist wie konservativ sie oft klingt.
Wie der Ragism-Bot aber auch gnadenlos berechnend das Sommerloch füllt
Obs was mit dem hart abzugewöhnenden deutschen Sprachduktus zu tun hat, daß Sängerinnen so häufig sehr kehlig-quakig bis nasal klingen? Versucht man ja normalerweise, in den ersten Gesangsstunden oder eigenständigen Übungen allmählich loszuwerden.
Das wiederum find ich nicht tragisch. Das Unperfekte hat oft einen größeren Reiz als alles Glattgebügelte ohne Ecken und Kanten.
Irgendwie wiederholen sich meine Kommentare, aber auch hier muss ich schreiben, dass Sprachverständlichkeit keinen großen Stellenwert mehr zu haben scheint. ????
Ne, tragisch isses nicht. Gerade souligem Vortrag hilfts halt, wenns ausm Bauch kommt.
So geht R'n'B auf deutsch, das ist unkalkulierte, gefühlte Musik und ein wahnsinnig gutes Debüt. Newcomer des Jahres.
Dieser Kommentar wurde vor 2 Jahren durch den Autor entfernt.
Textlich und stimmlich´n bisschen dünn, aber der Sound hat was.
Habs durchgehört, um sicher zu sein, ob das „Zähne nicht auseinanderkriegen“ mich stört oder wirklich die Texte. Es sind die Texte. Bei der Stimme wird man so halt nie wissen, ob's nicht besser geht, oder einfach nicht gewollt ist.